Grundlagen der Geschichtskultur: Unterschied zwischen den Versionen

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Nicht jede Erinnerung ist gleich eine historische Erinnerung. Erst wenn durch einen Selbstbezug die Vergangenheit vergegenwärtigt wird, lässt sich von historischer Erinnerung sprechen. Dieser Selbstbezug könnte beispielsweise durch die autobiographische Erinnerung (Erinnerung, die die eigene Lebenszeit umfasst) geschehen. Da diese Zeitspanne allerdings sehr eng ist, sollte der Selbstbezug schon länger als die eigene Lebenszeit in der Vergangenheit liegen, um wirklich als historisch angesehen werden zu können. Die Vergangenheit sollte also älter sein als man selbst, um eine Zukunftsperspektive daraus gewinnen zu können, indem Vergangenes bewusst gemacht, und somit auf die Zukunft bezogen werden kann. Dabei ist die Wahrnehmung und Deutung, die Orientierung und die Zwecksetzung der eigenen, menschlichen Lebenspraxis von großer Bedeutung<ref> Rüsen 2008, S.238 </ref>.
Nicht jede Erinnerung ist gleich eine historische Erinnerung. Erst wenn durch einen Selbstbezug die Vergangenheit vergegenwärtigt wird, lässt sich von historischer Erinnerung sprechen. Dieser Selbstbezug könnte beispielsweise durch die autobiographische Erinnerung (Erinnerung, die die eigene Lebenszeit umfasst) geschehen. Da diese Zeitspanne allerdings sehr eng ist, sollte der Selbstbezug schon länger als die eigene Lebenszeit in der Vergangenheit liegen, um wirklich als historisch angesehen werden zu können. Die Vergangenheit sollte also älter sein als man selbst, um eine Zukunftsperspektive daraus gewinnen zu können, indem Vergangenes bewusst gemacht, und somit auf die Zukunft bezogen werden kann. Dabei ist die Wahrnehmung und Deutung, die Orientierung und die Zwecksetzung der eigenen, menschlichen Lebenspraxis von großer Bedeutung<ref> Rüsen 2008, S.238 </ref>.


Die Verbreitung einer solchen historischen Erinnerungen geschieht meisten narrativ. Durch das Erzählen vergangener Geschichte wird die Erinnerung erst vergegenwärtigt.  
Die Verbreitung einer solchen historischen Erinnerungen geschieht meisten narrativ. Durch das Erzählen vergangener Ereignisse wird die Erinnerung erst vergegenwärtigt.


=== Dimensionen der Geschichtskultur ===
=== Dimensionen der Geschichtskultur ===

Version vom 15. Januar 2014, 15:02 Uhr

L.Ruf, S. Paralikidou (Jan. 2014)

Was ist Geschichtskultur?

Geschichtskultur befasst sich mit der „Art und Weise, wie eine Gesellschaft mit Vergangenheit und Geschichte umgeht“ (Hans-Jürgen Pandel) und ist eine „praktisch wirksame Artikulation von Geschichtsbewusstsein […] einer Gesellschaft“ (Jörn Rüsen)[1].

Unter Geschichtskultur versteht man somit den Umgang der Gegenwart mit Geschichte, „[...] also die durch das Geschichtsbewusstsein geleistete historische Erinnerung“[2]. Geschichtskultur ist, wie der Name schon sagt, abhängig von den landesspezifischen Gesellschaften und ihren aktuellen politischen und ethischen Gegebenheiten, sie unterscheidet sich demnach von Nation zu Nation.

Durch Faktoren wie Familie, Schule und Medien oder aber durch eigene unmittelbare Erfahrungen als Zeitzeuge, bildet jeder Mensch seine eigenen Bilder und Vorstellungen von Vergangenem. So erinnert sich jeder Mensch individuell - allerdings wird er dabei ständig von der Gesellschaft beeinflusst. Im Gegensatz zum Geschichtsbewusstsein führt die Geschichtskultur somit zu einem kollektiven Erzeugnis, individuelle Erinnerungen werden in der Gesellschaft gesammelt und somit kollektiv und für jeden zugänglich gemacht.

Demnach kann man Geschichtskultur als soziales System betrachten: In verschiedenen Institutionen (WO?), wie Universitäten und Schulen, beschäftigt man sich mit verschiedenen Professionen (WER?), wie Geschichtsprofessoren und -lehrer, welche bestimmte geschichtliche Medien (WIE?) sich als nützlich, bildend oder als Erlebnis für die Publika (FÜR WEN?) erweisen.

Entstehung des Begriffs Geschichtskultur

Obwohl sich die Menschen schon in vergangenen Epochen ständig mit Geschichte beschäftigt und auseinandergesetzt haben, und man daher laut Definition (Umgang der Gegenwart mit Geschichte) von Geschichtskultur spricht, wird der Begriff jedoch meist der heutigen Zeit zugeordnet.

Gerade in den vergangenen Jahrzehnten hat die Geschichtskultur immer mehr an Bedeutung gewonnen. Aufgrund der vermehrten „Geschichtsverarbeitung“ in den Medien und dem damit gesteigerten Interesse, wurde ab den 1970er Jahren verstärkt versucht, dem Geschichtsverlust entgegenzuwirken. Geschichtsverlust meint in diesem Fall das Verdrängen, Ignorieren oder gar das Verleumden von vergangenen geschichtlichen Ereignissen. Durch diesen „Aufarbeitungskult“ wurde damals versucht, den Menschen die Auseinandersetzung mit Geschehenem (besonders im Bezug auf die nationalsozialistische Vergangenheit Deutschlands) durch Historiker, Medien und Schule wieder verstärkt ins Bewusstsein zu rufen[3].

Dabei sollte Geschichte allerdings nicht mehr nur im schulischen und universitären Kontext auftreten, sondern außerschulisch und außerwissenschaftlich auch in der Öffentlichkeit und dem Alltag an Bedeutung gewinnen. [4] Dies sollte dazu führen, Geschichte subjektiv und auch aus anderen Perspektiven zu betrachten. [5] Das nun vermehrte öffentliche Interesse an der Vergangenheit war Auslöser für die Eröffnung vieler geschichtlicher Museen, dem Erscheinen einer Menge nationalgeschichtlicher Bücher, der verstärkten Auseinandersetzung mit der nationalsozialistischen Vergangenheit und der vermehrten Behandlung von historischen Themen in Presse, Radio und Fernsehen. Dieses breit gefächerte und aus dem rein schulischen Kontext gelöste Angebot an Geschichte sorgte (und sorgt noch immer) für eine Vielzahl verschiedener Möglichkeiten des historischen Lernens und Erinnerns.

Daraus entwickelte sich erstmals der Begriff der Geschichtskultur, von dem zwar 1984 schon gesprochen wurde, der allerdings in den 90er Jahren von Jörn Rüsen im Sinne der heutigen Geschichtsdidaktik erstmals gebraucht wurde.

Geschichtskultur nach Rüsen

Laut Jörn Rüsen, bezeichnet Geschichtskultur allgemein den gemeinsamen Umgang einer Gesellschaft mit der Vergangenheit. Dies kann durch verschiedene Institutionen wie Schulen, Universitäten, Museen oder aber auch durch verschiedene Medien, Denkmalpflege und andere Institutionen geschehen, welche somit zu Orten der kollektiven Erinnerung werden.

Um den Begriff der Geschichtskultur aber ein wenig vom Geschichtsbewusstsein abzugrenzen, verwendet Rüsen in diesem Zusammenhang auch den Ausdruck „historische Erinnerung“.

Historische Erinnerung

Nicht jede Erinnerung ist gleich eine historische Erinnerung. Erst wenn durch einen Selbstbezug die Vergangenheit vergegenwärtigt wird, lässt sich von historischer Erinnerung sprechen. Dieser Selbstbezug könnte beispielsweise durch die autobiographische Erinnerung (Erinnerung, die die eigene Lebenszeit umfasst) geschehen. Da diese Zeitspanne allerdings sehr eng ist, sollte der Selbstbezug schon länger als die eigene Lebenszeit in der Vergangenheit liegen, um wirklich als historisch angesehen werden zu können. Die Vergangenheit sollte also älter sein als man selbst, um eine Zukunftsperspektive daraus gewinnen zu können, indem Vergangenes bewusst gemacht, und somit auf die Zukunft bezogen werden kann. Dabei ist die Wahrnehmung und Deutung, die Orientierung und die Zwecksetzung der eigenen, menschlichen Lebenspraxis von großer Bedeutung[6].

Die Verbreitung einer solchen historischen Erinnerungen geschieht meisten narrativ. Durch das Erzählen vergangener Ereignisse wird die Erinnerung erst vergegenwärtigt.

Dimensionen der Geschichtskultur

Des Weiteren unterteilt Rüsen die Geschichtskultur in drei komplex verflochtene und sich gegenseitig beeinflussende Dimensionen, die die historische Erinnerung regulieren:

Ästhetische Dimension:

Hiermit ist gemeint, sich Geschichte in ästhetischer oder künstlerischer Form anzunähern, welche oft Schönheitskriterien unterliegt und daher einer wirklichen historischen Erinnerung meist fremd ist. Sie tritt häufig in historischen Romanen und Filmen auf, wobei es vielen Lesern dabei schwerfällt, zwischen Fiktion und wahren Gegebenheiten zu unterscheiden. Im Gegensatz dazu, lässt sich in Werken von Historikern häufiger von wirklicher historischer Erinnerung sprechen[7].


Politische Dimension:

Historische Erinnerung zeigt sich oft deutlich in politischen (Herrschafts-)Symbolen, die durch politische Feiertage, Denkmäler, Gedenkfeiern oder Traditionen zu einer politischen und kulturellen Orientierung führen (sollen). Sie wird hierbei nach gewissen bestehenden oder vergangenen Machtkriterien geformt und ist sehr stark an die kulturellen Gegebenheiten gebunden[8].


Kognitive Dimension:

Hierbei steht die (Geschichts-)Wissenschaft selbst im Vordergrund. Sie wird nach Wahrheitskriterien strukturiert und dient der Reflexion und Deutung von Geschichte (sowohl analytisch als auch methodisch)[9].


Geschichtskultur nach Pandel

Hans-Jürgen Pandel beschreibt Geschichtskultur als Aufgabe der Geschichtsdidaktik. Er meint „Viel zu wissen, ist zu wenig“[10].

Geschichtslehrer/innen vermitteln nichts über Geschehnisse der Gegenwart und der Kultur und somit findet auch keine Wahrnehmung von Geschichtskultur statt[11]. Didaktiker und Lehrer empfinden, dass der Geschichtsunterricht in der Schule das gesamte Leben eines Schülers ausfüllt. Dabei gibt es jedoch noch ein Leben außerhalb und nach der Schulzeit. Fakt ist, dass zwei Geschichtsunterrichtsstunden pro Woche einhundert Freizeitstunden gegenüber stehen[12].

Die Kultusministerien mit ihren Bildungsstandards unterstützen die Denkweise eines chronologisch ablaufenden Unterrichts, der nur auf Merkwissen ausgerichtet ist. Damit fehlt der Bezug der Historie zur Gegenwart und es findet eine Gegenwartsvergessenheit statt. Die in den Bildungsplänen beschriebene Kompetenzorientierung unterstützt die Gegenwartsvergessenheit, denn es geht dabei nicht um Kompetenzen, die nötig sind, um sich in der Alltagswelt zurechtzufinden. Ein Beispiel dafür wäre, den Schülern eine Orientierung an Tages- und Wochenzeitungen zu ermöglichen und sich nicht nur am Schulbuch festzuhalten.

Nach Pandel können Öffentlichkeit und Schule den Umgang eines Schülers mit Geschichte nur unter den Kategorien „Wissen“ und „Wissensdefizit“ fassen. Dadurch werden oft die Schlüsse gezogen, SchülerInnen würden nicht viel wissen. Was aber, wenn Schüler sehr wohl durch den Geschichtsunterricht vermitteltes Wissen besitzen, aber nicht wissen wie man damit umgeht? Harald Welzer spricht von einem „Übermaß an Wissen“[13], und meint damit das Vorwissen und die Orientierungskompetenz der SuS, die sich sowohl positiv als auch negativ auf das alltägliche Verhalten eine Schülers auswirken können. Die Geschichtskultur soll hierbei aus einem individuellen Geschichtsbewusstsein als Verständnis im Verhalten und Umgang mit Historie im Alltag resultieren.

Drei „Geschichtskulturelle Defizite“ der Geschichtsdidaktik

Zunächst fehlen entsprechende Begriffe und Kategorien, um mit Geschichtskulturellen Objekten und Ereignissen im Alltag umzugehen.

Zweitens fehlt eine Methodik der Geschichtskultur, die den SuS den Umgang mit „Geschichtskulturellen Objekten und Ereignissen“ erschließt. Hierbei wird eine doppelte Methodik benötigt: Eine Methodik des unterrichtlichen Vorgehens der Lehrkräfte und eine Methodik des interpretierenden Erschließens, bei den Schülern ansetzen soll. Der Hauptgesichtspunkt dabei ist, dass Historisches Denken nicht im Wissenschaftlichen Denken aufgehen darf.

Zum dritten Punkt werden die beiden oben genannten Punkte in einer Entwicklung des Konzeptes einer geschichtskulturellen Kompetenz zusammengefasst.[14]

Rahmenbedingungen

Geschichtskultur ist nicht ins Bild gesetzte Geschichtsschreibung, wie sie im Geschichtsunterricht dargestellt wird. Sie öffnet Schülern „den Blick für das Kontrafaktische, das Andere und nicht das Affirmative.“[15]

Geschichtskultur geht demnach nicht nach der „naturalen“ [16], der natürlichen (chronologischen) Zeitfolge, denn die Schüler müssen lernen, sich in der Zeit zu orientieren. Man spricht hierbei von einer Chronologie der Wahrnehmung. Dazu kommt, dass kulturelle Ereignisse kontextlos wahrgenommen werden und man sich selbst einen Kontext generieren muss. Ein Beispiel dafür wäre, dass, obwohl man nach dem Lehrplan die Thematik der Industriellen Revolution behandelt, das Thema verschoben beziehungsweise unterbrochen werden sollte, wenn gerade eben ein neuer Film über den Nationalsozialismus in den Kinos erschienen ist. Die Schüler und Schülerinnen werden sich den Film möglichst bald ansehen wollen, wissen aber nicht wie sie mit dem Gesehenen umzugehen haben. Das bedeutet, man sollte die momentane Thematik der Unterrichtseinheit an einer anderen Unterrichtsstunde fortsetzen, da es von Priorität ist, den SuS ein Verständnis mitzugeben, wie sie mit dem lebensweltlich-relevanten Film und seiner Thematik umgehen und diese verarbeiten können.

Anstelle von „historisch-politischer Bildung“ sollte nunmehr von „historisch-kultureller Bildung“ gesprochen werden, da der erste Terminus den Eindruck erwecken kann, der Geschichtsunterricht würde von Politikunterricht dominiert und nicht genug Raum für weitere Forschungsbereiche der Geschichtswissenschaft frei lässt.

Um der Problematik des „kulturellen“ [17] Analphabetismus entgegenzuwirken, sollte die Geschichtskultur in jeder Schulform gelehrt werden. Denn eine Einführung in Geschichtskultur und Entwicklung einer geschichtskulturellen Kompetenz befähigt zur kulturellen Teilhabe an aktuellen Geschehnissen für jedermann.

Funktionen der Geschichtskultur

  • Geschichtskultur wird im Zusammenhang mit Historischem Wissen gelebt: man zeigt nicht auf etwas und kann das erlernte Wissen dabei aufsagen
  • Durch Vergangenheitsreferenzen (Bezüge gegenwärtiger Ereignisse auf die Vergangenheit) werden Objekte der Geschichtskultur als kulturelle Tatsachen definiert. Individuelle Deutungen folgen, wie zum Beispiel in Historischen Romanen oder Filmen.
  • Ein Bezug zu jedem anderen Aspekt des alltäglichen Lebens, wie zum Beispiel der Kunst, wird hergestellt.
  • Kulturelle Tatsachen prägen und sind Geprägtes zugleich. Sie ermöglichen Bildung und Ausdruck von individuellem Geschichtsbewusstsein und die Auseinandersetzung mit dem Geschichtsbewusstsein anderer.
  • Jede kulturelle Tatsache ist einmalig und an eine bestimmte Art von Erinnerung gekoppelt. Dabei können durch Betrachtung einer solchen kulturellen Tatsache Bezüge zur Gegenwart hergestellt werden.
  • Durch Geschichtskultur bekommt die Handlungsdimension von Geschichte wieder eine Bedeutung. Kulturelles Handeln wird ermöglicht
  • Individuelle Vorgänge des Sinnbildens und Sinnverstehens werden ermöglicht (siehe unter Aufgaben und Ziele).[18]

Geschichtskulturelle Kompetenz

Ohne diese Kompetenz ist Geschichtskultur nicht erfahrbar. Sie wird benötigt, damit SuS mit „kulturellen Objektivationen“ [19] umzugehen lernen. Pandel beschriebt eine solche Kompetenz als „die Fähigkeit, sich mit wissenschaftlichen, rhetorischen, imaginativen, kontrafaktischen und diskursiven Formen gegenwärtiger Darstellung von Geschichte auseinanderzusetzen.“[20]

Ziel der Vermittlung von geschichtskultureller Kompetenz ist, dass geschichtskulturell kompetente SuS wissen, wie der Prozess von historischen Fakten zu aktuellen kulturellen Tatsachen verläuft und dabei Konvergenzen und Divergenzen kennen, ohne in das übliche Verhaltensmuster zu verfallen, wie : „So ist das aber nicht gewesen........Und ich habe gelernt, dass.........“[21]


Darstellung von Geschichtskultur

Bei der Frage danach, wie Gesellschaften die Vergangenheit vergegenwärtigen, spielen zum Einen der Inhalt (WAS wird vergegenwärtigt?), die kommunikative und mediale Darstellungsform (WIE wird etwas vergegenwärtigt?) und die Adressaten (FÜR WEN wird etwas vergegenwärtigt?) eine große Rolle. Dabei steht nicht unbedingt im Vordergrund, was oder wem, sondern WIE etwas vergegenwärtigt wird.

Kommunikative Darstellungsform

Geschichtsdarstellungen tauchen in der Kommunikationsgesellschaft immer häufiger auf. Daher betont Klaus Füßmann die Wichtigkeit der angemessenen Darstellung von Geschichte in der Geschichtskultur. Historiker können mit Hilfe der Geschichtsdarstellung historische Erinnerungen für die Gesellschaft verständlich machen. Dies geschieht in sechs Schritten[22]:

  1. Retrospektivität
    Sie meint den zeitlichen Standpunkt des Geschichtsinterpreten. Von der Gegenwart aus „erinnert“ sich dieser rückwirkend an Vergangenes, kann dabei jedoch Vorheriges und auch Zukünftiges mit einbeziehen.
  2. Perspektivität
    Die Perspektive, also der Blickwinkel mit dem der Interpret auf die Vergangenheit schaut, ist stets abhängig von dessen persönlichen, sozialen, politischen oder auch kulturellen Ansichten.
  3. Selektivität
    Von diesem Blickwinkel aus werden wichtige von unwichtigen historischen Erinnerungen getrennt. Da sie aber abhängig von der Wahrnehmung, Deutung,Orientierung und der Motivation des Interpreten ist, ist sie in der Regel nur selten objektiv. Dies kann in speziellen Fällen zur Ausblendung von bestimmten historischen Ereignissen führen.
  4. Sequenzialität
    Um einer geschichtlichen Darstellung eine Struktur zu geben, müssen die selektierten Ereignisse (Sequenzen) organisiert und somit in eine zeitliche Abfolge oder Chronik gebracht werden, was zu einer inneren Verknüpfung führt.
  5. Kommunikativität
    Als nächstes stellt sich die Frage, an wen die geschichtliche Darstellung gerichtet ist. Erst durch ein entsprechenden Rezipienten kann aus einer historischen Information eine Kommunikation entstehen.
  6. Partikularität
    Die dargestellten Geschichten können immer nur einen kleinen Teil der Geschichte umfassen und sich nie auf die ganze Geschichte beziehen. Daher fragt die Partikularität unter anderem auch danach, wie einmalig die historische Darstellung ist.


Mediale Darstellungsform

Gerade im heutigen Zeitalter hat die mediale Geschichtsdarstellung immer mehr an Bedeutung gewonnen. Durch das große Angebot und die enorme Vielfalt an Medien wird eine Auseinandersetzung mit der Geschichte vereinfacht und für jeden verfügbar. Dies macht Geschichte alltagstauglicher, was zu einer Vielzahl an medialen Darstellungsformen führt:

  • Bilder
  • Karikaturen
  • Sachbücher
  • Romane
Natürlich können auch Romane Geschichte darstellen. Allerdings dienen viele dieser Historienromane meist der Unterhaltung und legen daher viel Wert auf Ästhetik, Imagination oder Fiktion. Dies führt dazu, dass gegebene Fakten als real wahrgenommen werden und somit ein verfälschtes Bild der Vergangenheit entstehen kann.
  • Filme
Filme sind gerade bei jungen Menschen ein beliebtes Medium, um sich mit Geschichte auseinanderzusetzen. Doch ähnlich wie bei den Romanen geht es dabei mehr um den Marktwert, als um den geschichtlichen Wert. Geschichte wird in Historienfilmen und Dokumentationen daher oft besonders dramatisch und reißerisch dargestellt und erzählt.
  • Museen
Museen sind sowohl kommunikative als auch mediale Darstellungsformen von Geschichte. In ihnen wird die kollektive Erinnerung besonders deutlich, da viele individuelle historische Erinnerungen gesammelt und für die Gesellschaft öffentlich gemacht werden.
  • Web 2.0
Das Internet bietet viele Möglichkeiten zur Geschichtsdarstellung. Von virtuellen Stadt- oder Museumsrundgängen bis hin zur Erkundung historischer Karten oder der Erstellung eigener Videos oder Comics. Es gibt eine Vielzahl neuer Anwendungen, die die Verarbeitung und Darstellung von Geschichte vereinfachen und damit besonders eine junges Publikum ansprechen.


Bei dieser Vielfalt an Medien ist eine reflektive und kritische Auseinandersetzung besonders wichtig. Zum einen muss die Lehrkraft darauf achten die passenden Darstellungsformen für den Geschichtsunterricht zu wählen. Zum anderen sollten die SuS lernen verschiedene Medien kritisch zu betrachten und ihren geschichtlichen Wert zu erkennen.


Ziele und Aufgaben der Geschichtskultur

Geschichtskultur wird über verschiedene Elemente vermittelt. Zum einen sind das verschiedene Institutionen, wie beispielsweise Universitäten, Schulen, Museen, Archive, Bibliotheken oder andere kulturelle Einrichtungen. Auch Personen können Geschichtskultur vermitteln. Zu diesen sogenannten Agenten gehören Professoren, Geschichtslehrer, Museumsfachleute, Archivare und Bibliothekare. Neben diesen und weiteren kommunikativen Vermittlern gibt es natürlich auch die Medien (wissenschaftliche Texte, Schulbücher, Sachbücher, politische Reden, Zeitungs-Artikel, Denkmäler, Gedenkstätten, historische Feste und viele weitere). Die Empfänger werden Adressaten genannt und sind somit auch Mitglieder des Erinnerungskollektivs einer Gesellschaft.

Die verschiedenen Vermittler von Geschichtskultur haben die Aufgabe die historische Erinnerung öffentlich und alltagstauglich zu machen. Diese Erinnerung wird von den bereits erwähnten Dimensionen (ästhetische, politische, kognitive Dimension) reguliert. [23]

Auch ist es Aufgabe der Geschichtskultur, das Wissen eines jeden, in dem Sinne auszubilden, dass ein jeder, dieses in Bezug auf den Alltag setzten kann und ein Verständnis dafür entwickelt, wie man mit dem Wissen im Alltag umzugehen hat.

Objekte der Geschichtskultur kulturelle Tatsachen.[24] Gegenwärtige Hervorbringungen bzw. Objekte, die sich auf Geschehnissen der Vergangenheit beziehen. Demnach ist es Aufgabe der Geschichtskultur im Geschichtsunterricht eine rational – aufklärende Form zu haben, die den Kindern in der Schule, den Umgang mit solchen Objekten, in ihrem Alltag, beibringt. Damit dies geschehen kann, ist es Ziel das Sinnverstehen und Sinnbilden eines jeden zu fördern. Das sind Prozesse der kommunikativen Erfahrungen und Verständigungsprozessen. Das bedeutet, das Ziel ist, das Verstehen von Sinn und sinnvoller Verständigung. Dabei gibt es kein richtig oder falsch. Es sind dann individuelle Vorgänge um sich „selbst, einen Reim“ darauf zu machen“. [25]


Umsetzung im Geschichtsunterricht

Da die SchülerInnen in ihrem Alltag ständig mit den vielzähligen Angeboten der Geschichtskultur konfrontiert sind, muss der Geschichtsunterricht auch die Befähigung zur kompetenten und kritischen Teilnahme an der Geschichtskultur anstreben. Die Schülerinnen und Schüler sollen in der Lage sein, die gegenwärtigen Erscheinungen von Geschichtskultur zu entdecken, sie zu analysieren und gegebenenfalls zu nutzen. Auch ist es von Vorteil, einen Blick auf Geschichtskulturen der Vergangenheit zu werfen, um somit deren Bedeutung hervorzuheben und Vergleiche zur Gegenwart zu ziehen. Gerade die Geschichtskultur im regionalen Umfeld der Schüler sollte genauer besprochen und analysiert werden, da der Alltagsbezug hierzu besonders hoch ist. [26]

Oft fehlen die finanziellen Mittel und die Zeit, um Geschichtskultur auch an außerschulischen Lernorten zu thematisieren. Daher ist es von Vorteil, dass es mittlerweile eine Vielzahl an Angeboten im Web 2.0 gibt. [27] Virtuelle Rundgänge, das Erstellen interaktiver Zeitleisten oder geschichtlicher Blogs machen es möglich, dass die Schülerinnen und Schüler sich auf unterschiedlichste Weise mit Geschichtskultur beschäftigen können. Dies führt zu einem kreativen und abwechslungsreichen Geschichtsunterricht, wie auch zusätzlich zur Schulung des Umgangs mit digitalen Medien.

Möglichkeiten der Umsetzung

Beispiel: [28]

SuS sollen kulturelle Tatsachen von Faktenwissen unterscheiden können; sie sollen lernen, mit kulturellen Tatsachen, die sich in kulturellen Objektivationen zeigen, umzugehen. Geschichtskulturell kompetente SuS müssen wissen, wie sie vom Faktenwissen zu kulturellen Tatsachen kommen.

Nehmen wir zur Veranschaulichung die Skulptur von Maurizio Cattelan „HIM“, die er 2001 geschaffen hat. Hier wird Hitler dargestellt, wie man ihn aus dem Geschichtsunterricht nicht kennt: Die Skulptur ist nur 1,40 cm groß, „HIM“ kniet und hält seine Hände vor dem Bauch verschränkt zusammen. Die SuS lernen, dass diese Skulptur in keinem Zusammenhang mit den niedergeschrieben Fakten steht, sondern eine ohne Worte individuelle Interpretation des Künstlers ist.


Selbst entwickelte Umsetzungsmöglichkeiten

Eine Umsetzung in den Geschichtsunterricht wäre möglich durch ein historisches Ereignis und dessen besondere Beziehung zu einem Objekt, welches noch heute präsent ist. Dessen Bedeutung könnte den SuS durch einen Besuch des Objektes näher gebracht werden. Eine anschließende Diskussion mit Reflexionsarbeit auf Seiten der SuS hilft ihnen, ihr Geschichtsbewusstsein zu intensivieren und in Diskussionen ihre Geschichtskultur auszuprägen.

Eine andere Möglichkeit wäre gegeben, wenn man sich beispielsweise am Anfang der Unterrichtsstunde Zeit nimmt und mit den Schülern aktuelle Zeitungsartikel und Fernsehprogramme wahrnimmt und analysiert, die einen historischem Hintergrund haben. Zum Beispiel: „Warum ist der 1.Mai, der Tag der Arbeit?“.

Auch könnte man in einer Unterrichtsstunde mit einem Film als Vergleichsmaterial arbeiten. Beispielsweise der Film „Inglorious Basterds“ von Quentin Tarantino. Man kann den Film im Unterricht vorführen, um eine Diskussion und Reflexion über den Wahrheitsgehalt der Szenen durchzuführen: „ Was denkt ihr über die Gruppe Inglorious Basterds? Gab es solche Soldaten wirklich? Oder vielleicht etwas ähnliches? Was meint ihr?“. Ein anderes Beispiel dafür wäre die vierteilige Serie von Ken Follets „ Die Säulen der Erde“, die mit dem Mittelalter, Englischer Geschichte und Rittertum in Verbindung gebracht werden könnte.

Auch ein Kinobesuch wäre in diesem Zusammenhang in Betracht zu ziehen, wenn ein Film neu veröffentlicht wird. Denn die Schüler und Schülerinnen werden sich den Film dann anschauen, wenn er gerade „in“ ist. Beispielsweise der Film „Django – Unchained“, der erst kürzlich (2012) in den deutschen Kinos zu sehen war, bietet viel Diskussionsstoff zum Thema amerikanische Sklaven und der Zeit des Wilden Westens. Das würde auch das individuelle Geschichtsbewusstsein der Schüler und Schülerinnen fördern.

Schulabschlussfahrten bieten auch Möglichkeiten, die Geschichtskultur der Klassengemeinschaft zu fördern. Beispielsweise eine Abschlussfahrt nach Berlin. Berlin besitzt eine Vielzahl (historischer) Denkmäler und Museen, die Geschichte beinhalten – wie auch die Stadt an sich selbst einen historischen Lernort darstellt. Die Geschichte der Stadt könnte den Schülern und Schülerinnen praktisch veranschaulicht werden. Schon bevor man die Reise antritt, kann den Schülern und Schülerinnen die Aufgabe gestellt werden, sich in Gruppen auf einen Aspekt der Geschichte der Stadt vorzubereiten und dann anschließend bei der Erkundung der Stadt die Plätze und Objekte besuchen, die zu ihrem Thema relevant sein könnten.

Eine weitere Umsetzungsmöglichkeit wäre es, Schüler und Schülerinnen im Rahmen eines Projektes ein historisches Theaterstück in einer modernen Version, die zum Beispiel mit der Bewältigung des Alltags zu tun hat, aufführen zu lassen. Die Recherche zu dem Stück und ihren Rollen müssten die Schüler und Schülerinnen jeweils selbst verrichten, um sich in die Perspektive besser hineinversetzen zu können. In gemeinsamen Besprechungen und Diskussionen im Klassenraum können die bisher gesammelten Ergebnisse zusammengetragen, analysiert und reflektiert werden. Dadurch wird nicht nur die Geschichtskultur gefördert, sondern prägt gleichzeitig das Individuelle Geschichtsbewusstsein jedes einzelnen Schülers aus und bringt ihn dazu, sich mit seiner eigener Person auseinanderzusetzen und sich selbst zu reflektieren.

Eine andere Umsetzungsmöglichkeit wäre auch die Erstellung eines Comics mithilfe einer Web 2.0 Anwendung. Eine der vielfältigen Möglichkeiten, die Schülern einen Umgang voll kreativer Möglichkeit mit einem bekannten und oft genutzten Medium bietet, wäre die Anwendung „Pixton“. So können Narrationen entstehen, die beispielsweise einen Vergleich zwischen Vergangenheit, Gegenwart und sogar Zukunft ermöglichen. An kreativen Ausdrucksmöglichkeiten finden Schüler recht schnell Freude und lernen noch dazu einen sinnvollen Umgang mit- beziehungsweise Nutzungsmöglichkeiten des Web 2.0. Somit entwickeln Schüler und Schülerinnen oft einen neuen Blickwinkel für bisher Unbekanntes und können auch ihre Kreativität und Fantasie fördern - die in jedem Alter von großer Bedeutung ist.


Mögliche Probleme der Umsetzung im Geschichtsunterricht

  • Die vorgegebenen Lehr- und Bildungspläne schränken die Einbindung von Geschichtskultur in den Geschichtsunterricht deutlich ein.
  • Die gesamte Vielfalt der Geschichtskultur ist zu umfangreich, um sie komplett in den Geschichtsunterricht einbeziehen zu können.
  • Bislang fehlen noch konkrete Umsetzungsmöglichkeiten im schulischen Kontext.
  • Die Vorbereitung nimmt sehr viel Zeit in Anspruch.
  • Die Umsetzung ist oft mit zeitlichem und finanziellem Aufwand verbunden.
  • Da die Einbindung der Geschichtskultur häufig auch mit außerschulischen Lernorten verbunden ist, ist die Umsetzung nicht immer möglich.


Belege

Agentur für Bildung – Geschichte, Politik und Medien e.V. (2012). „Geschichtskultur im Netz.“ http://lernen-aus-der-geschichte.de/Lernen-und-Lehren/content/10090. (aufgerufen am 06.03.2013)

Füßmann, Klaus (1994). „Historische Formungen. Dimensionen der Geschichtsdarstellung.“ In: Füßmann, Klaus; Grütter, Heinrich Theodor; Rüsen, Jörn (Hrsg.). Historische Faszination – Geschichtskultur heute, S. 27-44. Köln, Weimar, Wien: Böhlau Verlag.

Landesbildungsserver Baden-Württemberg (2004). Bildungsstandards für Geschichte – Realschule. http://www.bildung-staerkt-menschen.de/service/downloads/Bildungsstandards/Rs/Rs_G_bs.pdf. (abgerufen am 10.03.2013)

Landesbildungsserver Baden-Württemberg (2012). Bildungsstandards für Welt-Zeit-Gesellschaft – Werkrealschule. http://www.bildung-staerkt-menschen.de/service/downloads/Bildungsstandards/WRS/WRS_WZG_bs.pdf. (abgerufen am 13.03.2013)

Pandel, Hans-Jürgen (2009). Geschichtskultur. Die Anwesenheit von Vergangenheit in der Gegenwart. Schwalbach: Wochenschau Verlag.

Pandel, Hans-Jürgen (1987). Dimensionen des Geschichtsbewusstseins – Ein Versuch, seine Struktur für Empirie und Pragmatik diskutierbar zu machen. In: http://gd.e-learning.imb-uni-augsburg.de/book/export/html/961 (aufgerufen am 15.04.2013)

Rüsen, Jörn (2008). „Erinnerungsarbeit in der Geschichtskultur.“ In: Rüsen, Jörn (Hrsg.). Historische Orientierung, S.232-284. Schwalbach:Wochenschau Verlag.

Schönemann, Bernd (2000). „Geschichtsdidaktik und Geschichtskultur.“ In: Mütter, Bernd; Schönemann, Bernd; Uffelmann, Uwe (Hrsg.). Geschichtskultur Theorie-Empirie-Pragmatik, S. 26-59 Weinheim: Deutscher Studien Verlag.

Triepke, Sabine (2011). „Geschichtskultur und Erinnerungskultur.“ In: Fritz, Gerhard (Hrsg.). Fachwissenschaft Geschichte, S.19-28. Stuttgart: W.Kohlhammer.

Universität Augsburg. „Geschichtsdidaktische Grundbegriffe.“ http://gd.e-learning.imb-uni-augsburg.de/book/export/html/961. (aufgerufen am 15.04.2013)

Universität Bamberg. „Grundlagen der Geschichtsdidaktik.“ http://www.uni-bamberg.de/fileadmin/uni/fakultaeten/guk_professuren/didaktik_geschichte/Dateien/Grundlagen_der_Geschichtsdidaktik_Praesentationen/Gl_Sitzung_2.pdf (aufgerufen am 15.04.2013)


Verweise

  1. Triepke 2011, S.20
  2. Rüsen 2008, S. 242
  3. Triepke 2011, S. 21
  4. Schönemann 2000, S. 36
  5. vgl. Triepke 2011, S.21
  6. Rüsen 2008, S.238
  7. vgl. Rüsen 2008, S.243
  8. vgl. Rüsen 2008, S. 246
  9. vgl. Rüsen 2008, S.246
  10. Pandel 2009,S.19
  11. vgl.Pandel 2009,S19
  12. vgl.Pandel 2009,S19
  13. vgl. Pandel 2009,S.21
  14. vgl. Pandel 2009,S.23
  15. Pandel 2009,S.24
  16. Pandel 2009,S.24
  17. Pandel 2009,S.26
  18. vgl. Pandel 2009,S.27
  19. Pandel 2009,S.32
  20. Pandel 2009,S.32
  21. vgl. Pandel 2009,S.32
  22. vgl. Füßmann 1994, S. 32-36
  23. vgl. Triepke 2011, S.22
  24. vgl.Pandel2009,S.30
  25. Pandel 2009,S. 30
  26. vgl. Bildungsstandards Geschichte
  27. Internetartikel: Geschichtskultur im Netz, 2012
  28. vgl. Pandel 2009,S.21ff