Geschichtsbewusstsein im Geschichtsunterricht

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Um Geschichtsbewusstsein im Geschichtsunterricht vermitteln zu können, muss der Unterricht als zielgerichteter, historischer Lernprozess geplant werden. Dabei muss die Lehrperson einzelne Entscheidungen darüber treffen, welche Ziel- und Inhaltsdimension behandelt werden soll, welche Medienwahl getroffen wird und welche Methode bzw. welcher Lernort gewählt wird. [1] Im Folgenden werden hier die unterschiedlichen Aspekte in Bezug auf Ziel-Inhalt und Medien erörtert.

Die Ziel-Inhalts-Dimension von Geschichtsbewusstsein

Die Lernzielorientierung hat in den letzten zehn Jahren durch PISA wieder an Bedeutung gewonnen. Im Fachbereich Geschichte unternehmen Didaktiker schon seit längerem den Versuch, Lernziele des Geschichtsunterrichts konsensfähig zu formulieren. Doch nur mit mäßigem Erfolg definiert sich dadurch die Antwort auf „die Frage nach dem „“Kern des Faches““, also „welche Wissensbestände angeeignet, welche Fähigkeiten und Fertigkeiten erworben und welche Haltungen und Einstellungen aufgebaut werden müssen.“ [2] In diesem Zusammenhang soll nun geklärt werden, welche Ziele bzw. Kompetenzen gebildet werden müssen, um modernes Geschichtsbewusstsein zu entwickeln.

Obwohl die Debatte um Bildungsstandards und Kompetenzen in der Geschichtsdidaktik derzeit kontrovers geführt wird, lassen sich doch einige Ziele erkennen, die in Bezug auf das Geschichtsbewusstsein konsensfähig zu sein scheinen. Betrachtet man die Theorieansätze von Pandel, Rüsen, von Borries oder auch der VGD (Verband für Geschichtslehrer) (um nur einige zu nennen), kann man davon ausgehen, dass Geschichtsbewusstsein als Ziel

  • (historische) Identität bildet und entwickelt
  • eine zeitliche Orientierungsfunktion in der eigenen Lebenswelt übernimmt
  • selbstständiges Denken und Handeln ermöglicht
  • Urteilsbildung und Kritikfähigkeit schult
  • Narrativität als Kompetenz historischer Rekonstruktion und Ergebnispräsentation bildet
  • Welt-, Geschichts- und Selbstverständnis fördert

Die FUER-Gruppe [3] definiert als „Leitidee eines modernen Geschichtsbewusstsein“ einen „reflektierten und (selbst-) reflexiven Umgang mit Geschichte“. [4] Als „reflektiert“ versteht man historisches Denken dann, wenn es „durch transparente/plausible Argumentationsstrukturen und durch die Bindung an wissenschaftlich fundierte Methoden für den Umgang mit Vergangenheit und mit fertigen Geschichten objektiviert wird.“ [5] Der „(selbst-) reflexive Umgang mit Geschichte“ besteht dann, „ wenn u.a. die Möglichkeiten historischer Orientierung wahrgenommen und Prinzipien wie Perspektivität und Konstruiertheit erkannt werden.“ [6] Demnach verfügt man über reflektiertes und selbstreflexives Geschichtsbewusstsein, wenn man sich darüber bewusst ist, dass...

… jeder Blick in die Vergangenheit aus der Gegenwart erfolgt
… zwischen „Vergangenheit“ und „Geschichte“ unterschieden werden
… Re-Konstruktion von Vergangenheit stets Funktionen erfüllt: Legitimation politischer Entscheidungen, Identitätsbildung, Unterhaltung u.v.m. und dies Auswirkungen auf die Geschichtsdarstellung hat
… jede Geschichtsdarstellung durch Selektivität der Wahrnehmung und durch die Maßstäbe der Gegenwart stark geprägt wird
… die Gesetze des jeweiligen Mediums (Film, Roman u.a.) die Geschichtsdarstellung in je spezifischer Weise prägen
… Wahrnehmung von Geschichte individuell erfolgt: abhängig von der Sozialisation, den Interessen, der politischen Überzeugung usw.

Ohne weiter auf das Kompetenzmodell der FUER-Gruppe im Detail einzugehen, sei noch erwähnt, dass als Voraussetzung für reflektiertes und selbstreflexives Geschichtsbewusstsein die Dekonstruktions- und Rekonstruktionskompetenz gesetzt wird. [7] Bei der Re-konstruktion wird ausgehend von einer historischen Frage unter Anwendung historischer Methoden Geschichte konstruiert. Das bedeutet, dass historische Quellen erst analysiert und interpretiert werden, um sie anschließend in Bezug auf die historische Frage in historische Narrationen einzubinden. Bei der De-konstruktion werden fertige Geschichten auf ihre „(Tiefen-) Struktur“ analysiert. Dabei wird die vorliegende Narration darauf untersucht, was sie über die Vergangenheit aussagt, auf welche Weise und in welchem Kontext sie erzählt wird und welcher Gegenwartsbezug in ihr hergestellt werden kann bzw. welche Orientierung dadurch gegeben wird.

Wie weiter oben schon beschrieben, kann historisches Lernen im Kern als Bildung von Geschichtsbewusstsein durch historisches Erzählen und historisches Denken verstanden werden, dessen Tätigkeitsbereich weit über den Geschichtsunterricht hinausgeht . In diesem Sinne versteht sich historisches Lernen als lebenslanger, dynamischer Lernprozess [8], dessen grundlegendes Ziel der Aufbau und die Förderung von narrativer Kompetenzen darstellt. Dabei begreift man unter narrativer Kompetenz zunächst „das Vermögen, Geschichten bilden, verstehen und erzählen zu können.“ [9] Aufgrund dieser Vorstellung sollte es auch „die vornehmste Aufgabe des Geschichtsunterrichts sein, nicht (nur) Ereignisse zu erörtern, sondern Erzählzusammenhänge zu vermitteln und Schüler in die Lage zu versetzen, Geschichte zu erzählen und erzählte Geschichte zu verstehen.“ [10] Ein signifikanter Unterschied besteht demnach zwischen der reinen Beschreibung von Ereignissen und der narrativen Darstellung, welche einen erkenntnisproduzierenden Vorgang definiert. Ist man beim Berichten vielfach um eine möglichst ‚nüchterne’ Darstellungsweise bemüht, müssen bei einer Narration Zusammenhänge zu eigenen Erfahrungen, Erwartungen und Orientierungen hergestellt werden. [11] Es geht also darum, eine eigene Wertung historischer Ereignisse vorzunehmen und daraus mögliche Handlungsoptionen für die Gegenwart und Zukunft zu gewinnen.

Um bildungspolitisch anschlussfähig zu bleiben, plädieren einige Geschichtsdidaktiker dafür , sich nicht nur auf eine Kompetenz zu versteifen, sondern diese auszudifferenzieren um weitere Kompetenzbereiche zu erschließen [12]. In den letzten zehn Jahren entstanden so verschiedene Kompetenzmodelle, welche das Ziel des Geschichtsunterrichts in Bezug auf das Geschichtsbewusstsein zu beschreiben versuchen. Im Folgenden sollen einige davon kurz erläutert werden.

1) Das Kompetenzmodell von Michael Sauer (2002) Dieses Modell basiert auf den „Bildungsstandards Geschichte“, welche vom Verband der Geschichtslehrer Deutschlands (VGD) vorgelegt wurde. [13] Dabei unterscheidet er die Sachkompetenz und die Methodenkompetenz, wobei die Orientierungskompetenz unter den Aspekt der Sachkompetenz gestellt wird, und bezieht sich ausschließlich auf die Schule und den Geschichtsunterricht. Der kognitive Aspekt des historischen Lernens wird hier außer Acht gelassen [14]

2) Das Kompetenzmodell von Peter Gautschi (2009) Auch dieses Modell bezieht sich eng auf den Geschichtsunterricht und schulisches Geschichtslernen, jedoch ist es inzwischen mehrmals überarbeitet worden und, im Vergleich zu Sauer, besser theoretisch fundiert. Gautschi gliedert hier die narrative Kompetenz in vier Teilbereiche auf und unterscheidet zwischen der Wahrnehmungskompetenz für Veränderungen in der Zeit, der Erschliessungskompetenz für historische Quellen und Darstellungen, der Interpretationskompetenz für Geschichte und der Orientierungskompetenz für Zeiterfahrung. [15]

3) Das Kompetenzmodell von Hans-Jürgen Pandel (2005) Im Gegensatz zu den vorhergehenden Modellen bezieht Pandel geschichtliches Lernen nicht ausschließlich auf die Institution Schule, sondern begreift dieses als Bewältigungsprozess für das gesamte Leben. Dabei unterscheidet er zwischen der narrativen Kompetenz, der Interpretationskompetenz, der Gattungskompetenz und der geschichtskulturellen Kompetenz. [16]

4) Das Kompetenzmodell von der FUER-Gruppe (2006) Dieses Modell beinhaltet die Vorstellung, dass historisches Denken ein Erkenntnisprozess ist und basiert auf dem Regelkreis der historischen Denkform von Rüsen (1983). Hier wird ebenfalls das gesamte Leben als historischer Lernprozess gesehen und nicht nur die Schule. Dadurch definieren sich drei dynamische und eine statische Kompetenz, nämlich die historische Fragekompetenz, die historische Methodenkompetenz, die historische Orientierungskompetenz und die historische Sachkompetenz. [17]

Auch wenn hier deutlich wird, wie unterschiedlich die Auffassungen von den zu bildenden Kompetenzen und somit die Zielsetzung von Geschichtsbewusstsein im Geschichtsunterricht sind, kristallisiert sich doch eine Gemeinsamkeit heraus: Kompetenzen ermöglichen dem Lernenden, sich mit Problemen, die bei der Vergangenheits- und Gegenwartsbewältigung auftreten, auseinanderzusetzen. Daraus resultiert, dass Kompetenzen grundlegende Voraussetzungen und gleichzeitig das Ergebnis von historischem Lernen darstellen. „Alle Kompetenzbereiche müssen an historischen Inhalten ausgebildet, angewendet und ausdifferenziert werden.“ [18] Dabei bilden historische Inhalte „das Substrat, an dem sich Kompetenzen erwerben und entwickeln lassen und an welchem sie zu tragen kommen.“ [19] Mit der Auswahl von Inhalten wird grundlegend die „Komplexität der Sachbegegnung“ entschieden, also was von dem Universum des Historischen schlussendlich übrig bleibt, wenn Geschichte in der Schule gelehrt und didaktisch reduziert wird. Auch die Anordnung der Inhalte ist von entscheidender Bedeutung. Sie beeinflusst wesentlich die „Differenziertheit der Erklärungsmuster“ der SchülerInnen. [20] Das bedeutet, dass es einen maßgeblichen Unterschied macht, ob Geschichte zum Beispiel als chronologische Aneinanderreihung von Ereignissen behandelt wird oder ob ein thematischer Längsschnitt vorgenommen wird, bei dem „unter einem Teilaspekt ganze Epochen oder universalgeschichtliche Zeiträume durchschritten werden, um Kontinuität, Entwicklung, Veränderung in einem beschränkten Teilbereich sichtbar zu machen“. [21] Bei der Auswahl und Anordnung von Inhalten ist zu beachten, dass es SchülerInnen dadurch gelingt, „Strukturen zu erkennen, wichtige Zusammenhänge über längere Zeiträume hinweg zu verfolgen und Bezüge zu ihrer eigenen Gegenwart herzustellen.“ [22]

Joachim Rohlfes konstatiert bei einem Versuch Lernziele im Geschichtsunterricht allgemeingültig zu legitimieren, dass Ziel- und Inhaltsdimension voneinander nicht zu trennen sind. „Ziele ohne Inhalt sind leer, Inhalte ohne Ziele konturlos.“ [23]

Die Medien-Dimension von Geschichtsbewusstsein

Geschichte lässt sich, dadurch das die vergangene Zeit unwiderruflich vorbei ist, nicht direkt erfahren. Um uns aber Vergangenes bewusst machen zu können und Ereignisse, die eigentlich schon vorbei sind, zu vergegenwärtigen müssen wir auf historische Medien zurückgreifen. Dadurch erlangen wir Wissen und Sichtweisen über die Vergangenheit. Als Geschichtslehrer müssen wir uns dieses Wissen nicht nur selber aneignen, wir müssen dieses Wissen auch vermitteln. Um Geschichtsbewusstsein bei den SchülerInnen zu erzeugen und zu entwickeln ist der Einsatz von Medien im Geschichtsunterricht unumgänglich. Jedoch müssen sie mit bedacht ausgewählt und eingesetzt werden, um dem geschichtsdidaktischen Anforderungen in Hinblick auf das zu bildende Geschichtsbewusstsein gerecht zu werden. Im folgenden wird hier der theoretische Ansatz Pandels in Bezug auf Medien historischen Denkens und Lernens näher erläutert. [24]

Unter einem Medium versteht Pandel „eine bestimmte Form der Präsentation historischen Wissens.“ [25] Aufgrund dieser Definition verwendet Pandel im folgenden den Begriff der „Präsentationsformen“, da ihm die unterschiedliche Verwendung des Medienbegriffs und die Vielfältigkeit der Medienarten im Allgemeinen zu ungenau ist. Für ihn müssen Medien aus geschichtsdidaktischer Sicht den Anforderungen des historische Denkens und Lernens entsprechen und auf dessen Eigenart Rücksicht nehmen. [26]

Zunächst sei kurz der erkenntnistheoretische Unterschied zwischen Quellen und Darstellungen zu klären, der in der Geschichtsdidaktik von fundamentaler Bedeutung ist. Unter Quellen allgemein werden alle Materialien (Texte, Bilder, Gegenstände , Filme, Karten usw.) verstanden, die in der Vergangenheit möglichst zeitnah und zeitgleich zu den in ihnen beschrieben Ereignissen entstanden sind und uns in der Gegenwart vorliegen. Darstellungen hingegen können als Konsens der Wissenschaft angesehen werden, die die gesamten Kenntnisse einer Zeit über eine andere zusammenfassen und, wie der Name schon sagt, darstellen. Im Gegensatz zu Quellen sind Darstellungen zeitgebunden, das bedeutet, dass sie den aktuellen Stand der Forschung reproduzieren und unter zeitgenössischen Aspekten ihrer Gegenwart heraus interpretiert und erörtert werden, während Quellen immer die subjektive Perspektive des Verfassers widerspiegeln.

Pandel definiert eine weitere Erscheinungsform, nämlich die der Imagination. Darunter versteht er „geschichtskulturelle Objektivationen“, bei denen der Verfasser (z.B. Schriftsteller, Künstler, Filmregisseure) sich rein fiktionaler Mittel bedient um Geschichte darzustellen. In diesem Zusammenhang definiert Pandel zwei Kontinua, auf die sich diese sogenannten „Präsentationsformen“ beziehen: Zum einen zwischen Authentizität und Fiktion (Authentizitätsgrad), zum anderen zwischen Gegenwart und Vergangenheit (Historisierungsgrad). [27] Folgende Tabelle verdeutlicht die Gattungsvielfalt der unterschiedlichen Medien [28]:

Gattungsvielfalt der unterschiedlichen Medien nach Pandel

Weiter erläutert Pandel, dass keine Präsentationsform (Quelle, Darstellung, Fiktion) für sich allein in der Lage ist, alle Erwartungen und Ziele historischen Denkens und Lernens zu erfüllen. Deshalb besteht er auf sechs Forderungen, die für den Umgang mit Medien in Hinblick auf das Geschichtsbewusstsein zu berücksichtigen sind: [29]

1)Historisches Lernen stellt Authentizitätsansprüche

„Die Forderung nach Authentizität beruht auf unserem Geschichtsbewusstsein, das nach den Quellen fragt, aus denen das Wissen stammt, das jeweils präsentiert wird“. [30] Die Geschichtsdidaktik fordert deshalb, das historisches Lernen sich mit und an Medien „durch unterschiedlich starken Bezug auf Quellen charakterisiert.“ Authentizität ist Voraussetzung für jede Quellengattung (sprachlich, visuell und sachlich), denn sie begründet die „Echtheit und Zuverlässigkeit“ von diesen. Dabei ist Echtheit nicht mit Wahrheit zu verwechseln, denn eine Quelle oder ihre Aussage gilt als authentisch, wenn sie zeitnah und zeitgleich zu den Ereignissen der Vergangenheit entstanden ist, unabhängig davon, ob ihr Inhalt der Wahrheit entspricht oder nicht. Pandel nimmt zur Verdeutlichung das Beispiel der Aussage Walter Ulbrichts zum Mauerbau 1961: „Niemand hat die Absicht, eine Mauer zu errichten.“ Die Aussage ist authentisch, weil sie tatsächlich getätigt worden ist, sie entspricht aber keinesfalls der Wahrheit. [31]

2)Historisches Lernen ist Anwendung von Kritik

Historisches Lernen bezieht sich hier auf die Wirklichkeitsdimension von Geschichtsbewusstsein. Wie oben schon beschrieben, stellt historisches Lernen und Denken einen Authentizitätsanspruch an Medien, der nicht unbedingt der Wahrheit entsprechen muss. Daraus erhebt sich der Anspruch der kritischen Betrachtung und Kontrolle. Quellen sind immer perspektivisch, vertreten eine subjektive Ideologie und sind emotional oder sogar fiktional angehaucht. Das historische Wissen, das durch die verschiedenen Präsentationsformen zum Ausdruck kommt, ist demnach immer durch die Ansichten und Gefühle der Quellenautoren beeinflusst. Diese Perspektivität muss beim Lernen mit Medien berücksichtigt werden.

Pandel nennt in diesem Zusammenhang folgende mögliche Gründe für eine solche „Verzerrung“ :“:

  • Standort (ethisch, religiös, sozial, politisch, kulturell, ethnisch, Gender)
  • Weltbilder (Ideologien, Wertvorstellungen, Glaubenswelten)
  • Mentalitäten (kollektive Denkweisen und Denkgewohnheiten)
  • Interessen (ökonomische, politische, kollektive, individuelle)
  • Gattungsspezifik der Präsentationsformen (fiktionale und empirische, visuelle und schriftliche Formen)

Auch Emotionen spielen bei Medien immer eine Rolle. Kein Mensch ist gefühllos, weder der Verfasser noch der Rezipient. Deshalb erzeugt die Auseinandersetzung mit Medien im Unterricht bei den SchülerInnen Gefühle wie Sympathien, Wut, Trauer etc. Des weiteren ist zu verhindern, dass ein Medium, welches eine bestimmte Ideologie beinhaltet, nicht zum Transporteur dieser Ideologie avanciert und sich ein „ideologischer Transfer vom Medium“ in den Köpfen der SchülerInnen manifestiert. „Das ideologiekritische Verfahren muss eine selbstverständliche Denkweise des Schülers werden.“ [32]

3)Historisches Lernen befriedigt Sinnlichkeitsbedürfnisse

Dieser Anspruch ergibt sich aus dem Umstand, das authentische Quellen eine „Faszination der sinnlichen Erfahrung“ auslösen. Das bedeutet, dass modernisierte Medien für SchülerInnen zwar leichter verständlich sind (Originalsprache wird „übersetzt“ in heutiges Hochdeutsch, Fotos werden auf Hochglanzpapier gedruckt oder Tondokumente akustisch überarbeitet), aber ihr historischer Charakter dadurch vernichtet wird. Originale Medien besitzen eine Aura, eine gewisse Faszination, die nur Originale erzeugen können. So macht es einen Unterschied, ob die SchülerInnen z.B. einen originalen Faustkeil oder ein gutes Replikat in der Hand halten oder nur ein Abbild dessen betrachten. Abhängig vom eingesetzten Medium kann die Lernort-Dimension hier eine große Rolle spielen, da ein Besuch im Museum oder im Archiv oder eine historische Ausstellung diesem „Bedürfnis nach sinnlicher Erfahrung“ eher gerecht werden kann als die Umgebung im Klassenzimmer.

4)Historisches Lernen verlangt Mehrsinnigkeit

Geschichte lässt sich nicht allein durch Texte oder Bilder erklären und bewusst erfahren. Unter Mehrsinnigkeit versteht Pandel, „einen historischen Sachverhalt nicht nur an einer Präsentationsform aufzuzeigen, […] sondern er sollte durch Schrift, Bild, Ton, Zahl und Gegenstand mehreren Sinnen zugänglich gemacht werden.“ [33] Das Lebensgefühl vergangener Zeiten soll durch Rekonstruktion vergangener Lebensweisen nachempfunden werden können. Dies ist auch deshalb wichtig, da jede/r SchülerIn unterschiedliche Voraussetzungen mitbringt um einen Zugang zur Geschichte zu bekommen. Gerade SchülerInnen aus bildungsfernen Schichten werden benachteiligt, wenn im Unterricht der Umgang mit schriftlichen Medien dominiert.

Jede Präsentationsform spricht durch unterschiedlich „mediale Kodierungen (Schrift, Zahlen, Bildzeichen, Töne)“ verschiedene Kognitionen an, die individuell wahrgenommen werden. Um diese Kodierung zu entschlüsseln benötigen die SchülerInnen verschiedene Erkenntnisweisen und -techniken (Lesen, Schreiben, Hören, Sehen, Tasten, Schmecken). Dies kann im Zuge von Interpretation und Analyse von schriftlichen Medien erfolgen, historische Gegenstände können gewogen, gemessen, gezeichnet oder beschrieben werden, Lebensmittel aus vergangenen Zeiten (Steckrübe, Gewürze, Zuckerrohr, Stockfisch etc.) können einbezogen werden oder auch Musik kann eingesetzt werden um „die Fülle von vergangenen Lebensäußerungen zu vergegenwärtigen.“ [34]

5)Historisches Lernen verlangt Erzählzusammenhänge

Da die verschiedenen Präsentationsformen oft nur einzelne Aussagen über vergangene Ereignisse enthalten, ist es oft schwer diese im Unterricht in einen strukturierten Erzählzusammenhang zu bringen. Zeitliche Verläufe und Prozesse können SchülerInnen anhand von Einzelquellen (z.B. Bilder) nicht erkennen, da diese meist nur Momentaufnahmen darstellen. Zwar erfüllen Quellen den Anspruch der Authentizität, jedoch können sie keine Narrativität erzeugen. Narrative Sinnbildung ist die Leitidee eines jeden Medieneinsatzes.

Dafür bietet sich hier eher die historische Darstellung an, da durch sie der erzählende Charakter besser zum Ausdruck kommt und Zusammenhänge historischer Ereignisse deutlich werden. Deshalb ist es für den Lehrenden bei der Unterrichtsplanung wichtig, sich nicht nur auf einzelne Medien zu beschränken, „sondern Arrangements von Präsentationsformen zusammenzustellen.“ [35]

6)Historisches Lernen verlangt Identitätserweiterung

Damit ist nicht die Bildung von individueller Identität gemeint, sondern dass der/die SchülerIn sich als Mitglied einer Sozialgruppe betrachtet und somit seine individuelle Identität auf eine „transtemporale“ ausweitet. Unter der transtemporalen Identität versteht Pandel, das das Gruppenzugehörigkeitsgefühl, das „Wir“, sich bei einem Individuum in die Vergangenheit hinein erstreckt. Dabei identifiziert sich das Individuum mit Personen und Ereignissen in der Vergangenheit, die eine Rolle innerhalb der sozialen Gruppe spielen. Bei der Medienauswahl ist hierauf Rücksicht zu nehmen, da SchülerInnen gerade in unserer heutigen multikulturellen Gesellschaft unterschiedliche kulturelle Identitäten besitzen und auch davon abhängt, wie Medien und deren Wirkung wahrgenommen werden. Damit sind nicht nur nationale Unterschiede gemeint, auch soziale Schichten (Arbeiterschaft, Bürgertum), Geschlecht und Religion schließt dieser Aspekt mit ein.

„Um Kinder und Jugendliche nicht bereits zu Beginn ihrer Lebensgeschichte auf bestimmte politisch erwünschte oder staatlich geforderte Identitäten festzulegen, gilt für die Auswahl der Präsentationsformen das Prinzip der Multiperspektivität , der Grundsatz, historische Ereignisse aus unterschiedlich sozialen Sichtweisen darzustellen.“ [36] In diesem Zusammenhang spricht sich Pandel dafür aus, einen geeigneten „Verwendungskontext“ im Geschichtsunterricht zu schaffen, der Interpretationsspielräume, Diskursivität, Reflexivität, Individualisierung und Differenzierung ermöglicht. Medien müssen folglich so ausgewählt werden, das Lehrer wie SchülerInnen die Freiheit haben, eigene Sinnbildungen zu erzeugen. Lehrervorträge, darstellende Schulbuchtexte, strategisch-instrumenteller Medieneinsatz oder auch administrierte Moral engen dieses Prinzip ein und lassen nur eine Kommunikationsrichtung zu, nämlich die vom Lehrer vorgegebene zum Schüler. Aus diesem Grund ist der Medieneinsatz so zu strukturieren und zu konzipieren, dass die SchülerInnen die Möglichkeit haben, sich eigene Sozialgruppen zu wählen und „dass die Medien inhaltlich ein sozialgeschichtlich differenziertes Spektrum an Identifikationsangeboten anbieten und enthalten müssen.“ [37]

  1. vgl. Pandel 1997, 383
  2. Gautschi et al. (2009), 2
  3. ausführliche Beschreibung dazu unter http://www1.ku-eichstaett.de/GGF/Didaktik/Projekt/FUER.html
  4. Vgl. FUER-Gruppe (2013)
  5. ebd.
  6. ebd.
  7. vgl. ebd.
  8. vgl. Jeismann 1988, 11
  9. Barricelli (2005), 7- 8
  10. Pandel (2010), 10
  11. vgl. Barricelli 2005, 79
  12. vgl. dazu Jeismann 2000, 63; Gautschi et al. 2009, 8
  13. vgl. hierzu VGD (o.J.)
  14. vgl. Günther-Arndt 2003, 36
  15. vgl. Gautschi et al. 2009, 8ff
  16. vgl. Pandel 2005, 24-43
  17. vgl. Schreiber et al. 2006, 20
  18. Gautschi et al.(2009), 11
  19. Körber (2007), 142
  20. vgl. Schönemann (2003a), 57
  21. Schmid (1974), 54
  22. Schönemann (2003a), 57
  23. Rohlfes 1997, 364
  24. vgl. Pandel 2013a
  25. ebd., 271
  26. vgl. ebd., 272-273
  27. vgl. Pandel 2013a, 275-277
  28. ebd., 280
  29. vgl. ebd., 281-289
  30. ebd., 281
  31. ebd., 282
  32. ebd., 283
  33. ebd., 286
  34. ebd., 286
  35. ebd., 287
  36. ebd., 288
  37. ebd., 289