Historisches Lernen in der Sekundarstufe I: Unterschied zwischen den Versionen

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== Geschichtsbewusstsein ==
== Geschichtsbewusstsein ==


Ein Begriff der genauer definiert werden sollte, wenn es um historisches Lernen in der Sekundarstufe geht, ist das Geschichtsbewusstsein. Das Geschichtsbewusstsein hat seine Präsenz im Geschichtsunterricht und sollte bei der Vorbereitung sowie der Durchführung einer Unterrichtsstunde beachtet werden.
Ein Begriff der genauer definiert werden sollte, wenn es um historisches Lernen in der Sekundarstufe geht, ist das [[Was ist Geschichtsbewusstsein?|Geschichtsbewusstsein]]. Das Geschichtsbewusstsein hat seine Präsenz im Geschichtsunterricht und sollte bei der Vorbereitung sowie der Durchführung einer Unterrichtsstunde beachtet werden.


Laut Mayer (2006) wird das Geschichtsbewusstsein wie folgt definiert: „Geschichtsbewusstsein ist ein psychischer Verarbeitungsmodus historischen Wissens, der zwar über dieses Wissen gebildet wird, ihm gegenüber aber eine relative Autonomie besitzt.“ <ref> Mayer, Ulrich(2006):Wörterbuch der Geschichtsdidaktik </ref>  Das heißt, das Geschichtsbewusstsein nicht erlerntes ist, sondern eine individuelle Geisteshaltung des Einzelnen. Diese kann zwar beeinflusst werden, wird aber von jeder Person durch Erfahrungen selbst gebildet.
Laut Mayer (2006) wird das Geschichtsbewusstsein wie folgt definiert: „Geschichtsbewusstsein ist ein psychischer Verarbeitungsmodus historischen Wissens, der zwar über dieses Wissen gebildet wird, ihm gegenüber aber eine relative Autonomie besitzt.“ <ref> Mayer, Ulrich(2006):Wörterbuch der Geschichtsdidaktik </ref>  Das heißt, das Geschichtsbewusstsein nicht erlerntes ist, sondern eine individuelle Geisteshaltung des Einzelnen. Diese kann zwar beeinflusst werden, wird aber von jeder Person durch Erfahrungen selbst gebildet.
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=== Verknüpfung von Geschichtsbewusstsein und Geschichtskultur ===
=== Verknüpfung von Geschichtsbewusstsein und Geschichtskultur ===


Es ist unumgänglich, eine Verbindung zwischen Geschichtsbewusstsein und Geschichtskultur zu ziehen, da sich diese sich in der praktisch wirksamen Artikulation  von Geschichtsbewusstsein im gesellschaftlichen Leben äußert.  
Es ist unumgänglich, eine Verbindung zwischen Geschichtsbewusstsein und Geschichtskultur zu ziehen, da sich diese sich in der praktisch wirksamen Artikulation  von Geschichtsbewusstsein im gesellschaftlichen Leben äußert.
 


== Geschichtskultur ==
== Geschichtskultur ==

Version vom 19. Dezember 2013, 11:20 Uhr

L. Bartholme, C. Lenz, J. Riek


Didaktik des Geschichtsunterrichts

„Didaktik ist im erziehungswissenschaftlichen Sprachgebrauch die Lehre vom Unterricht“ [1]. In einer weiten Auslegung des Begriffs umfasst er alle Lehr- und Lernprozesse einschließlich der Voraussetzungen. In einem engen Verständnis wird die Didaktik als Theorie der Unterrichtsinhalte gedeutet. „Die Didaktik sucht die Bedürfnisse und Möglichkeiten der Lernenden mit den Sachansprüchen der Lerngegenstände zu vereinbaren. Sie sieht und organisiert die Lernziele, -inhalte und –prozesse sowohl >sub specie subiecti< als auch im Hinblick auf die Gegebenheiten >der Sache<“ [2]. Der Lernstoff soll den Schülerinnen und Schülern helfen ihre gegenwärtigen und zukünftigen Lebensaufgaben zu meistern. Das bedeutet, dass Lerngegenstände so aufbereitet werden müssen, dass sie einen maximalen Lerngewinn erzielen.

„Jenseits dieser grundlegenden Zweckbestimmung stehen sich unterschiedliche didaktische Anwendungsbereiche und Zielsetzungen gegenüber“ [3] Die Anwendungsbereiche umfassen zum einen die Gegenstände und zum anderen die Adressaten. „Schaut man auf die Adressaten, so lassen sich eine Kindergarten-,eine Vorschul-, eine Grundschuldidaktik, eine Didaktik für die Sekundarstufe I, für die Sekundarstufe II, aber auch für die Hochschule und Einrichtungen der Erwachsenenbildung ausmachen“ [4]. Diese unterschiedlichen Didaktiken beschäftigen sich mit den jeweiligen Lernvoraussetzungen, Lernbedürfnisse und den Lernmöglichkeiten, da das Niveau und das Alter der jeweiligen Gruppen ausschlaggebend ist für die Umsetzung im Unterricht. „Was die didaktische Grund- und Zielfragen angeht, so sind für die Geschichtsdidaktik heute vornehmlich vier allgemeindidaktische Ansätze wichtig: der bildungstheoretische, der lerntheoretische, der fachwissenschaftsorientierte, der kommunikative“ [5].


Lehren und Lernen in der Sek I

Kernbestandteil des Geschichtsunterrichts in der Sekundarstufe I ist - das gilt für alle Schulformen – der „chronologische Durchgang“. (…). Freilich haben wir es längst nicht mehr im engeren Sinne mit einer Chronologie, einem kleinschrittigen Kanon von Daten und Fakten, zu tun. Vielmehr handelt es sich um eine Reihung von mehr oder weniger problemorientierten Querschnitten, der lediglich eine zeitliche Abfolge zugrunde liegt.“ [6]

Dazu kommen noch Längsschnitte und exemplarische Untersuchungen als weitere Vorgehenseisen. Methoden gewinnen zunehmend an Bedeutung im modernen Geschichtsunterricht. „Schülerinnen und Schüler sollen lernen, mit verschiedenen Arten von Quellen (Texten, Bildern etc.) und Darstellungen (Geschichtskarten, Fachbüchern etc.) fachlich angemessen umzugehen, selber Fragestellungen zu entwickeln, Informationen einzuholen und die Ergebnisse ihrer Untersuchungen sinnvoll festzuhalten und zu präsentieren, kurzum: Sie sollen historisches Arbeiten lernen.“ [7]

Der Bildungsplan 2004 für die Realschule [8] verfolgt folgende Leitgedanken zum Kompetenzerwerb der Schülerinnen und Schüler. Zunächst soll den Heranwachsenden eine Auseinandersetzung mit der zeitlichen Dimension der Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft näher gebracht werden. Zwischen diesen soll ein Bezug hergestellt werden um das Geschichtsbewusstsein der Schülerinnen und Schüler zu fördern. Des Weiteren werden innerhalb des Geschichtsunterrichts vielfältige personale, soziale, fachliche und methodische Kompetenzen vermittelt. Die Heranwachsenden sollen lernen ihr Selbst in Kontext mit zeitlichen Abläufen zu setzen. „Darüber hinaus entwickeln die Schülerinnen und Schüler Einstellungen und Haltungen wie zum Beispiel die Bereitschaft und Fähigkeit mit Partnern und in Gruppen konstruktiv und zielgerichtet zusammenzuarbeiten und dabei auftretende Schwierigkeiten in demokratischer und ethisch verantwortungsvoller Weise zu überwinden.“ [9] Dabei spielt die Demokratieerziehung eine besonders wichtige Rolle. Der Geschichtsunterricht der Sekundarstufe leistet seinen Beitrag Demokratieverständnis zu vermitteln und die Schülerinnen und Schüler zu mündigen Bürgern zu erziehen.

Lernvoraussetzungen und motivationale Beweggründe

Die Entwicklung von Kindern und Jugendlichen beeinflusst maßgeblich Lernvoraussetzungen und motivationale Beweggründe eines erfolgreichen Geschichtsunterrichtes in der Sekundarstufe. Fachdidaktiker wie Jean Piaget und Christian Noack stellen die Entwicklung von Heranwachsenden stufenmodellartig dar. Entscheidend für das Lernen in der Sekundarstufe und somit für den Geschichtsunterricht ist Piagets „formal-operationale Phase“, sowie Noacks Stufen zwei und drei: „konkret-narrativ“ und „konventionell affirmativ.“ [10] Während sich Piaget auf die Entwicklung von Denkoperationen konzentriert und so folgert, dass Schülerinnen und Schüler in der formal-operationalen Phase zu abstrakten Denkprozessen fähig sind, fokussiert Noack direkt die Entwicklung von Geschichtsbewusstsein. In diesem Sinne interessieren sich Heranwachsende in der „konkret-narrativen“ Stufe in großem Maße für Erzählungen und Taten großer Personen in der Geschichte. [11] In der konventionell affirmativen Stufe hingegen steht die Entwicklung von Gruppenidentität, sowie personalisierende und emotionalisierende Blickrichtung auf historische Gegebenheiten. Franz Emanuel Weinert jedoch schränkt die Konsequenzen, die sich aus den Stufenmodellen ergeben kategorisch ein. „ Weltweit ist zum gegenwärtigen Zeitpunkt niemand in der Lage, die Zusammenhänge zwischen individuellen Lernvoraussetzungen, typischen Lernprozessen und stabilen Leistungsunterschieden durch Erb-, Umwelt-, Entwicklungs- und Situationseinflüsse befriedigend zu erklären.“ [12]

Abschließend lässt sich zu Lernvoraussetzungen folgern, Pädagogen sollten sich mit Entwicklungsstufenmodellen auseinandersetzen, jedoch für ihren eigenen Geschichtsunterricht in der Sekundarstufe auf diese allgemeingehaltenen Aussagen nicht verlassen. Vordergründig sollte nicht vergessen werden, dass die Individualität des einzelnen Schülers am bedeutsamsten für erfolgreiches Lehren und Lernen ist.

Eine Studie von Helmut Beilner stellt fest, dass bei Schülerinnen und Schüler am Ende der Primarstufe ein großes Interesse an geschichtlichen Vorgängen besteht. Diese Motivation nimmt im Laufe der Sekundarstufe jedoch ab. Die Gründe dafür sind nicht bekannt.[13] Lehrpersonen sollten den Rückgang an Interesse dennoch zur Kenntnis nehmen und darauf eingehen. Bekannt ist jedoch, dass Schülerinnen und Schüler sich in großem Maß für Andersartiges und Abenteuerliches in der Geschichte interessieren. Des Weiteren finden Heranwachsende, anders als vermutet, Konkretes wie Sachen und Personen besonders spannend.


Unterrichtsprinzip: Multiperspektivität und Kontroversität

Geschichte wird immer aus einer bestimmten Perspektive wahrgenommen und überliefert. Für Historiker ist es wichtig die unterschiedlichen Perspektiven bei ihrer Interpretation zu berücksichtigen. Es kann nie die vergangene Wirklichkeit geben, sondern stets nur verschiedene Arten von Zeugnissen, die aus unterschiedlichen Perspektiven überliefert worden sind. Die Rekonstruktion der vergangenen Geschehnisse kann demnach nie die absolut gültige Wahrheit anstreben bzw. darstellen. „Dass historische Ereignisse schon von den Zeitgenossen unterschiedlich gesehen und beurteilt worden sind und es – von unbezweifelbaren Fakten abgesehen – nicht die Geschichte „an sich“ gibt, ist eine elementare Einsicht, die der Geschichtsunterricht Schülerinnen und Schülern vermitteln muss.“ [14]

„Drei Gesichtspunkte der Multiperspektivität scheinen besonders wichtig zu sein: Erstens ist eine Erweiterung und noch stärkere Verankerung des Prinzips in der Praxis des Geschichtsunterrichts wünschenswert; zweitens scheint eine gesellschaftsgeschichtliche Verankerung dringend erforderlich; drittens sind die Möglichkeiten der Umsetzung des Prinzips zu finden und zu propagieren, die die Tatsache berücksichtigen, dass wir in den meisten historischen Epochen „stumme“ Gruppen vor uns haben, deren Perspektive nicht in Form von Primärzeugnissen im Unterricht präsentiert werden kann.“ [15]

Schülerinnen und Schüler sollten sich im Geschichtsunterricht im Umgang mit Perspektivität und Kontroversität üben, um die Fähigkeit zur Perspektivübernahme zu entwickeln. Auf diese Weise erlernen sie „generell verschiedene Ansichten der Welt und einzelner Situationen zur Geltung kommen zu lassen, andere zu erproben und [ihre] eigenen zu überprüfen.“ [16] Die multiperspektivische Darstellung von Geschichte im Unterricht bedeutet folglich, den Lernenden die historischen Sachverhalte so zu präsentieren die sie sich auch den Historikern präsentieren, nämlich in Form von Zeugnissen aus unterschiedlichen Perspektiven, die mal mehr mal weniger in ihrer Darlegung übereinstimmen.

„Indem die Schülerinnen und Schüler im multiperspektivischen Geschichtsunterricht dauernd perspektivische Zeugnisse aus vergangenen Zeiten und Gesellschaften bearbeiten, untersuchen und verstehen lernen, lernen sie jenes ‚einfühlendes Denken‘ und jene ‚Empathie‘, die notwendig sind, um die in den Zeugnissen der Vergangenheit enthaltenen Sinnbezüge, Wertvorstellungen und Denkweisen zu erschließen“ [17]


Strukturierung von Themen

1.Chronologisches Verfahren

Die chronologische Anordnung von Einzelthemen bildet für die Lernenden ein Überblicks- bzw. Orientierungswissen. Es ist wichtig die Kenntnis typischer Epochenmerkmale zu haben, um Schlüsselereignisse richtig einordnen zu können. Somit sollte die Arbeit mit der Zeitleiste einen wichtigen Bestandteil des Unterrichts bilden. Ein Problem, dass allerdings mit diesem Verfahren entstehen könnte ist zum einen, dass Schülerinnen und Schüler keine übergreifenden Bezüge herstellen können. Umbrüche und Kontinuitäten werden deutlich gemacht, jedoch könnten Erscheinungen von langer Dauer zu kurz kommen. Dieser Ansatz sollte neben anderen stehen und durch Rückgriffe und Vergleiche an manchen Stellen ergänzt werden.

2. Längsschnitt

„Rahmenrichtlinien sehen in jüngerer Zeit vermehrt Längsschnitte vor und auch in Schulbüchern haben sie inzwischen Aufnahme gefunden.“ [18] Bei diesem Verfahren wird ein ausgewählter Aspekt über einen längeren historischen Zeitraum verfolgt und untersucht [19] Hierbei eignen sich vor allen anthropologische Themen bzw. Themen, in denen sich Wandlungen vollzogen haben oder einen zentralen gesellschaftlichen Stellenwert besitzen. Jedoch impliziert eine Konzentration auf einen bestimmten Aspekt auch immer eine Isolation. Zeitumstände können meist nur angedeutet werden und spezifische Bedingungen sowie Begründungen werden häufig vernachlässigt. Der Längsschnitt ist eine mögliche Betrachtungsweise, sollte aber nie das alleinige Verfahren im Geschichtsunterricht darstellen.

3. Querschnitt

„Dieses Verfahren ist in unserem Geschichtsunterricht am häufigste vertreten und bildet das Gerüst von Lehrplänen und Schulbüchern.“ [20] Einzelne, bedeutende Epochen werden in Momentaufnahmen untersucht. Das könnte z.B. die Französische Revolution sein oder das römische Kaiserreich. Der Vorteil ist, dass bestimmte Zeitabschnitte parallel und unter verschiedenen Gesichtspunkten untersucht werden und dadurch aufeinander bezogen werden können. „So lässt sich ein umfassendes und facettenreiches Bild eines Zeitraums, eine Art Epochenprofil, entwickeln.“ [21] Allerdings könnte eine problemorientierte Vorgehensweise zu kurz kommen oder die Prozesshaftigkeit der Geschichte auf der Strecke bleiben.

4. Vergleichendes Verfahren

Das Vergleichen historischer Erscheinungsformen kann sich auf einen zeitlichen Aspekt, einen strukturellen oder einen kulturellen Gesichtspunkt beziehen. Ein Beispiel: „Zeitliche Differenz: Demokratie im antiken Athen und heute, Stadt in der Antike, im Mittelalter, im 19.Jahrhundert.“ [22] Ein Nachteil allerdings besteht darin, dass dieses Verfahren nur auf verhältnismäßig wenige Fälle zutrifft.


Lehr- und Lernmethoden

Quellenarbeit

Die Quellenarbeit sollte im Mittelpunkt des Geschichtsunterrichts stehen, um so ein Bild der Vergangenheit zu formen. Die Schülerinnen und Schüler können auf diesem Weg den Zugang zur Geschichte nachvollziehen. „Die didaktischen Intentionen: Schülerinnen und Schüler lernen fachspezifische Voraussetzungen und Methoden der Erkenntnisgewinnung kennen (Unterscheidung von Quelle und Darstellung, Perspektivität von Quellen).“ [23] Zudem sollen die Lernenden zu einer eigenen Urteilsbildung kommen, was durch Selbsttätigkeit und eignes denken forciert werden soll. Man sollte die Quellenarbeit allerdings nicht verabsolutieren, da für diese Methode immer ein Vorwissen nötig ist und der Unterricht schließlich nicht nur aus Informationsaufnahme bestehen kann. Es könnte zudem auch vorkommen, dass die Lernenden mit der ihnen vorgelegten Quelle überfordert sind „sowohl von der Sprachgestalt wie von den geistigen Operationen her.“ [24] Allerdings sollte man die Quelle auch nicht zu sehr vereinfacht darstellen, um die Lernenden nicht zu unterfordern. Die Quelle sollte trotz vereinfachter Darstellung stets einen Herausforderungscharakter besitzen. „Voraussetzungen für eine ertragreiche und befriedigende Quellearbeit ist zunächst eine geeignete Auswahl: - Quellen müssen Neues zum Thema bieten, sonst lässt sich an ihnen nichts lernen. - Quellen müssen authentisch sein (…). - Quellen sollten Vorstellungsbildung ermöglichen. - Quellen sollten Alteritätserfahrung und – bei entsprechenden Themen- Fremdverstehen ermöglichen.“ [25]

Außerschulische Lernorte

„Außerschulische Lernorte (…) zeichnen sich dadurch aus, dass sie ein umfassenderes Erkenntnispotential bieten, das durch genauere ortsspezifische Untersuchung erschlossen und genutzt werden kann.“ [26] Dabei unterscheidet man zwischen Institutionen wie z.B. Museen oder Archive und einzelne Überreste bzw. historische Stätten. Der Vorteil von außerschulischen Lernorten ist, dass Schülerinnen und Schüler mit historischen Originalen konfrontiert werden, wobei man aber auch die konstruierte Situation im Museum bedenken muss. Es wird gewissermaßen nie die vergangene Wirklichkeit dargestellt, was man den Lernenden zuvor auch bewusst machen sollte. Ein Museumsbesuch ist zweifellos kein Selbstzweck und sollte deshalb auch nie isoliert neben dem Unterricht stehen. Gute Vorbereitung, was einen Vorbesuch mit beinhalten sollte, um sich klar zu werden was später mit den Schülern angeschaut wird, ist von großer Wichtigkeit. Das Übermaß von Eindrücken in einem Museum könnte die Klasse überfordern, weshalb die Lehrkraft eine geeignete Vorauswahl von den zu betrachtenden Objekten treffen sollte, um diese intensiver behandeln zu können. Sauer nennt in seinem Buch vier methodische Zugänge, die sich bei einem Besuch mit der Klasse in ein Museum unterscheiden lassen: Führung, Unterrichtsgespräch, Erkundung und Werkstatt [27]


Historische Kompetenzen und Kompetenzmodelle

Begründung

Im Umgang mit Geschichte wurden in jüngster Zeit einige Defizite bei den Schülerinnen und Schülern festgestellt, was sich anhand des fehlenden Einzel- und Strukturwissens festmachen lässt. „Ein Ausweg aus dieser schwierigen Situation des Faches, die sich im Zuge des gesellschaftlichen Wandels seit Ende der 1960er Jahre noch verschlechtert hat, kann mithilfe sogenannter Bildungsstandards und damit verbunden eines fachlichen Kompetenzmodells gewiesen werden“ [28]. Nach PISA wurden in fast allen Bundesländern mehr oder weniger kompetenzorientierte Lehrpläne eingeführt. In den neueren Kompetenzdebatten steht der Kern des Faches wieder im Mittelpunkt. [29] Die neuen Modelle gehen weg von den Lerninhalten und hin zu den erwarteten Schülerleistungen, „also vom Wissenserwerb zu Reflexion und Handlung.“[30]

Gemeinsamkeiten und Unterschiede verschiedener Kompetenzmodelle

„Die Theoriebildung zum kompetenzorientierten Lernen verlief in der Geschichtsdidaktik weniger konzentriert als kompetitiv. In der Folge sieht sich die Zunft heute der Tatsache gegenüber, dass mehrere Vorschläge für Kompetenzmodelle nebeneinander bestehen und miteinander in Wettstreit treten.“ [31] Die meisten Ansätze richten sich auf der theoretischen Basis nach Jörn Rüsen, während beim Kompezentbegriff häufig auf Weinert zurückgegriffen wird. Die Modelle unterscheiden sich zum einen in der Reichweite, also entweder speziell auf den Geschichtsunterricht oder auf das Lernen allgemein also auch auf historisches Lernen außerhalb der Schule. „Zweitens divergieren die Konzepte erheblich hinsichtlich ihres groben Bauplans: Es gibt solche, die mit ganz wenigen (maximal fünf) Kompetenzen auskommen (…) und solche, die unter einer kleinen Zahl von Dachbegriffen (…) eine Vielheit von weiteren Kern-, Teil- und Unterkompetenzen ausdifferenzieren.“ [32]

Kompetenzmodell des „National Center for History in the Schools (NCHS 1996)

Kompetenzmodelle sind schon relative lange präsent im angloamerikanischen Diskurs. Die Kompetenzen stehen gleichberechtigt neben dem Bereich Wissen, was zur Definition von zwei gleichberechtigten Standards führt: Erstens, was sollen die Lernenden können bzw. wie sollen sie historisch denken und zweitens, was müssen sie wissen bzw. verstehen [33] „Die Inhalte und Themen werden nach ‚Topics‘ bzw. nach ‚Era‘ unterschieden, und jeder ‚Topic‘ bzw. jede ‚Era‘ wird in einzelne Standards genauer gefasst.“ [34]

Kompetenzmodell von Hans-Jürgen Pandel (Pandel 2005)

Dieses Modell ist nicht nur das älteste deutsche, sondern auch eines, dem die meiste Beachtung geschenkt wird. „Pandel selbst leitet die Kompetenzbereiche aus der Theorie historischen Denkens her und bezieht sich gleichzeitig auf die ‚Logik des historischen Erinnerns‘ Pandel 2005: 44“ [35] Er verwendet die Zeitachse als organisierendes Element, wobei die Geschichtskulturelle Kompetenz in der Zeitachse verankert ist und die anderen drei darunter angeordnet werden.

„Um Geschichtsbewusstsein zu fördern, bedürfe es demnach einer Gattungskompetenz, um ‚mit den verschiedenen Textgattungen umgehen zu können, die sich mit dem Themenbereich Geschichte befassen‘, der Interpretationskompetenz als Fähigkeit, aus diesen Gattungen historisches Wissen und historischen Sinn zu entnehmen, der narrativen Kompetenz als Fähigkeit, ‚aus zeitdifferenten Ereignissen durch Sinnbildung eine Geschichte herzustellen‘, und der geschichtskulturellen Kompetenz, welche ‚geschichtskulturelle Sinndeutungen‘ bearbeitbar macht (Pandel 2005: 27 ff)“ [36] Dieses Modell zeichnet sich besonders durch seine Einfachheit und Klarheit aus, die es leicht operationalisierbar erscheinen lassen.

Das Kompetenzmodell von Peter Gautschi

„Der Schweizer Geschichtsdidaktiker Peter Gautschi leitet sein Kompetenzmodell ausdrücklich von einem Lernmodell ab, das sich eng an Jörn Rüsen anlehnt.“ [37] Er differenziert speziell die ‚narrative Kompetenz‘ aus, was ihn zu vier Leitfragen kommen lässt, die zu den vier Operationen führen, die zur Bewältigung der Anforderungen historischen Lernens nötig sind:

  • „Wahrnehmungskompetenz für Veränderungen in der Zeit“
  • „Erschließungskompetenz für historische Quellen und Darstellungen“
  • „Interpretationskompetenz für Geschichte“
  • „Orientierungskompetenz für Zeiterfahrung“

Auf dem Weg zu einem kompetenzorientierten Geschichtsunterricht

„Obwohl sich die oben referierten Modelle wie dargelegt in einer Reihe von grundlegenden Aspekten unterscheiden, haben sie doch ein gemeinsames Ziel: Historisches Lernen soll auf die Entwicklung bzw. Förderung von Kompetenzen orientiert werden.“ [38] Ein kompetenzorientierter Unterricht zielt erstens, auf die Aktivierung der Schülerinnen und Schüler ab. Zweitens sollen sich die Lernenden selbstständig mit den Materialien und Aufgaben auseinandersetzen, um Selbstwirksamkeit zu erfahren. Des Weiteren sollen sie mit Problemstellungen konfrontiert werden, welche einen gesellschaftlich relevanten Inhalt in exemplarischer Weise darstellen. Darüber hinaus sollte der Unterricht individualisiert und differenziert gestaltet sein, was unter anderem auch eine große Auswahl von Materialien beinhaltet.


Historisches Lernen

Historisches Lernen ist eine Disziplin der Geschichtsdidaktik und beschäftigt sich mit jeglichem Lernen, das mit geschichtlichen Inhalten zu tun hat. Dabei findet historisches Lernen nicht nur in der Schule statt, sondern überall dort, wo dem Menschen Geschichte begegnet.

„Historisches Lernen geschieht immer dann und überall dort, wo Kinder, Jugendliche und Erwachsene in all den Zusammenhängen ihres Lebens der „Geschichtskultur“ begegnen– den aufbereiteten Zeugnissen der Vergangenheit und den Aussagen über vergangenes menschliches Handeln und Leiden, die in unterschiedlichen Erscheinungsformen präsentiert sind.“ [39] „Historisches Lernen ist nicht auf den Geschichtsunterricht beschränkt. Vielmehr findet historisches Lernen in der gesamten Lebensgeschichte eines jeden Individuums vor allem in außerschulischen Bereichen statt.“ [40] Gerade dieses außerschulische historische Lernen beeinflusst stark das historische Lernen in der Schule. Historisches Lernen wird durch das Überangebot der Medien an Geschichte beeinflusst und weniger wissenschaftlich fundiert. Daher soll sich Historisches Lernen im Schulunterricht auf Historisches Denken berufen. [41]

Dennoch sollten außerschulische geschichtliche Themen im Schulunterricht besprochen werden, da diese Einfluss auf das historische Denken haben. Das historisch kritische Denken der Schülerinnen und Schüler soll bewusst gemacht und gestärkt werden. Der Geschichtsunterricht unterliegt staatlichen Vorgaben und ist zudem an den Bildungsplan gebunden. Dies lenkt den Geschichtsunterricht und das Historische Lernen. Um das Historische Lernen im Geschichtsunterricht zu sichern findet dies in unterschiedliche Formen statt.

Einen wichtigen Beitrag dazu leistet die Eingliederung nach Rüsen, der das Historische Lernen um die narrative Kompetenz erweitert hat. Zunächst gelten das Analysieren, Urteilen und Werten als Teil des historischen Lernens. Lange [42] erklärt die Narration im Kontext des historischen Lernens folgendermaßen: „Historisches Erzählen drückt sich in der Tätigkeit aus, die Erfahrungen der Vergangenheit in der Gegenwart zu deuten, dass Zukunft als Handlungsperspektive erschlossen wird.“ Das heißt, die Narration gilt als umfassendes Mittel, Geschichte zu erfassen und Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft zu verbinden. Desweitern teilt Rüsen das historische Lernen in vier Kategorien. Er unterscheidet den traditionellen, exemplarischen, kritischen und genetischen Lerntypus.

Der traditionelle Lerntypus stellte eine Verbindung zwischen „Vergangenheitsdeutung“, „Gegenwartsverständnis“, und „Zukunftserwartung“ her. „Der exemplarische Typus erzählt Geschichten, die an einzelne Sachverhalte in der Vergangenheit erinnern.“ [43] Das kritische historische Lernen ist eine Mischung aus den traditionellem und exemplarischen Lerntypen. Es analysiert Vergangenes und versucht diese zu interpretieren. Als letzten historischen Lerntypus ist der genetische zu nennen. Dieser nimmt als einziger die Geschichte als Prozess von Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft wahr. [44]

Geschichtsbewusstsein

Ein Begriff der genauer definiert werden sollte, wenn es um historisches Lernen in der Sekundarstufe geht, ist das Geschichtsbewusstsein. Das Geschichtsbewusstsein hat seine Präsenz im Geschichtsunterricht und sollte bei der Vorbereitung sowie der Durchführung einer Unterrichtsstunde beachtet werden.

Laut Mayer (2006) wird das Geschichtsbewusstsein wie folgt definiert: „Geschichtsbewusstsein ist ein psychischer Verarbeitungsmodus historischen Wissens, der zwar über dieses Wissen gebildet wird, ihm gegenüber aber eine relative Autonomie besitzt.“ [45] Das heißt, das Geschichtsbewusstsein nicht erlerntes ist, sondern eine individuelle Geisteshaltung des Einzelnen. Diese kann zwar beeinflusst werden, wird aber von jeder Person durch Erfahrungen selbst gebildet. Genau dieser Aspekt macht das Geschichtsbewusstsein bedeutsam für den Geschichtsunterricht. Jeder der Schülerinnen und Schüler (SuS) hat und bildet sein eigenes Geschichtsbewusstsein. Dies hat einen Einfluss auf das Lernen der SuS. Das Erlangen eines Geschichtsbewusstseins ist eine spezielle Eigenschaft der Menschen und wird durch unseren Alltag geprägt [46] Dinge, die wir täglich sehen und erleben haben einen historischen Hintergrund und beeinflussen unser Geschichtsbewusstsein. Dazu gehören Bauwerke und Denkmäler, Erzählungen älterer Menschen, Zeitungsartikel und Ausstellungen sowie Romane und Spielfilme [47].Das Geschichtsbewusstsein ist Gegenstand der Geschichtsdidaktik. Es ist „als geschichtsdidaktisches Basisparadigma überall anerkannt.“ [48]

Geschichtsbewusstsein beinhaltet nicht nur die eigene Wahrnehmung von Geschichte, sondern auch „die Vorstellung und Deutung von der Vergangenheit sowie die daraus resultierenden Einstellungen.“ [49]. Das Geschichtsbewusstsein wird von der Geschichte erzeugt und kann durch diese auch verändert und korrigiert werden. [50]. Jeismann[51] definiert Geschichtsbewusstsein „als Zusammenhang von Vergangenheitsdeutung, Gegenwartsverständnis und Zukunftsperspektive.“

Voraussetzungen für Geschichtsbewusstsein

Geschichtsbewusstsein formt sich unter unterschiedlichen Voraussetzungen. Alter und Umfeld sind zwei mögliche Faktoren. Desweiteren haben Einwirkungen von außen und äußere Umstände Einfluss auf die Bildung eines Geschichtsbewusstseins einer Person. Interesse und Vorkenntnisse bilden eine vorher geschaffene Grundlage für Geschichtsbewusstsein und beeinflussen dieses. [52]

Vermittlung von Geschichtsbewusstsein

Der Kontakt mit Geschichte geschieht an unterschiedlichen Orten und durch unterschiedliche Gelegenheiten. Geschichte wird nicht nur in der Schule vermittelt. Medien thematisieren Geschichte und präsentieren sie subjektiv. Dies beeinflusst den Menschen und das Geschichtsbewusstsein des Einzelnen. Auch durch bei einem Besuch von Museen und im alltäglichen Leben stehen die Menschen in Kontakt mit Geschichte und das Geschichtsbewusstsein bildet und entwickelt sich. Mittlerweile wird das Museum durch gezielte Museumspädagogik zum Lernort und auch dort wird Geschichtsbewusstsein vermittelt. Ein weiterer Punkt sind Romane und Spielfilme in denen Geschichte dargestellt wird. Dies geschieht oftmals durch den zusätzlichen Einfluss von Spannung und Charakteren. Dadurch gestaltet sich diese Darstellung von Geschichte oftmals fern von tatsächlichen Gegebenheiten, wird aber dennoch mit großem Interessen und Erfolg von den Menschen verfolgt.[53]

Reichweiten von Geschichtsbewusstsein

Die Reichweite von Geschichtsbewusstsein kann unterschiedliche sein und auf unterschiedlichen Ebenen stattfinden. Ein Faktor dabei ist das Alter und die dadurch resultieren Lebenserfahrung. Auch das Umfeld prägt das historische Bewusstsein. Dazu gehören Familie, Vereine und Religionsgemeinschaften. Zusätzlich können die Herkunft oder Zugehörigkeit einen Einfluss haben z.B. Dorf, Stadtteil, Stadt, Region, Landschaft oder Bundesland. Ein besonderer räumlicher Faktor ist die Zugehörigkeit zu einer Nation oder einem Staat. Dadurch entstehende Gruppengefühle prägen das Geschichtsbewusstsein.[54] Zusammensetzung von Geschichtsbewusstsein Das Geschichtsbewusstsein setzt sich aus unterschiedlichen Bestandteilen zusammen: „Kenntnisse von Daten und Ereignissen, Raumvorstellungen, Bildern und Erzählungen, Vor- und Werturteilen.“[55] Ein wichtiger Faktor dabei sind Bilder, die die Menschen stark beeinflussen und die sie sich einprägen.

Inhalt des Geschichtsbewusstseins

Die Inhalte des Geschichtsbewusstseins variieren mit der Zeit und mit den Veränderungen der Vorgaben der Schulen. Auch die Veränderungen der Themen haben einen Einfluss auf die Gestaltung des Geschichtsbewusstseins des Einzelnen. Durch die Thematisierung gewisser Ereignisse werden auch Wertungen dazu vermittelt. Dadurch können negative Assoziationen zum Nationalsozialismus oder positive zu Freiheit, Gleichheit und Demokratie entstehen.[56]

Dimensionen des Geschichtsbewusstseins

Allgemein anerkannt wird das Geschichtsbewusstsein laut Pandel (1987) in sieben Dimensionen unterschieden:

  • 1. Zeitbewusstsein (früher – heute)
  • 2. Historizitätsbewusstsein (statisch-veränderlich)
  • 3. Wirklichkeitsbewusstsein (real – imaginär)
  • 4. Identitätsbewusstsein (wir – ihr/sie)
  • 5. politisch-ökonomisches Bewusstsein (oben – unten)
  • 6. soziales Bewusstsein (arm - reich)
  • 7. moralisches Bewusstsein (richtig – falsch)

Gautschi fügt als achtes Merkmal das Raumbewusstsein hinzu. Thurn und Bergmann fordern eine neunte Dimension und zwar das Geschlechtsbewusstsein.[57] Rohlfes (2005) beschreibt, dass die Dimensionen des Geschichtsbewusstseins noch erweiterbar sind um ökologisches, globales und ästhetisches Bewusstsein. Geschichtsbewusstsein im Geschichtsunterricht Geschichtsbewusstsein hat als Thema im Geschichtsunterricht eher eine untergeordnete Rolle.

„Geschichtsbewusstsein sollte nur gelegentlich und ausnahmsweise explizierter Gegenstand des Schulunterrichts sein.“ [58] Geschichtsbewusstsein ist ein Habitus, eine Denk- und Verhaltensgepflogenheit, auf die man pädagogisch zwar hinwirken, deren erfolgreiche Einpflanzung aber kein Lehrer garantieren kann. Hingegen sollte das Geschichtsbewusstsein aus Sicht der Lehrkraft immer präsent sein und als entscheidender Faktor im Lehr- Lernverhalten gesehen werden. Bis vor kurzem verstand man unter Geschichtsbewusstsein, einen normativen Begriff der vorgibt, was die SuS zu Geschichte und geschichtlichen Ereignissen denken sollten. Geschichtsbewusstsein galt als kollektiv und nicht als individuelles, subjektives Empfinden. Die Veränderung zum analytischen Begriff geschah im 20. Jahrhundert. [59] Geschichtsbewusstsein ist ein Schlüsselbegriff für das Verständnis von Vergangenheit und Gegenwart. Die Gesichtsdidaktik ist nicht nur auf die Vermittlung von Lernzielen und –gegenständen beschränkt, sondern ist auch aufgefordert, das gesamte gesellschaftliche und politische, aber auch anthropologische und kulturelle Umfeld geschichtlichen Lernens einzubeziehen.[60] „Nach allgemeiner Auffassung erschöpft sich die Geschichtsdidaktik nicht in ihrer Ausrichtung auf den schulischen Geschichtsunterricht, sondern umfaßt das gesamte Feld der Vermittlung und Rezeption von Geschichte in der Gesellschaft, mit dem heutigen gängigen Begriff: die Geschichtskultur.“[61] Waltraud Schreiber entwarf das „kategoriale Strukturmodell des Geschichtsbewusstseins“. Dessen Kernidee ist das reflektierte und selbstreflexive Geschichtsbewusstsein. Sie wird auf die Fokussierung auf Vergangenheit, Geschichte sowie Gegenwart/Zukunft gegliedert.[62] Rüßen definiert Geschichtsbewusstsein als „narrative“ Kompetenz.[63]

Bedeutung des Geschichtsbewusstseins

Bodo von Borries hat das Geschichtsbewusstsein noch um zwei weitere Gesichtspunkte erweitert: die Codierung und die Weisen der Verarbeitung. Borries erinnert, dass das Geschichtsbewusstsein nicht nur im rationell-intellektuellen Verarbeiten aufgeht, sondern auch eine kognitive, emotionale, moralische und ästhetische Verarbeitung.[64] Das Geschichtsbewusstsein der SuS ist abhängig von Alter und Leistungsstand der SuS. Mit dem Geschichtsbewusstsein lässt sich nicht immer einfach im Geschichtsunterricht umgehen. Durch die anspruchsvollen und komplexen Dimensionen des Geschichtsbewusstseins ergeben sich Probleme. Geschichtsbewusstsein kann nicht direkt zum Unterrichtsthema gemacht werden. „Geschichtsbewusstsein ist sowohl Voraussetzung wie Ziel von Unterricht. Er nimmt Geschichtsbewusstsein als Ziel, muss aber auch das stets vorhandene Geschichtsbewusstsein der Schülerinnen und Schüler als Voraussetzung für die eigene Intentionalität ernst nehmen.“[65]

Verknüpfung von Geschichtsbewusstsein und Geschichtskultur

Es ist unumgänglich, eine Verbindung zwischen Geschichtsbewusstsein und Geschichtskultur zu ziehen, da sich diese sich in der praktisch wirksamen Artikulation von Geschichtsbewusstsein im gesellschaftlichen Leben äußert.

Geschichtskultur

Definition und Entwicklung

Der Begriff der Geschichtskultur unterliegt seit seiner Erscheinung einem Wandel und wird von Wissenschaftlern sehr unterschiedlich definiert. Lange Zeit nahmen Historiker an, dass die Geschichtskultur das Geschichtsbewusstsein als didaktische Kategorie überflüssig machen würde. Seinen Ursprung hatte die Geschichtskultur in den fachtheoretischen Diskussionen der 80er Jahre. Damals bezeichnete die Geschichtskultur die Art und Weise wie öffentliche Medien mit historischen Sachverhalten umgingen. Dabei wurde die Geschichtskultur noch nicht mit dem schulischen Geschichtsunterricht in Beziehung gebracht. Geschichtskultur sollte deshalb vor allem auf die gegenwärtige Geschichtlichkeit einer Gesellschaft, unabhängig von schulischen und wissenschaftlichen Institutionen, verweisen [66]

Heutzutage werden Geschichtskultur und Geschichtsbewusstsein nicht getrennt oder in Konkurrenz miteinander, sondern als zwei Seiten eines gemeinsamen Sachverhalts betrachtet.[67] Der Historiker und Kulturwissenschaftler Jörn Rüsen hat sich intensiv mit der Geschichtskultur auseinandergesetzt und umschreibt diese als die „ praktisch wirksame Artikulation von Geschichtsbewusstsein im Leben einer Gesellschaft.“[68] Geschichtskultur zeigt sich demnach im Umgang einer Gesellschaft mit der Vergangenheit und Geschichte an sich. In der Geschichtskultur manifestiert sich das Geschichtsbewusstsein der einzelnen Teilhabenden einer Gesellschaft. Demnach werden „Universität, Museum, Schule Verwaltung, Massenmedien und andere kulturelle Einrichtungen zum Ensemble von Orten der kollektiven Erinnerung.“[69]

Die Bereicherung einer geschichtskulturellen Betrachtung liegt vor allem in der Bewusstmachung, dass alle individuelle und gesellschaftliche Realität von Geschichte geprägt ist. Durch die Kategorie der Geschichtskultur wird vor allem die Geschichtlichkeit gesellschaftlicher Vorgänge aufgezeigt. Geschichtskultur zeigt sich demnach sowohl im individuellen als auch im gesellschaftlichen Erleben.[70]


Dimensionen der Geschichtskultur (Rüsen)

In seinen Thesen zeigt Rüsen drei Dimensionen, die die Geschichtskultur strukturieren auf. Er nennt diese die ästhetische, die politische und die kognitive Dimensionen.[71]

Jede der Dimensionen steht dabei zunächst autonom für sich selbst. Dabei existieren die Dimensionen jedoch nicht unabhängig voneinander. Sie sind deshalb nicht voneinander zu trennen, zwischen allen besteht ein Zusammenhang. Historische Erinnerung kommt nur mit allen drei Regulativen zum Tragen. [72]

Ästhetische Dimension

Die ästhetische Dimension bedeutet das Künstlerische im Historischen aufzuzeigen. Jedoch kann dies laut Rüsen nur wahrgenommen werden, wenn es sich um die „ genuin historische Erinnerungen geht.“ [73] Die ästhetische Dimension der Geschichtskultur kann deshalb unter anderem in Museen, an Denkmälern und Kunst und Literaturwerken wahrgenommen und ausgelegt werden.[74]

Politische Dimension

In der politischen Dimension zeigt sich vor allem das Maxim, „ dass jede Form von Herrschaft einer Zustimmung durch die Betroffenen bedarf, in der ihre historische Erinnerung eine wichtige Rolle spielt.“[75] Deshalb weist politische Herrschaft auch immer geschichtlich bedeutsame Symbole wie nationale Feiertage und Gedenktage, politische Debatten und der der staatliche Geschichtsunterricht vor.[76] Umgekehrt kann in diesen Symbolen jedoch auch der Widerstand der Beherrschten dargestellt werden.

Kognitive Dimension

Die kognitive Dimension wird vor allem durch die historischen Wissenschaften aufgegriffen. Die Geschichtswissenschaften und auch öffentliche Diskussionen allgemein realisieren die kognitive Dimension durch eine analytische und methodische Reflexion und einer Deutung von Geschichte.[77]

Kritik an Rüsens Ansatz

Einzelne Bestimmungen von Rüsens Ansatz der Geschichtskultur werden besonders von einigen Geschichtsdidaktikern kritisiert. In ihren Augen sind die Bestimmungen zu abstrakt und damit zu „wenig konkret und operationalisierbar.“[78] Dementsprechend sehen sie Schwierigkeiten Rüsens Auslegungen aktiv in den Unterricht zu integrieren.


Manifestationen der Geschichtskultur (Pandel)

Hans-Jürgen Pandel beschreibt vier Mechanismen der Geschichtskultur, die diese im Besonderen auszeichnen. Auf diese wird im Folgenden näher eingegangen

Gattungswanderungen

Die Gattungswanderung dient als Basis der Geschichtskultur. Historische Sachverhalte werden immer wieder anders in verschiedene Gattungen dargestellt. Der Wechsel von einer Gattung in eine andere führt zu einem Bedeutungszuwachs des geschichtswissenschaftlich untersuchten Sachverhaltes. „Man kann deshalb sagen, Geschichtskultur beruht auf der medialen Refiguration des historischen Wissens.“[79] Besonders gut sichtbar wird das Phänomen an dem durch die Geschichtswissenschaft untersuchte Sachverhalts des Holocausts. Nachdem dieser intensiv erforscht wurde, wurde er von immer wieder unterschiedlichen Gattungen, wie dem Dokumentarfilm, dem Spielfilm oder dem Comic dargestellt.[80]

Die Gattungen, in denen sich Geschichtskultur zeigt sind dabei keineswegs neutral. Im Gegenteil, sie bringen ihre typischen Wesensmerkmale mit und verändern und interpretieren dabei den Sachverhalt. Deshalb werden Gattungsüberschreitungen oft als Tabubrüche angesehen.[81]


Event und „sozialer Anlass“

Geschichtskultur wird neben Gattungswanderungen auch von gelebten Alltagssituationen ausgemacht. „Ein geschichtskulturelles Event ist ein „sozialer Anlass“, der einen thematischen Bezug zu Geschichte hat.“[82] Dazu zählen Vernissagen, Urraufführungen oder Feiern. Der daran Teilnehmende erinnert sich im Nachhinein nicht nur an den Anlass, oder den Sachverhalt der Veranstaltung, sondern auch an das Ereignis selbst. Es gibt auch geschichtskulturelle Veranstaltungen, die sich explizit an Kinder und Jugendliche richten. Geschichtswettbewerbe oder Veranstaltungen zur Denkmalpflege mit Jugendlichen zum Beispiel versuchen diese anzuregen sich kulturell zu engagieren.[83]

Lebensstile

Zu einem kulturell geprägten Lebensstil zählen unter anderem die Mitgliedschaft in einem Verein, der sich mit geschichtlichen Sachverhalten auseinandersetzt, der Besuch sozialer Anlässe, wie Vernissagen oder Kinobesuche. Weiterhin zeigt er sich auch in der Wahl kultureller Güter wie Antiquitäten.[84]

Tatsachen – Evaluationen – Expressionen

Die Unterteilung der Tatsachen, Evaluationen und Expressionen erinnern stark an Rüsens ästhetische, politische und kognitive Dimensionen. Tatsachen werden auch hier als verifizierbare Sachverhalte, angesehen und durch die die Wissenschaft erforscht. Diese sind deshalb auch Gegenstand schulischen Unterrichts. Evaluationen hingegen debattieren kulturelle und gesellschaftliche Normen und Werte.[85] Häufig stehen unterschiedliche Wertevorstellungen dabei in Konflikt miteinander. So wurde zum Beispiel 1997 viel über die damals erschienene Komödie „ Das Leben ist schön“ unter Regie von Roberto Benigni diskutiert.

Dieser Film thematisiert den Holocaust und Kritiker empfanden es geschmacklos den Holocaust in einer Komödie darzustellen.[86] Neben Tatsachen und Evaluationen gründen kulturelle Veranstaltungen auch auf Expressionen. In kulturell Erschaffenes wie Romane, Filme, Theaterstücke oder Bilder fließt auch immer die Subjektivität des Künstlers ein. Die Kategorie der Expression fokussiert diese Subjektivität.[87]

Geschichtskultur und Geschichtsunterricht

Da die Geschichtskultur ein wichtiger Bestandteil der Lebenswelt ist, werden auch Heranwachsende in ihrem Alltag mit ihr konfrontiert. Deshalb interessiert sich Geschichtskultur , die auf den Geschichtsunterricht bezogen ist für die Frage, wie historische Sachverhalte in der heutigen Lebenswelt, die die Schülerinnen und Schüler umgibt dargestellt werden und wie diese sie wahrnehmen und bewerten können.

Geschichtskulturelle Kompetenz

Die geschichtskulturelle Kompetenz zeichnet sich darin aus, dass Schülerinnen und Schüler fähig sind, sich in der geschichtlich geprägten Gesellschaft zu bewegen. Die Heranwachsenden sollen Geschichtskultur wahrnehmen und bewerten können. Des Weiteren sollen sie sich an geschichtskulturellen Situationen, wie Vernissagen, Inszenierungen, Diskussionen und Kommerzialisierungen beteiligen können und öffentliche Stimmen dazu wahrnehmen, verstehen und bewerten.[88] Im Gesamten lernen sie so ihre eigene Lebenswelt besser zu verstehen.

Heranwachsende in der Sekundarstufe nehmen stark am kulturellen Leben einer Gesellschaft teil. Die Jugendlichen bewegen sich alltäglich in den Massenmedien und konsumieren das Internet und Fernsehen in großem Maße. Vor allem sind sie auch aufgrund ihres Alters und ihrer Entwicklung eher fähig öffentliche Debatten in Rezeptionen oder Talkshows zu verstehen und diese, wenn auch manchmal mit Hilfestellungen, kritisch zu reflektieren.

Geschichtskultur und Geschichtsdidaktik

Besonders wichtig bezogen auf den institutionellen Geschichtsunterricht ist die Verschiedenheit von Zeitvorstellungen von Erwachsenen und Kindern und Jugendlichen. Gegenwartsvorstellungen dieser differenzieren stark. Der Zeithorizont eines Kindes umfasst ungefähr zwei Jahre, der eines Erwachsenen etwa 15 Jahre. [89] Was für Erwachsene also noch brisant und aktuell erscheint, ist für Kinder und Jugendliche schon veraltet. Diese Unterschiedlichkeit hat einen großen Einfluss auf die Betrachtung der Geschichtskultur in der Schule. Lehrerpersonen müssen deshalb genau darauf achten, wirklich aktuelle Thematiken aufzugreifen um „am Puls der Zeit“ zu sein. Das bedeutet im Umkehrschluss auch, dass wenn die Öffentlichkeit über aufsehenerregende kulturelle Geschehnisse diskutiert, diese Debatten auch im Geschichtsunterricht aufgegriffen werden müssen.

Oft haben Lehrpersonen eine falsche und zu vereinfachte Vorstellung der aktiven Integration von Geschichtskultur in den Unterricht. Viele Pädagogen nehmen an, ein Museumsbesuch oder die Vorführung eines historischen Films bedeute schon sich mit Geschichtskultur aktiv auseinanderzusetzen. [90] Dies ist jedoch nicht richtig. Aufgrund eines Wahrnehmens historischer Sachverhalten mithilfe unterschiedlicher Gattungen in schulischem Kontext setzen sich Schüler noch lange nicht mit Geschichtskultur auseinander. Denn nicht die Ereigniszeit, sondern die „Darstellungszeit“ ist wichtig. [91]

Damit wirklich ein geschichtskulturell bewusster Unterricht stattfinden kann, müssen sich die Schülerinnen und Schüler nicht nur mit der kulturellen Aktivität, wie Beispielsweise einem Museumsbesuch oder einer Vorführung eines historischen Films auseinandersetzen, sondern vor allem auch mit der öffentlichen Debatte darüber. [92] In diesem Sinne beschäftigen sie sich in einem geschichtskulturell bewussten Unterricht mit den Stimmen aus der Gesellschaft und damit zum Beispiel mit Rezeptionen, öffentlichen Diskussionen, Talkshowrunden oder Leserbriefen über aufsehenerregende kulturelle Aktivitäten.

Wenn Schülerinnen und Schüler die Möglichkeit haben sich mit diesen auseinandersetzen und ihre eigene Werturteile zu fällen, nehmen sie kritisch reflektierend an einer geschichtsgeprägten Gesellschaft teil.

  1. Rohlfes 2005: 97
  2. ebd.
  3. ebd.
  4. ebd
  5. Rohlfes 2005: 98
  6. Sauer 2004: 54-55
  7. Sauer 2004: 55
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  9. Bildungsplan 2004, S. 104
  10. Sauer 2004:
  11. Sauer 2004:
  12. Sauer 2004:
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  14. Sauer 2004: 69
  15. Bergmann 2000: 164
  16. Sauer 2004: 72)
  17. Bergmann 2000: 175
  18. Sauer 2004: 47
  19. vgl. ebd.
  20. Sauer 2004: 48
  21. Sauer 2004: 48
  22. Sauer 2004: 50
  23. Sauer 2004: 85
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  25. Sauer 2004: 86
  26. Sauer 2004: 115
  27. 2004: 117-118)
  28. Barricelli/Gautschi: 207
  29. vgl. ebd.
  30. (ebd.)
  31. Barricelli/Gautschi: 211
  32. Barricelli/Gautschi: 213
  33. vgl. Barricelli/Gautschi: 215
  34. ebd.
  35. Barricelli/Gautschi: 217
  36. Barricelli/Gautschi: 218
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  38. Barricelli/Gautschi: 230
  39. Bergmann; 2000, 5
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  41. Bergmann; 2000, 26-28
  42. Lange; 2007, 105)
  43. Lange; 2007, 106
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  45. Mayer, Ulrich(2006):Wörterbuch der Geschichtsdidaktik
  46. Sauer; 2001, 9
  47. Sauer; 2001, 9
  48. Rohlfes; 2005, 385
  49. Rohlfes; 2005, 19
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  52. Sauer; 2004, 12)
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  61. Rohlfes; 2005, 385/386
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  65. Mayer; 2006, 70
  66. vgl. Pandel, 2012, S. 147f.
  67. vgl. Rohlfes, 2005, S. 391
  68. Rüsen, 1999, S. 9
  69. Rüsen, 1999, S. 9
  70. vgl. Rohlfes, 2005, S. 391f
  71. vgl. Rüsen, 1999, S. 10
  72. vgl. Rüsen, 1999, S. 13
  73. Rüsen,1999, S. 10
  74. vgl. Rohlfes, 2005, S. 391
  75. Rüsen, 1999, S. 11
  76. vgl. Rohlfes, 2005 S. 391
  77. vgl. Rohlfes, 2005 S. 391
  78. Wunderer, 2000, S.154
  79. Pandel, 2012, S. 151
  80. vgl. Pandel, 2012, S. 151f.
  81. vgl. Pandel, 2012, S. 151f.
  82. Pandel, 2012, S.153
  83. vgl. Pandel, 2012, S. 153f.
  84. vgl. Pandel, 2012, S.154
  85. vgl. Pandel, 2012, S. 155
  86. vgl. Pandel, 2012, S. 154f.
  87. vgl. Pandel, 2012, S. 155f
  88. vgl. Pandel,2012, S. 156f
  89. vgl. Pandel, 2012, S. 156
  90. vgl. Pande, 2012, S. 157
  91. Pandel, 2012, S. 150
  92. vgl. Pandel, 2012, S. 159