Historische Orte als Lernorte

Aus Wiki
Zur Navigation springen Zur Suche springen

Betrachtet man heute die Besuche historischer Orte während der eigenen Schulzeit im Rahmen des Unterrichts, so erinnert man sich wohl häufig an lange Anreisen mit Bus oder Bahn, an Führungen, Referenten und lange Fußmärsche. Die SuS wurden von Station zu Station geführt und haben dann, entweder von einem ortskundigen Führer oder ihren Mitschülern, Vorträge über die jeweilige Station gehört. Selbst tätig vor Ort wurden wohl nur die Wenigsten. Der Ausflug war Frontalunterricht im Freien, Instruktion statt Konstruktion. Tatsächlich könnte diese, den meisten wohl so bekannte Beschreibung, kaum weiter entfernt von der (heute) aktuellen Konzeption des Lernens an historischen Lernorten sein, als nur irgend möglich. Im Verlauf dieses Artikels wird diese aktuelle Konzeption, weitestgehend basierend auf Ulrich Mayers Arbeit „Historische Orte als Lernorte“ vorgestellt.

Was sind historische Orte?

Je nach Autor variiert die Definition historischer Orte stark. Sie reicht von einem weiten Begriff, alles außerhalb der Schule [1], archäologische Spurensuche, Denkmälern, Archiven, sogar der Befragung von Zeitzeugen [2] bis zum engen Begriff, der lediglich geschichtliche Überreste an ihrem geschichtlichen Ort meint.[3] Leider verliert der Begriff des historischen Ortes durch die vielen unterschiedlichen Definitionen beinahe völlig seine Trennschärfe. Wenn sich darunter Museen wie auch Archive fassen lassen, worin liegt dann der Unterschied zwischen Museums- und Archivpädagogik und wo bleibt dann die Konzeption zum Besuch anderer historischer Orte? Um diese Überschneidungen zu vermeiden, wird daher an dieser Stelle die Definition historischer Orte nach Ulrich Mayer verwendet.[4]

Historische Orte sind:

1) Orte großer Geschichte (z.B. Paulskirche in Frankfurt)

2) Historische Stätten (z.B. Schlösser, Burgen, Kirchen)

3) Orte mit Bezug auf lokale und regionale Entwicklung (z.B. Schloss Karlsruhe für die Region)

4) Orte ohne wahrnehmbare Überreste aber mit Geschichte (z.B. alte Schlachtfelder)

Geschichtsdidaktische Potenzial

Historische Orte ermöglichen SuS das Aufspüren, Entdecken und bewusste Wahrnehmen, es geht um das selbsttätige Erleben und Erkennen (vgl. Mayer 2011: 392). Das geschichtsdidaktische Potenzial lässt sich nach Mayer dabei in drei Kategorien unterteilen (Abb. 1): 1) Realität und Permanenz 2) Originalität, Anschaulichkeit und Imagination 3) Authentizität und Historizität


Realität und Permanenz

Der Wirklichkeitscharakter historischer Orte ermöglicht Lernen mit allen Sinnen. SuS können vor Ort erfühlen, tasten, riechen, messen, sehen etc. Diese reale Erfahrung wiederum fördert gleichzeitig den von der Lernpsychologie geforderten emotionalen Aspekt des Lernens. Mayer sieht diesen hauptsächlich in der Erfahrung des ehrwürdigen Alten (vgl. Mayer 2011: 392), dass in gewisser Weise durch sein erhabenes Alter den SuS ein Gefühl von Ehrfurcht vermittelt. Mehr als fraglich ist natürlich, ob dies die einzige Emotion ist, die der historische Ort und dessen Besuch den SuS vermitteln kann. Durch seine Permanenz ermöglicht der historische Ort noch einen besonderen unterrichtspraktischen Aspekt, er ist bei Tag und bei Nacht, im Sommer bei 35° als auch im Winter bei 20cm geschlossener Schneedecke vorhanden. Im Rahmen einer mehrtägigen Exkursion könnte man einen Ort also mehrmals zu unterschiedlichen Tageszeiten besuchen und den SuS so zum Teil völlig unterschiedliche Eindrücke des Ortes vermitteln.

Originalität, Anschaulichkeit und Imagination

Der historische Ort wirkt auf die SuS ein, beim mehrfachen Besuch zu unterschiedlichen Tages- oder Jahreszeiten wird dies besonders deutlich. Er fördert die Vorstellungskraft der SuS, ihre Imagination. Im weiteren Verlauf sind aber auch die SuS dazu aufgerufen ihre Vorstellungskraft von sich aus zu benutzen, um sich gezielter Eindrücke zu verschaffen, dies nennt Mayer die Förderung der doppelten Imagination durch den historischen Ort (vgl. Mayer 2011: 393). Im Idealfall ist der historische Ort nicht durch Hinweistafeln o. Ä. aufgearbeitet sondern präsentiert sich als realer Ort im echten Kontext, an dem „keine Deutungen vorgegeben werden“ (Mayer 2011: 393). Dadurch ermöglicht der historische Ort jedem SuS einen völlig individuellen Zugang aus ganz eigener Perspektive und erfüllt dabei, wie von selbst, das Prinzip der Multiperspektivität (vgl. Mayer 2011: 393).

Authentizität und Historizität

Fehlen vor Ort Deutungen, so müssen SuS eigene Erkenntnisarbeit leisten, um den Ort verstehen zu können. Dabei tritt die Authentizität in den Vordergrund. Denn nur an authentischen Orten ist diese Erkenntnisarbeit überhaupt möglich. Veränderungen würden zu falschen Schlüssen führen. Auch bei der eigenen Erkenntnisarbeit wird wieder das Prinzip der Multiperspektivität gefördert. Besonders beim Besuch regionaler und lokaler historischer Orte kann oftmals eine persönliche Beziehung der SuS zum historischen Ort bestehen. Diese persönliche Affinität steigert das Interesse der SuS am historischen Ort und schafft Motivation (vgl. Mayer 2011: 395). Durch den Vergleich des lokalen historischen Ortes mit der eigenen lokalen Umwelt, kann darüber hinaus „besonders gut ein Begriff von geschichtlicher Veränderung gewonnen werden.“ (Mayer 2011: 395). Die Veränderung der Umwelt über die Zeit hinweg entspricht genau dem Prinzip der Historizität.

Lernziele

SuS sollen am historischen Lernort selbst tätig werden, eigenständig Erkenntnisse erarbeiten und den Ort erkunden. Dabei ist das wichtigste Ziel beim Besuch historischer Orte „elementare Einsichten in das Wesen historischer Erkenntnisse“ zu erreichen. (Mayer 2011: 395) Weitere Ziele sind:

- Anstoßen längerfristigen Interesses für Geschichte

- Sensibilisierung für die bewusste Wahrnehmung historischer Überreste

- Vermittlung von Vorstellungen über historische Gegebenheiten

- Vermittlung von Erkenntnissen über historische Zusammenhänge

- Anbahnung und Einübung elementarer historische Denk- und Arbeitsweisen

-Verständnis für die Einmaligkeit und Schutzwürdigkeit historischer Orte

Praxis

In der Praxis lässt sich der Besuch historischer Orte im Geschichtsunterricht anhand von zwei Kriterien planen, der Besuchsform und dem nach Kompetenzen geordneten Idealtyp.

Besuchsform

Einmaliger Besuch

Gezielte Exkursionen

Mehrfacher Besuch

Kompetenzen und Idealtyp

Idealtyp Erkundung

Idealtyp Rekonstruktion historischer Ereignisse an ihrem historischen Ort

Hinterfragen gedeuteter Geschichte

Methoden

Wahrnehmung und Erkundung

Aufarbeitung durch Analyse und Deutung

Präsentation der Ergebnisse

Fazit


  1. vgl. Hey 1978: 12
  2. vgl. Staatsinstitut 1999
  3. vgl. Ziegler 1978: 109
  4. vgl. 2011: 390