Grundlagen der Schülerorientierung: Unterschied zwischen den Versionen

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'''Differenziert und Individualisiert''': Es muss eine innere Differenzierung der Klasse vollzogen werden. Erst dann lassen sich Methoden, Lernvoraussetzungen, Interessen und vor allem die Ziele, Inhalte und Methoden auf den jeweiligen Schüler oder die jeweilige Schülerin abstimmen.
'''Differenziert und Individualisiert''': Es muss eine innere Differenzierung der Klasse vollzogen werden. Erst dann lassen sich Methoden, Lernvoraussetzungen, Interessen und vor allem die Ziele, Inhalte und Methoden auf den jeweiligen Schüler oder die jeweilige Schülerin abstimmen.


==Unterrichtsformen==
Die folgenden Unterrichtsformen eignen sich nach Einsiedler & Härle und Gautschi in besonderem Maße für schülerorientierten Unterricht:<ref> vgl. Einsiedler & Härle 1976, S.216 ff. </ref><ref> vgl. Gautschi 2011 </ref>
1. Entdeckendes Lernen
2. Gruppenunterricht (allg.: Kooperative Unterrichtsformen)
3. Spielerisches Lernen
4. Metaunterricht und Metakommunikation
5. Außerschulische Lernorte
6. Oral- History
7. Freiarbeit
8. Projektunterricht





Version vom 27. November 2012, 12:46 Uhr

Definition

"Schülerorientiert unterrichten meint, die Lehrerzentriertheit zugunsten eines Unterrichts aufzugeben, der vom Schüler her, mit dem Schüler zusammen und auf den Schüler hin geplant und gestaltet ist."[1]

Ähnlich wie Abraham Lincoln in seiner Gettysburg Adress[2], legen Wiater&Votterle mit diesem Zitat einen demokratischen Grundstein – einen Grundstein für mehr Demokratie im Unterricht. Die Schülerinnen und Schüler[3] sollen also das Unterrichtsgeschehen aktiv mitgestalten dürfen. Doch wie äußert sich eine solche aktive Mitgestaltung und wozu braucht es sie? Sie äußert sich in der Wahl des Inhalts sowie in der Wahl von Zielen und Methoden der inhaltlichen Umsetzung. Und wenn schülerorientierter Unterricht "den Schüler oder die Schülerin aus der Rolle des bloßen Adressaten eines Informationstransportes herauslöst [Orig.: herauszulösen] und stattdessen zu selbstständiger Informationsbeschaffung und –verarbeitung anleitet [Orig.: anzuleiten]"[4], dann macht er es sich zum Ziel, die SuS durch Selbstbestimmung und Selbstregulierung zu mündigen Bürgern in der Gesellschaft zu machen. Wie schülerorientierter Unterricht aber nun konkret aussehen kann, wird Gegenstand dieses Artikels sein.

Grundannahme

Die Grundannahme schülerorientierten Unterrichts besteht darin, die SuS auf das Leben in einer demokratischen Gesellschaft und auf ihre Rolle als mündiger Bürger in dieser Gesellschaft vorzubereiten.[5] Dabei gilt die Lehrkraft insbesondere am Anfang als Role-Model. Schülerorientierter Unterricht kann also nicht ohne die Instruktionen der Lehrkraft auskommen, da die SuS zunächst auf das Führungsverhalten der Lehrkraft angewiesen sind.[6] Dieses angewiesen sein auf die Lehrkraft lässt zunehmend nach, denn die Entwicklung zur Mündigkeit setzt Selbstständigkeit voraus, die im schülerorientierten Unterricht – auch im Hinblick auf den Lernanreiz – auf Schülerseite entwickelt wird. Selbstständigkeit erleichtert das Lernen der SuS. Sie lernen also primär um des Lernens statt um des Inhalts willens.[7] Dies kann allerdings nur geschehen, wenn die SuS einen individuellen und an ihnen ausgerichteten Unterricht erfahren. Trotzdem ist schülerorientierter Unterricht nicht einfach nur an den SuS orientiert, sondern auch an Lehrkraft und Stoff. Er sollte daher den Prinzipien des didaktischen Dreiecks folgen:

Aus dem didaktischen Dreieck geht hervor, dass im Unterricht zwischen den drei zu berücksichtigenden Größen – Lehrkraft, Schüler oder Schülerin und Inhalt – eine Interdependenz besteht. Aufgabe der Lehrkraft ist es, Inhalte schülergerecht aufzuarbeiten und zu präsentieren. Die SuS sollten sich die Inhalte nicht nur durch Präsentationen der Lehrkraft, sondern unter Berücksichtigung der Ziele, die mit schülerorientiertem Unterricht verfolgt werden, auch durch Selbsttätigkeit aneignen können. Dabei darf der Inhalt trotzdem nicht vernachlässigt werden. Doch nicht nur die Beziehung auf der Ebene der Individuen und dem Inhalt ist zu beachten, sondern auch die Beziehung auf der Ebene der Individuen. So erklärt Hilbert Meyer in seinem Buch „Was ist guter Unterricht?“, dass ein angenehmes Klassenklima zum Lernerfolg beiträgt.[8] Dies beinhaltet, dass die Lehrkraft die SuS als Personen akzeptiert und respektiert – und umgekehrt. Die Klassengemeinschaft sollte frei von Vorurteilen und emotionalem Druck sein, sodass die SuS frei über ihre Gefühle und Einstellungen reden können. Als Lehrkraft muss also eine Balance zwischen diesen Größen im Unterricht gefunden werden, um diesen schülerorientiert zu gestalten. Welche Möglichkeiten bieten sich diesbezüglich in der Didaktik? Dies soll im Folgenden genauer erläutert werden.

Didaktische Grundüberlegungen

Schon die Reformpädagogik hat das Prinzip der Schülerorientierung wahrgenommen und hat in ihren Bemühungen das Schulsystem zu verändern, versucht diese zu berücksichtigen. Schon Hugo Gaudig hat die SuS als handelnde Objekte gesehen, die frei von Zwängen von sich aus lernen und sich selbst Ziele geben können.[9] Und nicht nur Gaudig war dieser Ansicht, schon lange vor ihm forderte Jean-Jacques Rousseau in Emile oder über die Erziehung eine "Erziehung vom Kinde aus".[10] Als weiterer Vertreter der deutschen Reformpädagogik setzte sich Berthold Otto für einen Gesamtunterricht ein, der nicht mehr auf Altersstufen oder Fächern basieren sollte. Vielmehr sollte in diesem Unterricht Bezug auf die Interessen der SuS genommen werden und aufkommende Fragen sollten gemeinsam besprochen und beantwortet werden.[11] Auch in den USA hielt die Reformpädagogik Einzug. John Dewey bemängelte die Passivität der SuS und wollte sie aus eben dieser herauslösen. Er gilt als der Hauptvertreter der Handlungsorientierung und dem daraus resultierenden "learning-by-doing", zum Beispiel dem Lernen am Experiment im Projektunterricht.[12] Jedoch fanden die Reformpädagogischen Ansätze nur schwer Einzug in die öffentlichen Schulen. Carl Rogers bezeichnete den schülerorientierten Unterricht sogar als "Bedrohung für die Lehrer"[13], da ihnen die Arbeit geraubt würde und es einen Mangel an Input gäbe. Schülerorientierter Unterricht ist also nicht unbedingt ein modernes Phänomen, auch wenn er seit einigen Jahren wieder vielfach im Gespräch ist. Vielmehr wurde schülerorientierter Unterricht, aus Gründen, die in dem Zitat von Rogers deutlich werden, in der Lehrerbildung lange ignoriert. Diese Ignoranz hat man heute zugunsten einer Berücksichtigung des schülerorientierten Unterrichts in der Lehrerbildung aufgegeben. Im Folgenden sollen daher nun zwei didaktische Orientierungen aufgezeigt werden, mit denen schülerorientierter Unterricht in der Praxis durchgeführt werden kann.

Interessenorientierung

Interessenorientierter Unterricht zielt, wie der Begriff schon erahnen lässt, einzig auf die Interessen der SuS ab. Dabei dürfen die SuS frei von jeglichem Druck von außen, sei es von der Lehrkraft oder von den Mitschülern und Mitschülerinnen, ihre Interessen in den Unterricht miteinbringen.[14] Es ist daher nicht notwendig eine von außen auferlegte Reglementierung des Schulalltags durchsetzen zu müssen. Vielmehr sollen die SuS in eigener Verantwortung ihren Schulalltag gestalten. Durch die Eigenverantwortung sollen die Hauptziele der Schülerorientierung - Selbstständigkeit und Mündigkeit - gestärkt werden. Allerdings entwickelt sich diese Selbstständigkeit nicht von alleine. Schülerinteressen sind in den häufigsten Fällen dem Zufall geschuldet und Unterricht darf unter keinen Umständen zu einem Zufallsprodukt verkommen. Einsiedler schreibt hierzu, dass "Interessen [Orig.: müssen] auch angeregt werden müssen, sie sind nicht nur Voraussetzung, sondern auch Ziel des Unterrichts".[15] Durch einen Unterricht, der rein an den Interessen von SuS orientiert wäre, würde man die wenigen SuS privilegiert behandeln, die schon mit Interessen und Fragen in die Schule kommen und diese artikulieren können. Schülergruppen hingegen, die sich noch unschlüssig über ihre Interessen sind, würde man vernachlässigen. Deshalb sollte man als Lehrkraft schon frühzeitig beginnen gesellschaftlich relevante Interessen anzuregen und zu fördern. So kann auch der Gefahr des Zufallsprodukts Unterricht entgegengewirkt werden. Aber nicht nur die Interessenbildung sollte einer gewissen Instruktion unterliegen, sondern auch die Regelfindung und die damit verbundene Selbstregulierung. Die SuS sollen sich selbst Regeln für den Unterricht setzen, was die Transparenz und die Einhaltung dieser unterstützt.[16] Zusammenfassend gilt bezüglich der Interessenorientierung, dass es wichtig ist auf die Interessen seiner SuS einzugehen und sie wahr- und vor allem ernst zu nehmen. Diesbezüglich kommt der Lehrkraft die zentrale Aufgabe zu, eine Balance zwischen Schülerinteressen und deren Relevanz für den Unterricht zu finden.

Situationsorientierung

Ein weiteres didaktisches Prinzip, wie Schülerorientierung im Unterricht erreicht werden kann, stellt die Situationsorientierung dar. Es sollten Situationen im Unterricht behandelt werden, die die „künftige Lebensweise der Schüler berücksichtigen“.[17] Dabei sollten die Situationen „real erfahrbare und aufklärbare Ausschnitte sozialer Wirklichkeit“[18] sein. Einsiedler nennt Beispiele wie Kinder im Krankenhausoder Neue Kinder in der Gruppe. Situationsorientierter Unterricht gipfelt in einer Unterrichtssituation, in der die Unterrichtsstruktur komplett aufgelöst wird, da Unterricht induktiv in der Situation selbst entsteht. Erstmals wird in der Unterrichtssituation das Handlungsziel über das Lernziel gestellt, das heißt, dass das Wie gelernt wird über dem Was gelernt wird steht. SuS sollen „Inhalte und Ziele entdecken, vorgegeben neu formulieren und interpretieren und an der Organisation ihres Lernprozesses mitwirken“.[19]

Merkmale

Einsiedler nennt zehn Merkmale schülerorientierten Unterrichts:[20]

Schüler als Subjekt des Lernprozesses: Die SuS sollen in die Planung und Durchführung des Unterrichts mit einbezogen werden. Dieser demokratische Unterricht fördert das Engagement der SuS, da Inhalte und deren Aneignung transparent werden.

Prozesslernen: Im schülerorientierten Unterricht steht der Prozess, wie die SuS sich Inhalte aneignen, im Vordergrund. Es geht um das experimentelle Herangehen an ein Problem und schließlich um die Bewältigung dieses Problems. Dabei sind auch durchaus Irrwege und Sackgassen zulässig, da diese Lernprozessen zugehörig sind.

Beziehungsebene: Im Klassenverbund soll eine positive Atmosphäre herrschen, in der man frei über Gefühle, Gewohnheiten, etc. reden kann. Die Einführung von Ritualen mit Schülerbeteiligung hilft hierbei.

Metakommunikation:[21] Das Gespräch über das Gespräch (z.B. nach dem Prozess der Inhaltsfindung) kann sowohl fester Bestandteil einer Unterrichtseinheit als auch situativ und spontan bedingt sein.

Symmetrische Kommunikation: Auch bei dieser Art der Kommunikation ist zuerst eine positive Atmosphäre Voraussetzung. Wenn diese geschaffen ist lassen sich auch vermehrt kooperative Unterrichtsformen (Tandem- oder Gruppenarbeit) im Unterricht sinnvoll einsetzen.

Sachbezug: Lerninhalte sollen für die SuS von Bedeutung sein. Dabei geht es beim Lerninhalt nur um die Sache und deren möglichst authentische und realitätsgetreue Präsentation.

Selbsttätigkeit: Die SuS sollen in einer anregungshaltigen Lernumwelt (also nicht nur im Klassenzimmer, sondern auch in der "Wirklichkeit") vielfältige Materialien zur Verfügung haben. Dabei ist zu berücksichtigen, dass diese Materialien zum Anfassen und zum selbstständigen Entdecken und Erleben geeignet sind.

Lernhilfe: Die Lerninhalte werden von der Lehrkraft so aufgearbeitet, dass sie ein Problem darstellen und zudem exemplarisch unanschaulich sind. Der Lehrer bietet den SuS dadurch eine gewisse Hilfe zur Selbsthilfe.

Veränderte Lehrfunktion: Die Lehrkraft löst sich heraus aus der traditionellen Rolle als alleiniger Informationsgeber und Motivator. Vielmehr ist er auch persönlicher Berater für die individuellen Fragen und Probleme der SuS. Er tritt also in Beziehung mit ihnen. Durch diese Menschlich-werdung der Lehrkraft wirkt sie authentisch.

Differenziert und Individualisiert: Es muss eine innere Differenzierung der Klasse vollzogen werden. Erst dann lassen sich Methoden, Lernvoraussetzungen, Interessen und vor allem die Ziele, Inhalte und Methoden auf den jeweiligen Schüler oder die jeweilige Schülerin abstimmen.

Unterrichtsformen

Die folgenden Unterrichtsformen eignen sich nach Einsiedler & Härle und Gautschi in besonderem Maße für schülerorientierten Unterricht:[22][23]

1. Entdeckendes Lernen 2. Gruppenunterricht (allg.: Kooperative Unterrichtsformen) 3. Spielerisches Lernen 4. Metaunterricht und Metakommunikation 5. Außerschulische Lernorte 6. Oral- History 7. Freiarbeit 8. Projektunterricht





  1. Wiater & Votterle 2007
  2. Auszugaus der Rede: "and that government of the people, by the people, for the people, shall not perish from the earth"
  3. Im Folgenden mit SuS abgekürzt
  4. Köck 2000, S. 213
  5. vgl. Riedl in Einsiedler/Härle 1976, S.18
  6. vgl. Riedl in Einsiedler/Härle 1976, S.18
  7. vgl. Einsiedler 1976, S 196
  8. Meyer 2011, S.47 ff.
  9. vgl. http://kw.uni-paderborn.de/fileadmin/kw/institute-einrichtungen/kunst-musik-textil/kunst/personal/mahs/Seminare/Power-Point_PDF.pdf 27.09.2012
  10. vgl. http://www.gah.vs.bw.schule.de/leb1800/erzikonz.htm 27.09.2012
  11. vgl. Einsiedler 1976, S.173
  12. vgl. http://www.uni-koeln.de/hf/konstrukt/reich_works/aufsatze/reich_52.pdf 27.09.2012
  13. Rogers 1974, S.160
  14. vgl. Einsiedler 1976, S. 175 f.
  15. Einsiedler/Härle 1976, S.177
  16. vgl. Einsiedler 1976, S. 177
  17. vgl. Einsiedler/Härle 1976, S.177
  18. Hemmer/Zimmer 1975
  19. vgl. Einsiedler/Härle 1976, S. 178
  20. vgl. Einsiedler 1976, S. 195 ff.
  21. Definition nach http://lexikon.stangl.eu/4591/metakommunikation/ (23.09.2012): Metakommunikation ist eine Kommunikationsebene über Kommunikation, also ähnlich der Metaanalyse im Bereich der Erkenntnisforschung, wobei die Gesprächspartner ihre Aufmerksamkeit auf eine höhere Ebene der Betrachtung verlangen und darüber sprechen, wie sie miteinander umgehen oder was sie im Moment stark beschäftigt. Dies verlangt von allen Beteiligten der Kommunikation Mut und auch die Bereitschaft verlagern sich selbst wahrzunehmen. Die Beteiligten sprechen in respektierter Distanz, aber Offenheit über ihr eigenes Kommunikationsverhalten.
  22. vgl. Einsiedler & Härle 1976, S.216 ff.
  23. vgl. Gautschi 2011