Grundlagen des Historischen Denkens

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T. Müller; K. Bischof (Jul. 2013); C. Knab, A. Schneider (Jan. 2014)

Historisches Denken ist die Fähigkeit des Menschen, die Gegenwart und Zukunft vor dem Hintergrund der Vergangenheit zu verstehen. Nicht nur die Geschichtswissenschaft bedient sich dieser Fähigkeit, historisches Denken findet auch und vor allem im Alltag statt. Es ist ein Ausdruck des Geschichtsbewusstseins.[1]

1. Definition

Historisches Denken (griechisch historíe, lat. historicus: Erkundung, bzw. die Historie betreffend; ahd. Thenken:)[2] dient nach Erhard Wiersing „im vollen theoretischen Sinne als eine mentale Form authentischer Orientierung von Handeln im zeitlichen Wandel“.[3], womit es unsere Vorstellung von Geschichte bestimmt. [4].

Explizit gilt das historische Denken als „die Fähigkeit des Menschen, das Hier und Jetzt in Richtung auf die Vergangenheit und auf die Zukunft willkürlich zu überschreiten“[5]. Der Mensch lebt den gegenwärtigen Moment also nicht unabhängig von den vorangegangenen. Je nachdem, welche Erfahrungen man im Leben gemacht hat, wird man sich in der Gegenwart und Zukunft verhalten. Hieran lässt sich gut erkennen, dass Historisches Denken „kein Spezifikum der Wissenschaft“ ist, sondern „immer und überall in der Gesellschaft statt(findet)“[6].

Der Mensch braucht eine Vorstellung von der Zukunft, wofür er sich die Vergangenheit als Bespiel nimmt. Rüsen spricht hier von „der Intentionalität“ des Menschen, die „ihn als Wesen definiert“[7]. So ist „alles historische Denken in seinen unterschiedlichsten Ausprägungen, also auch die Geschichtswissenschaft, [...] eine Artikulation von [Was ist Geschichtsbewusstsein? | Geschichtsbewusstsein]“[8].

Das Lernen historischen Denkens ist gleichzusetzen mit dem Erwerb historischer Kompetenzen wie die Frage-, Methoden-, Orientierungs- oder Sachkompetenz.[9].


2. Theorie der Geschichte - beziehungsweise die Geschichte des historischen Denkens

Geschichte bezeichnet die Vergangenheit beziehungsweise das Geschehene. Folglich entsteht Geschichte in jedem Moment und an jedem Ort. Die Menschen beschäftigen sich mit Geschichte, indem sie Geschehnisse und ihre Folgen notieren und daraus Schlüsse für die Gegenwart und Zukunft ziehen.

Da der Mensch jedoch ein reflexives Wesen ist, denkt er nicht nur über die Geschichte als solche, sondern auch über das Nachdenken per se reflektieren. „Das historische Denken (ist) also von seinen allerersten Ursprüngen an reflexiv...“[10] Die daraus entstandene Wissenschaftstheorie des historischen Denkens wird als Theorie der Geschichte bezeichnet.[11] Diese Theorie der Geschichte hat eine objektive, sowie eine subjektive Bedeutung. Unter der objektiven versteht man Geschichte als „den komplexen Zusammenhang, in dem sich alle menschliche Kultur, im Kleinen wie im Großen, in der Zeit ereignet und wandelt“[12]. Hingegen meint das subjektive Wesen „die Erforschung, das Wissen, die Deutung und die (re-) konstruktive Darstellung dieses Geschehenszusammenhanges oder einzelner seiner Teile“ [13]. Beachtet werden sollte hierbei, dass die Menschen, welche sich mit der Vergangenheit auseinandergesetzt haben, dies nie aufgrund der Theorie getan haben.

Die Entstehung des historischen Denkens setzt man gewöhnlich im 18. Jahrhundert, also zur Zeit der Aufklärung, an.[14]Trotzdem haben „Menschen bereits von der frühsten Zeit an Geschichte nicht nur, wie die Tiere, unbewußt ‚erfahren‘ sondern auch selbst ein Bewußtsein vom Wandel der Dinge, Menschen, Gedanken und Gefühle in der Zeit gehabt“[15]. Dies beweist beispielsweise noch in der Zeit vor Christi das Zitat des römischen Philosophen und Politkers Cicero: „Historia magistra vitae“[16] (Geschichte ist die Lehrmeistern des Lebens).

In den frühen Kulturen, die noch vor der Moderne lebten, zeigte sich das historische Denken vor allem durch mündliche Erzählungen über Alltagswissen und soziale Regeln sowie mythologisch-kulturelle Rituale. All das wurde von Generation zu Generation weitergegeben. Man lernte aus der Geschichte und den Erfahrungen der Vorfahren. Erst die Hochkulturen hielten das Wissen der Vergangenheit schriftlich fest. Es entstand eine Art Geschichtsschreibung, die jedoch noch nicht Teil einer eigenen Wissenschaft war.[17]

Das noch heute bestehende moderene Geschichtsbewusstsein haben jedoch besonders Montesquieu,Voltaire und französische Enzyklopädisten beeinflusst. Auch Rousseau leistete einen nicht zu unterschätzenden Beitrag.[18] So begriff man im 18. Jahrhundert Geschichte als „ein die Kultur und die ganze Natur konstitutiv verbindendes Prinzip und [...] ein zugleich unumkehrbarer, rückbezüglicher und in Grenzen zur Zukunft hin offener Prozeß“[19]. In der Gegenwart und Zukunft ist demnach stets ein Teil der Vergangenheit vorhanden.


3. Zwei mögliche Unterscheidungen (der Vermittlung)historischen Denkens

Wie Rüsen feststellt, ist historisches Denken eine „anthropologische Tatsache“[20]. Man kann nicht nicht historisch denken. Dieses menschliche Bedürfnis (zu denken) findet also zu jeder Zeit und an jedem Ort statt. Die Frage ist jedoch, ob das historische Denken überall gleich zu bewerten und zu behandeln ist.

Im privaten Umfeld trifft der Mensch stets andere Menschen, seien es Familienangehörige und Freunde oder kurze Bekanntschaften. Jeder dieser Individuen hat unweigerlich eigene geschichtliche Vorstellungen und Lebenseinstellungen. Wenn sich ein Mensch also mit diesen Personen unterhält, mit ihnen über bestimmte Themen diskutiert oder ihnen sogar lediglich bei einem Gespräch zuhört, werden diese Vorstellungen automatisch vermittelt. Nicht immer ist dem Menschen diese alltägliche Vermittlung bewusst, doch durch jede neue Darstellung des historischen Denkens wird die eigene Vorstellung erst einmal in Frage gestellt. Man muss sie neu definieren oder sogar verändern.

Die Vermittlung im nichtöffentlichen Umfeld hat einen großen Vorteil: Die Gliederung von Geschichte ist meist sehr anschaulich und verständlich. Jedoch gibt es auch entscheidende Nachteile: Gerade bei dieser Vermittlung im privaten Umfeld muss man als reflexives Wesen vorsichtig sein, denn sie ist meist eine subjektive Darstellung. So sind politische Einstellung oder Absichten oft einseitig, was auf einen Mangel an (Selbst-)Reflexion hindeuten kann. Desweiteren werden Theorien und Methoden bei dieser Art historischen Denkens vernachlässigt.[21]

Abgesehen von der alltäglichen Begegnung, werden vergangene Ereignisse von Personen vermittelt, die sich auf dem geschichtlichen Gebiet auskennen. Dies sind in den meisten Fällen Lehrer und Professoren. Natürlich haben auch diese Menschen eigene subjektive Vorstellungen, jedoch sollten gerade sie durch ihre Ausbildung am ehesten fähig sein, kritisch und reflexiv über Geschichtliches zu sprechen. Sie sollten unterschiedliche Bilder gegenüberstellen und ihre Schüler damit zu eigenen Reflexionen führen. Theorien und Methoden sind meist klar strukturiert, wobei sie natürlich die Komplexität steigern.


4. Regelkreis des historischen Denkens

Regelkreis des historischen Denkens [22]

Das Forschungsprojekt „FUER“ (Förderung und Entwicklung von reflektiertem Ge-schichtsbewusstsein), an dem verschiedene Geschichtsdidaktiker, -lehrer und -wissenschaftler beteiligt sind[23], beschäftigt sich mit dem Leitziel: „[…] (des) reflektierte (n) und (selbst-) reflexive(n) Umgang(s) mit Geschichte“[24]. Dabei wurde ein Regelkreis des historischen Denkens von den Geschichtsdidaktikern Wolfgang Hasberg und Andreas Körber enwtickelt, der auf den Grundlagen der geschichtstheoretischen Konzeption von Historik des Geschichtshistorikers Jörn Rüsens basiert.[25]

Im Gegensatz zu Rüsens Geschichts-Matrix, die auf Grundlagen des menschlichen Bedürfnisses nach Orientierung begründet ist, wird bei diesem Regelkreis das „Geschichtsbewusstsein“ als „dynamisch“[26] angesehen. Der Kreis zeigt, dass die „Lebenswelt“ und die „Geschichtswissenschaft“[27] in einer engen Beziehung zueinander stehen.

Wenn eigene Vorstellungen und Einstellungen zur Vergangenheit ins Wanken geraten, steht man vor einem „Handlungs- und Orientierungsproblem“[28] und es ist sinnvoll, sich mit der eigens formulierten historischen Frage auseinanderzusetzen. Dies bedeutet im Grunde, dass man eine Frage an die Vergangenheit stellt, um dadurch seine Probleme in der Gegenwart zu lösen. Diese Aufgabe kann mit Hilfe von „(Vor-)Wissen, Deutungen (Sachurteilen) und Vor-Urteilen“[29] durchgeführt werden.

Der Suchende wendet sich der Vergangenheit und Gegenwart zu und methodisiert seine Fragestellung, um so die Geschichte durch die „Basisoperationen“[30] der De- und Rekonstruktion zu betrachten. Dabei setzt sich der Fragesteller kritisch mit einer fertigen Erzählung (zum Beispiel Geschichtsbücher, Romane, Spielfilme) auseinander.Im Idealfall bedient er sich historischer Quellen, um so am Ende eine eigene „Erzählung über die Vergangenheit“[31] zu erstellen. Es fließen dabei die eigenen Ideen und Vorstellungen von Geschichte mit ein, die dann hinterfragt und erweitert werden. Während des ganzen Vorgangs werden die vier Kompetenzbereiche historische Fragekompetenz, historische Methodenkompetenz, historische Orientierungskompetenz und historische Sachkompetenz gefördert.[32]

Da es sich um einen Kreislauf handelt, wiederholt sich dieser Prozess der Fragestellung - über die Suche bis zur Findung der Antwort - immer wieder.
Das Modell ist sehr allgemein gehalten, es muss erst noch „ausdifferenziert“ [33] werden, wenn man es für den Geschichts-unterricht anwenden möchte.


5. Kompetenz-Strukturmodell des Historischen Denkens

Kompetenz-Strukturmodell des Historischen Denkens [34]

Das oben erwähnte „Projektteam FUER Geschichtsbewusstsein“ hat auch ein Kompetenz- Strukturmodell des Historischen Denkens erarbeitet, um so eine Grundlage zur Diskussion für die Bildungsstandards im Fach Geschichte zu ermöglichen.[35] Wie in anderen Fächern schon geschehen, soll auch auf Grundlage dieses Modells Testaufgaben und Bildungsstandards ausgearbeitet werden, um dadurch das erreichte Niveau der Schüler im Vergleich mit anderen Ländern, z.B. durch die PISA Studie, überprüfen zu können.[36] Dabei hat man sich unter anderem mit der Frage auseinander gesetzt, welche historischen Kompetenzen die Schüler im Geschichtsunterricht erlernen sollen und wie man diese im Nachhinein in einem Test sichtbar machen kann.[37].

Diese „Fähigkeit(en), Fertigkeit(en) und Bereitschaft(en), historisch zu denken “[38] sollen den Schülern in der Gegenwart und auch in der Zukunft helfen, sich mit ihrem Leben auseinanderzusetzen und es zu bewerkstelligen.[39] Der Geschichtsunterricht hat dadurch eine wichtige Bedeutung, da er direkt an die Lebenswelt der Lernenden anknüpft.[40]. „Die Grundlage für das Strukturmodell ist die narrativistische Geschichtstheorie“ [41].

Diese bezieht sich auch wieder auf die Gegenwart und die Möglichkeit der Lernenden dadurch, sich in der Gesellschaft und in ihrer Zeit, so wie in der Zukunft zu orientieren.[42] In der Schule stehen den Schülern die „Geschichten“ der Vergangenheit als „historische [Narration Grundlagen | Narrationen]“ zur Verfügung.[43]

Als Grundlage des Kompetenzmodells dient der oben schon beschriebene dynamische Regelkreis des historischen Denkens. Die vier Kompetenzen, die alle „aus dem Prozess des historischen Denkens“[44] abgeleitet werden können, werden dabei genauer betrachtet und in Verbindung miteinander gesetzt. Die Kompetenzen gelten als „Fähigkeit(en), Fertigkeit(en) (und) Bereitschaft (konkrete) Prozesse des historischen Denkens zu vollziehen bzw. über Prinzipien/Konzepte/Kategorien/Scripts historischen Denkens zu verfügen“[45]. Eine Verdeutlichung der Zusammenhänge zwischen den Kompetenzen kann man zum Beispiel anhand der Sachkompetenz nachvollziehen.[46]

Man geht davon aus, dass das historische Denken mit der Fragekompetenz beginnt, da eine „Verunsicherung“ oder ein „Interesse“[47] an einem bestimmten Thema entsteht und man in der Vergangenheit nach Antworten darauf sucht. Der Fragesteller ist auf der Suche nach einer Antwort, die ihm hilft, sich in der Gegenwart oder in der Zukunft zu orientieren, womit der Zusammenhang zur Orientierungskompetenz hergestellt wird.[48] Die heutige Situation wird aus der Perspektive der Vergangenheit betrachtet, um daraus Schlüsse ziehen zu können.[49]

Auch die Methodenkompetenz ist mit der historischen Fragekompetenz eng verbunden. Durch die Frage wird auch bestimmt, welche Quellen verwendet werden, um zur Lösung des Problems zu gelangen.[50] Die vierte Kompetenz, die auch enger mit der Methodenkompetenz in Verbindung steht, ist die Sachkompetenz, diese drückt aus, dass der Antwortsuchende in der Lage dazu ist, eine Frage an die Vergangenheit zu stellen. Es werden auf der Suche nach einer zufriedenstellenden Lösung Zusammenhänge hergestellt, was die Weiterentwicklung der Sachkompetenz vorantreibt.[51]

Wird man sich der Zusammenhänge, die auch zwischen den anderen Kompetenzen bestehen, bewusst, so ist man in der Lage, die „Prozesshaftigkeit“ und „Kumulativität der Kompetenzentwicklung“ (Sinnergebende Zusammenhänge)[52] zu erkennen.

Auch Lehrer und Lehrerinnen sollten ein Augenmerk auf dieses Kompetenzmodell und seine inneren Zusammenhänge richten, da der zu vermittelnde Lernstoff dazu beiträgt, die vier historischen Kompetenzen ihrer Schüler zu erweitern.[53] Das Modell beschäftigt sich jedoch nicht nur mit dem historischen Denken in der Schule, sondern es geht auch darüber hinaus.[54]


6. Empirische Forschungen zum historischen Denken im Unterricht

Die empirische Forschung in der Geschichtsdidaktik versuchte in den letzten Jahrzehnten herauszufinden, inwieweit sich das sehr theoretische Geschichtsbewusstsein nachweisen lässt. Dafür wurden Befragungen in Projekten wie „Das Geschichtsbewusstsein Jugendlicher“, „YOUTH“ und „HISTORY“ durchgeführt. Es wurde festgestellt, dass das historische Denken selbst nicht nachweisbar ist, sondern höchstens eine „geronnene Form“[55].

Das historische Denken ist allgemein schwer zu erfassen; denn zum einen kann das Denken des Individuums dabei nicht festgestellt werden, sondern nur die Erfassung der Verhaltensweisen, wie verbale und nonverbale Kommunikation, ist möglich. Im Geschichtsunterricht sind der Austausch und das Miteinander der Schüler untereinander fester Bestandteil, wodurch das Geschichtsbewusstsein gefördert und sichtbar gemacht wird. Außerdem werden Unterrichtsmaterialien wie schriftliche Quellen betrachtet. Die Schule bietet als eine von mehreren Instanzen den Schülern die Möglichkeit, einen Zugang zur Geschichte zu erlangen, woran die Forschung ansetzen kann.[56]

Zum anderen kann man zwar die Denkweisen der Schüler in Bezug auf Geschichte feststellen, was allerdings kein eindeutiges Indiz für historisches Denken per se ist. Der Geschichtsunterricht behandelt nicht unbedingt alltägliche Situationen. Dem Lehrer sollte dieser Umstand bewusst sein, weshalb er ihn in der Unterrichtsplanung berücksichtigen sollte. Aus diesem Grund ist es wichtig, dass die Schüler einen Gegenwartsbezug herstellen können und jenen in ihrem außerschulischen Leben anwenden können.[57].

Außerdem beschäftigen sich Forscher mit historischem Denken außerhalb des Klassenzimmers, damit sie feststellen können, ob das Gelernte in der Freizeit genutzt und umgesetzt wird. Deshalb ist es notwendig und unerlässlich, dass sich Menschen – unabhängig von der Schule, in welcher ein Grundwissen vermittelt wird – mit dem Thema Geschichte auseinandersetzen und darüber kommunizieren. [58]

Da historisches Denken als individueller Lernprozess verstanden werden kann, der durch das Zusammenspiel verschiedener historischer Kompetenzen gestaltet wird, ist es augenfällig, individuelle Lernwege zu ebnen, um solches Denken vorran zu treiben. [59] An dieser Stelle ist auf das Habilitationsprojekt Dr. Christoph Pallaskes hinzuweisen. Im Rahmen von „segu“ (selbstgesteuert entwickelter Geschichtsunterricht)[60] soll der Frage nachgegangen werden, ob sich Geschichtsbewusstsein durch selbstgesteuertes Lernen einstellen lässt, indem man historisches Denken mit einer offenen Lernform kombiniert.

Das Projekt reagiert auf die derzeitigen „Forderungen nach (Konkretisierung) veränderte(r) Lehr- und Lernkonzepte […] in den jeweiligen Fächern und Fachdidaktiken“[61], welche nach Pisa laut wurden. Zunächst wurde eine Internetplattform erstellt, auf der Schüler frei verfügbares Lernmaterial erhalten können. Dieses Material ist in Module eingeteilt, die auf die verschiedenen Lehrpläne (Gesamtschule, Gymnasium) abgestimmt, sowie aufgaben- und kompetenzorientiert sind. Die Schüler können es ausdrucken, selbst anwenden, damit arbeiten und somit im Sinne von offenem Geschichtsunterricht selbst entscheiden, wann sie was lernen. Gemeinhin werden die Aufgaben in Einzel- oder Gruppenarbeit mittels Unterstützung des Schulbuches oder Internets erledigt – eine sogenannte „Geschichtsmappe“[62] wird erstellt.

Bei diesem Verfahren geht es vor allem darum, selbständig und individuell zu lernen, diesen Lernprozess auch lenken zu können, eine „relevante Fragestellung zu erkennen, Lösungsstrategien zu entwickeln und anzuwenden sowie den Lernprozess und Lernfortschritt abschließend zu evaluieren“[63]. Hierbei wird besonderes Augenmerk auf die Anwendung von digitalen Medien (Internet) und derer möglichen Einwirkung auf historisches Lernen und Denken gerichtet. Die Plattform gibt Nutzern mittels Informationstexten oder -Videos eine kurze Einführung in das Projekt, sodass jeder flott starten kann. Durch einen übersichtlichen Aufbau bietet die Seite einen Einblick in Epochen und Inhalte von der Frühgeschichte Antike bis zur aktuellen Neuzeit. Ebenso werden spezielle Themen näher beleuchtet, verschiedene Aufgabenblätter, Quellen und Medien angeboten (zum Beispiel Material von schriftlichen oder bildlichen Quellen) sowie Zeittafeln zum besseren Aneignen und Verstehen von Geschichte dargereicht. [64]

Bis heute haben Konzepte Offenen Unterrichts für die deutschen Sekundarstufenschulen wenig Bedeutung. Es fehlt noch an empirischen Unterrichtsforschungen oder an ausgereiften theoretischen und konzeptionellen Reflexionen in Bezug auf solche Formen des Lernens für das Fach Geschichte. [65] Das Projekt „segu“ macht mit seinem Lernangebot für Schüler aber einen wichtigen Schritt in Richtung Neuerung der Lernformen und Konzepterstellung für den Geschichtsunterricht.


7. Historisches Denken im Unterricht

Empirische Studien zeigen, dass Schüler zwar am Geschichtsunterricht teilnehmen, dies aber keinen Einfluss auf ihr späteres Leben nimmt. Es wurde festgestellt, dass „Geschichtskenntnisse, Geschichtsinteresse, Politikeinstellung und Politikengagement“[66] eher gering bleiben und dass in den Köpfen der Schüler das historische Denken noch nicht verankert ist.

Um dem entgegen zu wirken, sollte der Lehrer versuchen, sich in die Schüler hineinzuversetzen, um sich so bewusster zu werden, wie sie das Lernen wahrnehmen, ebenso was das Gelernte für einen Stellenwert bei den Schülern langfristig einnimt.[67] Aus diesem Grund sollte statt reinem Auswendiglernen, das Aneignen einer „Sinn machenden Denkstruktur“[68] im Vordergrund stehen. Darunter ist kritisches Hinterfragen und (Selbst-)Reflektion zu verstehen. Die Lehrperson kann hierfür durch Ermutigung, Förderung und Hilfestellung die Grundlagen schaffen. Die Schüler sollen dadurch im Laufe ihres Lebens die Fähigkeit erlangen, selbständig historisch zu denken, denn „ Zweck des Unterrichts ist das ,Lernen‘, nicht das ,Lehren‘.“[69] Dabei sollte auch das [Geschichtsbewusstsein | Geschichtsbewusstsein], welches ebenfalls einen „Prozess“[70] darstellt, berücksichtigt werden.[71]

Bodo von Borries erwähnt eine Längsschnittstudie von Beck/McKeown, welche zeigt, dass Schüler kurz nach der Behandlung eines Themas im Normalfall einen Wissenszuwachs erhalten haben, welcher allerdings nach ein paar Jahren nicht mehr vorhanden zu sein scheint. Deshalb müssen Lehrer das in früheren Klassenstufen bereits Gelernte zu späterem Zeitpunkt den Kindern immer wieder neu vermitteln, denn nur ein kleiner Teil gewinnt stetig an Wissen.[72]

Wineburg zufolge wissen Schüler vieles, aber nicht unbedingt das, was der Lehrplan vorgibt. Dieses Wissen erhalten sie häufig über Filme, welche sie im Kreise ihrer Familie anschauen und diskutieren. Allerdings gibt es eine Differenz zwischen diesem Wissen und dem historischen Denken, welches die Lehrer in der Schule vermitteln wollen.[73]

Laut Wineburg/Fournier ist historisches Denken: „Historical thinking of the type described here, and in particular the disposition to think about the past by recognizing the inadequacy of one’s own conceptional apparatus, is essential in teaching people how to understand others different from themselves. If we never recognize that our individual experience is limited, what hope is there for understanding people whose logic defies our own, whose choices and beliefs seem inscrutable when judged against ourselves. [74] […] Wineburg ist sich nämlich durchaus bewusst, dass die plakative volle Zustimmung zur Notwendigkeit „historischen Denkens” wenig wert ist, wenn nicht einerseits konkrete Lernwege zu ihm entwickelt werden und andererseits die darin liegende allgemeine Qualifikation herausgearbeitet wird.“[75]

Am besten sollte der Lehrer versuchen, einen Bezug zur Außenwelt herzustellen. Den Schülern muss in diesem Zusammenhang auch bewusst werden, dass sich die Menschen des Mittelalters nicht darüber bewusst waren, dass sie in der Epoche namens Mittelalter lebten, sondern dass der Name erst nachträglich konstruiert wurde. [76]

Manchen Schülern ist der Sinn von Geschichtsunterricht und dessen Bedeutung für die Bildung eines Geschichtsbewusstseins beziehungsweise eines historischen Denkens dennoch nicht klar. Daher sollte den Schülern bewusst gemacht werden, dass Geschichte ihnen Antworten auf ihre alltäglichen Fragen geben kann und somit der Sinnbildung dient.[77]

Es sollte auch auf einen sinnvollen Aufbau des Unterrichts geachtet werden: Über den „chronologische(n) Aufbau“ der geschichtlichen Lerninhalte wird immer noch sehr stark diskutiert. Es ist zwar von großer Bedeutung, dass bestimmte Grundlagen geschaffen werden, jedoch wurde noch keine Einigung darüber erzielt, wie genau dies den Schülern beigebracht werden sollte. [78] Das Argument, dass „ältere Epochen [...] ,leichter‘ zu erlernen“ sind, als „jüngere“[79] und dass dadurch eine einfachere Struktur zum Lernen entsteht, kann bisher auch nicht vollständig bestätigt werden. Es gibt schließlich Ereignisse aus der Vergangenheit, die nicht aufeinander aufbauen und so keine Verbindung zueinander haben.[80] Ein weiterer Grund, der gegen einen chronologischen Aufbau des Geschichtsunterrichts spricht, ist, dass aus dieser Art des Unterrichts nicht unbedingt die gewünschten Schlussfolgerungen gezogen werden und so die Sinnbildung nicht unterstützt wird.

Dies kann zu anhaltender Unzufriedenheit in der Gegenwart führen.[81] Einen „roten Faden“ in den Lerninhalten zu integrieren ist jedoch wichtig, um so eine für die Schüler nachvollziehbare chronologische Reihenfolge der Ereignisse herzustellen.Allerdings gibt es auch andere Faktoren, die berücksichtigt werden müssen, um einen erfolgreichen Geschichtsunterricht zu planen.[82]

So sollten bei Unterrichtsthemen nicht einzelne Schüler als Beispiele herangezogen werden. Wenn man über ein Thema spricht, sollte nicht unbedingt einer der anwesenden Schüler als (negatives) Beispiel herausgestellt werden. Die Gefahr besteht, dass sie sich sonst verschließen und blockieren, weil sie sich schämen oder angegriffen fühlen. Stattdessen sollten den Schülern Lösungswege für Probleme anhand von Geschichten aufgezeigt werden.[83]

Außerdem können Schüler in einer Klasse über- oder unterfordert sein, weil sich die „Einsicht in Geschichtlichkeit“ in verschiedenen Altersstufen entwickeln kann. Für den Lehrer ist es hierbei deswegen von Bedeutung, dass er das historische Denken nicht als Entwicklungsaufgabe versteht.[84]

Die Lehrperson muss sich darüber bewusst werden, dass sie mit ihrer Art der Vermittlung der Geschichtsinhalte Einfluss auf die Meinungsbildung der Schüler über ein bestimmtes Thema nehmen.[85] Sie sollten die Lernenden dazu ermutigen, sich vielmehr ihre eigene Meinung zu bilden und nicht nur das aufzunehmen und anzunehmen, was die Lehrperson ihnen im Unterricht erzählt und vorgibt.[86] Dies ist ein großer Bestandteil der „Identitätsbildung,- reflexion und –erweiterung“ [87] der Kinder und Jugendlichen.

Aber nicht nur die Schule dient dazu, diesen Prozess in Gang zu setzen, es sind auch andere Institutionen, wie z.B. die eigene Familie, Museen und Massenmedien daran beteiligt. Jedoch trägt die Schule die Verantwortung, den Schülern Möglichkeiten zu zeigen, wie man sich mit der Vergangenheit auseinandersetzt und somit fähig ist, sich auch außerhalb des Schulgebäudes an Diskussionen über Geschichte zu beteiligen.[88]

Historisches Denken kann zwar sehr nützlich bei der Verknüpfung von Vergangenheit und Zukunft in Bezug auf andere Entwicklungsaufgaben (Berufswahl, Bevorzugung einer Partei) sein. Trotzdem sollte historisches Denken eher als Bildungsaufgabe angesehen werden. Geschichte dient im außerschulischen Leben eher der vielseitigen Bildung, als dass sie der Lösungsfindung alltäglicher Probleme dient. [89] Deshalb sollte der Lehrer beachten, dass Schule beispielsweise durch Bezüge zur Außenwelt „lebensnah, gegenwartsbezogen und realitätsgerecht“ sein soll. Dies stellt sich jedoch als relativ schwer heraus, da eventuell manche Fragen, die die Schüler beschäftigen (Parteivorliebe, Verliebtheit, Rauschgiftprobleme, usw.), nicht in der Klassengemeinschaft besprochen werden können. Um nicht (negativ) aufzufallen und sich gegebenenfalls für ihr Verhalten rechtfertigen zu müssen, zeigen die Schüler mitunter wenige Emotionen wie Betroffenheit oder Begeisterung, was sich hinderlich auf einen aktiven Unterricht auswirkt. Der Lehrer kann hier mit [Einführung in die Grundlagen der Fachdidaktik | Geschichtsdidaktik] und Bildungsgangtheorie gegenwirken beziehungsweise sollte, wie Kleist behauptet, die Dialektik nicht fehlen.[90] Denn wenn sich die Schüler nicht intrinsisch mit dem Unterrichtsstoff auseinandersetzen und quasi alles an ihnen „abprallt“, dann verlieren sie die Motivation und das Interesse am Fach Geschichte, was nicht Sinn der Sache sein kann.

Negativ bewertet wird auch die Tatsache, dass der Osten nach dem Mauerfall das Schulkonzept (Geschichtsbücher, Lehrpläne etc.) aus dem Westen einfach übernommen hat. Zu dieser Zeit wäre eine Reform des Geschichtsunterrichts angebracht gewesen. Es ist es wichtig, dass die Schüler andere Kulturen kennen- und verstehenlernen, sowie verschiedene Geschichtsversionen vermittelt bekommen. Somit merken sie, dass Geschichte häufig subjektiv ist, kritisch betrachtet werden muss und lernen außerdem noch, sich mit belastender Geschichte auseinanderzusetzen.[91] Wenn der Unterricht nicht an neue Erkenntnisse angepasst und die oben genannten Lernziele nie berücksichtigt werden, dann kann er ins Stocken geraten.

Im Unterricht steht nicht ausschließlich der Unterrichtsstoff im Mittelpunkt, also was, sondern wie der Inhalt den Schülern vermittelt wird. Hierfür sind verschiedene Kompetenzen hilfreich. Unter schulischen Kompetenzen versteht man die Fragekompetenz, Methodenkompetenz, die Orientierungskompetenz und die Sachkompetenz. Der Geschichtsunterricht sollte sich an diesen Kompetenzen orientieren und sie gleichzeitig fördern, wobei die De- und Rekonstruktion berücksichtigt werden sollten, welche zu einer Aneignung der Methodenkompetenz führen.[92]

Den Schülern sollte verständlich werden, dass Entscheidungen aus der Vergangenheit unter der damaligen Situation zu betrachten sindund man diese nicht immer mit dem heutigen Wissenstand und Maßstab bewerten kann. Es muss in diesem Zusammenhang beispielsweise bewusst werden, dass den Menschen im Mittelalter nicht klar war, dass sie in der Epoche des Mittelalters lebten, sondern dass diese Bezeichnung erst Jahrhunderte später konstruiert wurde. [93]


7.1 Medien und Methoden zur Vermittlung historischen Denkens im Unterricht

Das Schulbuch ist das „Leitmedium des Geschichtsunterrichts“[94]. In Deutschland müssen sich die Inhalte der Bücher eng an die Lehrpläne der Kultusministerien halten. Sie vereinen Lehr- und Arbeitsangebote (zum Beispiel Verfassertext mit Aufgabe zum selbständigen Erarbeiten).[95] Jedoch stellt sich ein Problem dar: Schulbücher sind für Lernende oft schwer zu lesen und vor allem schwer zu verstehen.[96] Bodo von Borries vertritt die Überzeugung: „Schulbücher besitzen keine zureichende ,Lernprogression‘ und sind nicht direkt und wirksam auf den ,Kompetenzerwerb von Schülern‘, nämlich deren ,historischen Denken‘, deren ,reflektierten Umgang mit Geschichtskultur‘ ausgelegt“[97]. Es ist somit wichtig, dass die Schulbuchtexte nicht nur neue Informationen vermitteln, sondern den Schülern die Möglichkeit bieten, das neue Wissen mit bereits bekanntem zu verknüpfen und einordnen zu können.

Neben dem Schulbuch kann der Lehrer aber auch andere geeignete Quellen einsetzen. Beachtenswert ist in diesem Bezug die britische Studie „SHP (School History Project)“, welche vor der Einführung des „National Curriculum“ durchgeführt worden ist. Das Ergebnis dieses Experiments war, dass die Schüler mit Quellen gut arbeiten können, aber nicht in der Lage sind, sie richtig, strukturiert und mit eigenen Worten wiederzugeben. Obwohl die Studie in Großbritannien durchgeführt wurde und sie sich auf das dortige Schulsystem bezieht, hat sie auch für die Deutschen eine hohe Relevanz.

Die deutschen Schüler verfügen laut von Borries über ein „mangelndes Überblickswissen“.[98] In der Schule also lernen die Kinder zwar, wie man Quellen richtig bearbeitet und mit welchen Methoden dies geschehen soll. Allerdings wird ihnen nicht beigebracht, wie sie Geschichte über mehrere Aspekte objektiv verstehen und mit ihr arbeiten können. Schüler sollten lernen, multiperspektivisch zu denken. Da Geschichte immer perspektivisch und nie neutral oder objektiv transportiert wird, müssen Schüler bei ihrer Quellenarbeit die jeweiligen Perspektiven zu unterscheiden und interpretieren wissen.[99]

Textquellen (in Form von Gesetzestexten, Briefen, Verträgen, Zeitungsberichte usw.) bilden nach wie vor die wichtigste Quellengruppe für historisches Arbeiten. Sie sind im Schulbuch, neben Bildquellen, am einfachsten darzustellen und für das Verständnis oft besser geeignet.[100] Sie sollten jedoch nur in einem gewissen Maß eingesetzt werden, da sonst die Gefahr zur Langeweile besteht.[101]

Andere Quellenarten sollten genauso verwendet werden. Natürlich hängt ein Quelleneinsatz immer vom „inhaltlichen Ertrag und von der Motivationskraft, die sie bieten, nicht zuletzt von der Zeitökonomie des Unterrichts“[102] ab, dennoch sollte keine Quellengattung bevorzugt oder vernachlässigt werden. Viele schriftliche Dokumente oder Bilder sind nicht unbedingt wahrheitsgetreu. So haben sich Kaiser im Mittelalter möglicherweise anders porträtieren lassen, als sie tatsächlich aussahen. Kriegsberichte wurden häufig so verfasst, dass der Verfasser selbst als außerordentlich erfolgreich beschrieben wurde und auch heutzutage werden Aufnahmen von Politikern meistens inszeniert.[103] Auf jeden Fall muss man sich diese Tatsache als Geschichtslehrer vor Augen halten, ebenso wie den Schülern.

Wichtig ist, dass man Quellen kritisch betrachtet und die Schüler eine ordentliche Quellenarbeit erlernen.[104] Hinterfragen sie aufgrund angewandter Quellen vergangene Sachverhalte, ziehen sie Schlüsse auf die Gegenwart, erkennen sie gewisse Zusammenhänge im Verlauf der Zeit, stellen sie also das Heute aufgrund der Vergangenheit in Frage, so wenden sie historisches Denken an.

Eine weitere einbringliche Methode ist „Oral History“, das Befragen und Sprechen-Lassen von Zeitzeugen. Über solche erhalten Schüler authentische Einblicke in die vergangene Zeit und ihnen wird durch Ansprechen ihrer Emotion ein leichterer Zugang zur Geschichte gewährt. Das Einsetzen von Zeitzeugen bietet eine gute Möglichkeit, Vergangenes heute wieder „aufleben“ zu lassen und heutige Sachverhalte durch das Betrachten der Vergangenheit (durch das Zuhören der Zeitzeugen) klären zu können.[105] Oral history ist somit eine wichtige Unterstützung historischen Denkens.

Ebenso offerieren gerade die neuen Medien eine Bandbreite an Einsatzmöglichkeiten im Geschichtsunterricht. Seien dies nun Datenbanken (zum Beispiel von Bibliotheken) zum Beschaffen von Information oder Literaur, Lernsoftwares (wobei es für das Fach Geschichte leider nur wenige gibt) oder das Internet: Bei richtiger quellenkritischer Anwendung unterstützen sie letzten Endes historisches Denken. Gerade das Informationsmedium Internet besitzt reichlich Anwendungspotenzial im Unterricht. Besonders gewinnbringend ist die Tatsache, dass sich über das Internet gerade internationale Angebote einholen lassen.[106]

Über Vergleiche erhalten Schüler ebenfalls einen tieferen Einblick in geschichtliche Zusammenhänge und verstehen das Heute besser. Hierbei können synchrone Vergleiche angewandt werden wie beispielsweise das Gegenüberstellen von damaligen und heutigen Gesellschaftsformen. Lassen sich Vergleiche verschiedener Gesichtspunkte einer gleichen Zeit ziehen, so spricht man von diachronen Nebeneinanderstellungen.[107] Wichtig sind ebenfalls Gegenwartsbezüge. Holt man die Schüler in ihrer Lebenswelt ab, findet man leichteren Zugang zu ihnen. Gerade alltägliche Beispiele können durch einen Blick in die Vergangenheit Fragen klären, wie zum Beispiel „Warum heißt das Bundesland, in dem wir leben, eigentlich Baden-Württemberg?“[108].


8. Historisches Lernen und historisches Denken

Historisches Denken und historisches Lernen bedingen sich gegenseitig. Lernt man historisch, so denkt man automatisch historisch. Denkt man historisch, so lässt sich bei genügend Sicherung daraus historisch lernen. Historisches Lernen geschieht bei jeder Begegnung mit Geschichte, auch ohne bewusste Entscheidung oder Anstrengung. Als Lehrer sollte man zunächst herausfinden, wie viel historisches Wissen die Schüler überhaupt besitzen, um historisches Lernen sorgfältig fördern zu können.

Geschichtliches Denken oder Lernen ist nicht nur ein Arbeitsgebiet der Wissenschaft- es geht zu jeder Zeit, an jedem Ort in der Gesellschaft vonstatten. Die „Geschichtswissenschaft ist keineswegs eine Instanz, welche allein ‚richtiges‘ historisches Wissen produziert“[109]. Man sollte historisches Lernen also nicht nur als Transfer der „Ergebnisse der Geschichtswissenschaft in die Köpfe der Lernenden“ verstehen (auch “Abbilddidaktik”[110] genannt). Vielmehr sollte man die, in diesem Fall, Schüler zu eigenständigem historischem Denken und Lernen befähigen.

Historisches Lernen kann politisches Lernen ergänzen oder sich mit ihm überschneiden.[111] Dies wird mit dem Beispiel Migration deutlicher: Die Möglichkeit besteht, dass Schüler selbst von Migration betroffen sind, aufgrund eigener oder aufgrund des Umgangs mit, beziehungsweise durch die Beziehung zu Migranten.[112] Schafft man es durch Migration eine (angebrachte) emotionale Brücke zu den Schülern zu schlagen, so hat man ihre Aufmerksamkeit und regt sie zum Nachdenken und Reflektieren- und somit auch zum historischen Denken und Lernen an.

Das politische Thema Migration war fast zu jeder Zeit von Relevanz. Im Mittelalter fanden beispielsweise die Kriegszüge statt.[113] Ein weiteres Beispiel sind die „Pennsylvania-Dutch“, welche deutsche Auswanderer nach Amerika waren. Ihnen wurden negative Eigenschaften wie „Überfremdung, Unterbietung auf dem Arbeitsmarkt, Hässlichkeit (besonders der Frauen), Frauenunterdrückung, Kulturlosigkeit und Verslumung“[114] unterstellt. Es besteht die Möglichkeit, Schüler mit einem Hang zur Ausländerfeindlichkeit oder Schülern mit Migrationshintergrund, die selbst Ausländerfeindlichkeit erfahren haben, mit einem Bezug zu diesem Thema zu erreichen und zum (be-)sinnen anzuhalten.


9. Die Geschichtsdidaktik

In der Fachdidaktik gibt es Bereiche, die sich kreuzen und manchmal auch aufeinander einwirken. Damit sind die Geschichtskultur, die historische Identität und die Geschichtskompetenz gemeint. Bei der Geschichtskultur geht es um die Darstellung und Auseinandersetzung mit der Geschichte. Unter der historischen Identität versteht man die bewusste beziehungsweise auch unbewusste Einordnung von sich selbst als Gruppe oder Individuum. Zuletzt versteht man unter der Geschichtskompetenz die „immer vorhandene Fähigkeit, Fertigkeit und Bereitschaft zum historischen Denken“[115].

Neben der Geschichtsdidaktik gibt es auch die Bildungsgangforschung und die Bildungsgangdidaktik. Bei der letzteren stehen – im Gegensatz zu der Geschichtsdidaktik – die Schülerwahrnehmung und die Langfristperspektive im Mittelpunkt.[116]

Im Normalfall sind die Erkenntnisse einer Wissenschaft außerhalb eines Landes bekannt und die dazugehörige Literatur ist für verschiedensprachige Menschen zugänglich. Die Geschichtsdidaktik beschränkt sich allerdings auf den nationalen Raum. Dies ist nicht von Vorteil für eine Wissenschaft, weil auf diese Weise Missstände – die bedauerlicherweise vorhanden sind – schlecht behoben werden können. Ausländische Kenntnisse, Forschungsergebnisse und Herangehensweisen an den Unterricht könnten dafür eventuell Aushilfe schaffen.[117] Unter diesen Mängeln versteht man, dass der Unterrichtsstoff an die Schüler, zum Beispiel in Bezug auf ihr Alter, angepasst werden sollte oder auch die Bedingungen an den Schulen als Institutionen. Ebenso gibt es durch diese nationale Geschichtsdidaktik wenige empirische Studien zum Fach Geschichte.[118]


Literatur

Borries, B. v. (2008). Historisch Denken Lernen. Opladen & Farmington Hills: Verlag Barbara Burdich.

Günther-Arndt, H./Sauer, M. (2006). Geschichtsdidaktik empirisch. Berlin: LIT.

Wiersing, E. (2007). Geschichte des historischen Denkens. Paderborn: Ferdinand Schöningh.

Kühberger, C. (2009). Kompetenzorientiertes historisches und politisches Lernen. Innsbruck: Studienverlag.


Schreiber, W. & Schöner, A. (n.d.). „Theorie und Praxis- Hand in Hand.“ (http://www1.ku-eichstaett.de/GGF/Didaktik/Projekt/vorstellung.html) (Letzter Zugriff am 10.03.2013)

Waltraud, S., Körber, A., von Borries, B., Krammer, R., Leutner- Ramme, S., Mebus, S., . . . Ziegler, B. (2006). Historisches Denken- Ein Kompetenz- Strukturmo-dell. Neuried: ars una Verlagsgesellschaft mbH.


Weblinks

Schreiber, W. & Schöner, A. (n.d.). „Unser Theoriekonzept: Leitziel ist der reflektierte und (selbst-) reflexive Umgang mit Geschichte.“ http://www1.ku-eichstaett.de/GGF/Didaktik/Projekt/grundlagen.html abgerufen. (Letzter Zugriff am 10.03.2013)

Einzelnachweise

  1. vgl. Wiersing, 2007, S.10; vgl. Rüsen, 1983, S.49
  2. vgl. Wiersing, 2007, S. 22
  3. vgl. Günther-Arndt/Sauer, 2006, S. 192
  4. vgl. Wiersing, 2007, S. 21
  5. Wiersing, 2007, S.10
  6. Entnommen am 13.09.2013, http://blogs.epb.uni-hamburg.de/historischeslernen/
  7. Rüsen, 1983, S.49
  8. Rüsen, 1983, S.49
  9. vgl.Borries, 2008, S.5
  10. vgl. Wiersing, 2007, s.27
  11. vgl. Wiersing, 2007, S. 23
  12. Wiersing, 2007, S. 19
  13. Wiersing, 2007, S. 19
  14. vgl. Wiersing, 2007, S.246
  15. Wiersing, 2007, S.36
  16. Wiersing, 2007, S.263
  17. vgl. Wiersing,2007, S.10
  18. vgl.Wiersing, 2007, S.267
  19. Wiersing, 2007, S.11
  20. Rüsen, 1983
  21. vgl. Wiersing, 2007, S. 23-24
  22. http://www1.ku-eichstaett.de/GGF/Didaktik/Projekt/grundlagen.htm
  23. Entnommen am 09.03.2013, http://www1.ku-eichstaett.de/GGF/Didaktik/Projekt/vorstellung.html
  24. Entnommen am 9.03.2013, http://www1.kueichstaett.de/GGF/Didaktik/Projekt/grundlagen.html
  25. vgl. Kühberger, 2009,S. 17
  26. Waltraud, et al., 2006, S. 16 & S. 17
  27. Kühberger, 2009, S. 17
  28. Kühberger, 2009, S. 17
  29. Kühberger, 2009, S.17
  30. Waltraud, et al., 2006, S. 17
  31. Kühberger, 2009, S. 17
  32. vgl. Kühberger, 2009, S. 18
  33. Waltraud, et al., 2006, S. 18
  34. Waltraud, et al., 2006, S. 30
  35. vgl. Waltraud, et al., 2006, S.5
  36. vgl. Waltraud, et al., 2006, S. 5-6
  37. vgl. Waltraud, et al., 2006, S.6
  38. Waltraud, et al., 2006, S. 13
  39. vgl. Waltraud, et al., 2006, S.13
  40. vgl. Waltraud, et al., 2006, S.14
  41. Waltraud, et al., 2006, S.15
  42. vgl. Waltraud, et al., 2006, S.15
  43. Waltraud, et al., 2006, S.15
  44. Waltraud, et al., 2006, S.18
  45. Waltraud, et al., 2006, S. 28
  46. vgl. Waltraud, et al., 2006, S. 30
  47. Waltraud, et al., 2006, S. 30
  48. vgl. Waltraud, et al., 2006, S.30
  49. vgl. Waltraud, et al., 2006, S. 30
  50. vgl. Waltraud, et al., 2006, S. 31
  51. vgl. Waltraud, et al., 2006, S. 31
  52. vgl. Waltraud, et al., 2006, S. 31
  53. vgl. Waltraud, et al., 2006, S. 9
  54. vgl. Waltraud, et al., 2006, S.15
  55. Günther-Arndt/Sauer, 2006, S. 189
  56. vgl. Günther-Arndt/Sauer, 2006, S. 192
  57. vgl. Günther-Arndt/Sauer, 2006, S. 192-193
  58. vgl. Günther-Arndt/Sauer, 2006, S. 193
  59. vgl. Pallaske, S.2
  60. vgl. „segu“-Homepage
  61. Pallaske, S.1
  62. Pallaske, S.2
  63. Pallaske, S.2
  64. vgl. „segu“-Homepage
  65. vgl. Pallaske, S.3
  66. Borries, 2008, S. 15
  67. vgl. Borries, 2008, S. 15
  68. vgl. Borries, 2008, S. 253
  69. Borries, 2008, S. 253
  70. Borries, 2008, S.15
  71. vgl. Borries, 2008, S.15
  72. vgl. Borries, 2008, S. 51
  73. vgl. Borries, 2008, S. 59
  74. Wineburg/Fournier 1994, 305f.
  75. Borries, 2008, S. 60
  76. vgl. Borries, 2008, S. 1
  77. vgl. Borries, 2008, S.26
  78. vgl. Borries, 2008, S. 29
  79. . Borries, 2008, S. 29
  80. vgl. Borries, 2008, S. 29
  81. vgl. Bor-ries, 2008, S. 30
  82. vgl. Borries, 2008 S. 30
  83. vgl. Borries, 2008, S. 12
  84. vgl. Borries, 2008, S. 9
  85. vgl. Borries, 2008, S. 39
  86. vgl. Borries, 2008, S. 41
  87. vgl. Borries, 2008, S. 41
  88. vgl. Borries, 2008, S. 155
  89. vgl. Borries, 2008, S. 10
  90. vgl. Borries, 2008, S. 11
  91. vgl. Borries, 2008, S. 4
  92. vgl. Borries, 2008, S. 5
  93. vgl. Borries, 2008, S.1
  94. Sauer, 2001, S.260
  95. vgl. Sauer, 2001, S.260
  96. vgl. Borries, 2008, S. 49
  97. Borries, 2008, S. 245
  98. Borries, 2008, S. 73
  99. Sauer, 2001, S.81
  100. Sauer, 2001, S.186f
  101. vgl. Borries, 2008, S.5,60
  102. Sauer, 2001, S.186
  103. vgl. Borries, 2008, S. 102-103
  104. vgl. Borries, 2008, S. 104
  105. Sauer, 2001, S.238
  106. Sauer, 2001, S.274
  107. Sauer, 2001, S.62
  108. vgl. Borries, 2008, S. 20
  109. Entnommen am 27.09.2013, http://blogs.epb.uni-hamburg.de/historischeslernen/
  110. Entnommen am 27.09.2013, http://blogs.epb.uni-hamburg.de/historischeslernen/
  111. vgl. Borries, 2008, S. 138
  112. vgl. Borries, 2008, S. 138
  113. vgl. Borries, 2008, S. 139
  114. Borries, 2008, S. 146
  115. vgl. Borries, 2008, S. 7
  116. vgl. Borries, 2008, S. 8
  117. vgl. Borries, 2008, S. 47
  118. vgl. Borries, 2008, S. 48