Historisches Lernen in der Sekundarstufe I: Unterschied zwischen den Versionen

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=== Quellenarbeit ===
=== Quellenarbeit ===


Die Quellenarbeit sollte im Mittelpunkt des Geschichtsunterrichts stehen, um so ein Bild der Vergangenheit zu formen. Die Schülerinnen und Schüler können auf diesem Weg den Zugang zur Geschichte nachvollziehen.  
Die [[Quellenarbeit im Geschichtsunterricht (Sek.I)| Quellenarbeit]] sollte im Mittelpunkt des Geschichtsunterrichts stehen, um so ein Bild der Vergangenheit zu formen. Die Schülerinnen und Schüler können auf diesem Weg den Zugang zur Geschichte nachvollziehen.  
„Die didaktischen Intentionen: Schülerinnen und Schüler lernen fachspezifische Voraussetzungen und Methoden der Erkenntnisgewinnung kennen (Unterscheidung von Quelle und Darstellung, Perspektivität von Quellen).“ <ref>Sauer 2004: 85</ref> Zudem sollen die Lernenden zu einer eigenen Urteilsbildung kommen, was durch Selbsttätigkeit und eignes denken forciert werden soll.  
„Die didaktischen Intentionen: Schülerinnen und Schüler lernen fachspezifische Voraussetzungen und Methoden der Erkenntnisgewinnung kennen (Unterscheidung von Quelle und Darstellung, Perspektivität von Quellen).“ <ref>Sauer 2004: 85</ref> Zudem sollen die Lernenden zu einer eigenen Urteilsbildung kommen, was durch Selbsttätigkeit und eignes denken forciert werden soll.  
Man sollte die Quellenarbeit allerdings nicht verabsolutieren, da für diese Methode immer ein Vorwissen nötig ist und der Unterricht schließlich nicht nur aus Informationsaufnahme bestehen kann. Es könnte zudem auch vorkommen, dass die Lernenden mit der ihnen vorgelegten Quelle überfordert sind „sowohl von der Sprachgestalt wie von den geistigen Operationen her.“ <ref>Sauer 2004: 86</ref>  
Man sollte die Quellenarbeit allerdings nicht verabsolutieren, da für diese Methode immer ein Vorwissen nötig ist und der Unterricht schließlich nicht nur aus Informationsaufnahme bestehen kann. Es könnte zudem auch vorkommen, dass die Lernenden mit der ihnen vorgelegten Quelle überfordert sind „sowohl von der Sprachgestalt wie von den geistigen Operationen her.“ <ref>Sauer 2004: 86</ref>  
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* Quellen müssen authentisch sein (…).
* Quellen müssen authentisch sein (…).
* Quellen sollten Vorstellungsbildung ermöglichen.
* Quellen sollten Vorstellungsbildung ermöglichen.
* Quellen sollten Alteritätserfahrung und – bei entsprechenden Themen- Fremdverstehen ermöglichen.“ <ref>Sauer 2004: 86</ref>  
* Quellen sollten Alteritätserfahrung und – bei entsprechenden Themen- Fremdverstehen ermöglichen.“ <ref>Sauer 2004: 86</ref>


=== Außerschulische Lernorte ===
=== Außerschulische Lernorte ===

Version vom 25. Juni 2014, 12:09 Uhr

L. Bartholme, C. Lenz, J. Riek erweitert von E. Knutas Jan 2014


Didaktik des Geschichtsunterrichts

„Didaktik ist im erziehungswissenschaftlichen Sprachgebrauch die Lehre vom Unterricht“ [1]. In einer weiten Auslegung des Begriffs umfasst er alle Lehr- und Lernprozesse einschließlich der Voraussetzungen. In einem engen Verständnis wird die Didaktik als Theorie der Unterrichtsinhalte gedeutet. „Die Didaktik sucht die Bedürfnisse und Möglichkeiten der Lernenden mit den Sachansprüchen der Lerngegenstände zu vereinbaren. Sie sieht und organisiert die Lernziele, -inhalte und –prozesse sowohl >sub specie subiecti< als auch im Hinblick auf die Gegebenheiten >der Sache<“ [2]. Der Lernstoff soll den Schülerinnen und Schülern helfen ihre gegenwärtigen und zukünftigen Lebensaufgaben zu meistern. Das bedeutet, dass Lerngegenstände so aufbereitet werden müssen, dass sie einen maximalen Lerngewinn erzielen.

„Jenseits dieser grundlegenden Zweckbestimmung stehen sich unterschiedliche didaktische Anwendungsbereiche und Zielsetzungen gegenüber“ [3] Die Anwendungsbereiche umfassen zum einen die Gegenstände und zum anderen die Adressaten. „Schaut man auf die Adressaten, so lassen sich eine Kindergarten-,eine Vorschul-, eine Grundschuldidaktik, eine Didaktik für die Sekundarstufe I, für die Sekundarstufe II, aber auch für die Hochschule und Einrichtungen der Erwachsenenbildung ausmachen“ [4]. Diese unterschiedlichen Didaktiken beschäftigen sich mit den jeweiligen Lernvoraussetzungen, Lernbedürfnisse und den Lernmöglichkeiten, da das Niveau und das Alter der jeweiligen Gruppen ausschlaggebend ist für die Umsetzung im Unterricht. „Was die didaktische Grund- und Zielfragen angeht, so sind für die Geschichtsdidaktik heute vornehmlich vier allgemeindidaktische Ansätze wichtig: der bildungstheoretische, der lerntheoretische, der fachwissenschaftsorientierte, der kommunikative“ [5].

Lehren und Lernen in der Sek I

Kernbestandteil des Geschichtsunterrichts in der Sekundarstufe I ist - das gilt für alle Schulformen – der „chronologische Durchgang“. (…). Freilich haben wir es längst nicht mehr im engeren Sinne mit einer Chronologie, einem kleinschrittigen Kanon von Daten und Fakten, zu tun. Vielmehr handelt es sich um eine Reihung von mehr oder weniger problemorientierten Querschnitten, der lediglich eine zeitliche Abfolge zugrunde liegt.“ [6]

Dazu kommen noch Längsschnitte und exemplarische Untersuchungen als weitere Vorgehenseisen. Methoden gewinnen zunehmend an Bedeutung im modernen Geschichtsunterricht. „Schülerinnen und Schüler sollen lernen, mit verschiedenen Arten von Quellen (Texten, Bildern etc.) und Darstellungen (Geschichtskarten, Fachbüchern etc.) fachlich angemessen umzugehen, selber Fragestellungen zu entwickeln, Informationen einzuholen und die Ergebnisse ihrer Untersuchungen sinnvoll festzuhalten und zu präsentieren, kurzum: Sie sollen historisches Arbeiten lernen.“ [7]

Der Bildungsplan 2004 für die Realschule [8] verfolgt folgende Leitgedanken zum Kompetenzerwerb der Schülerinnen und Schüler. Zunächst soll den Heranwachsenden eine Auseinandersetzung mit der zeitlichen Dimension der Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft näher gebracht werden. Zwischen diesen soll ein Bezug hergestellt werden um das Geschichtsbewusstsein der Schülerinnen und Schüler zu fördern. Des Weiteren werden innerhalb des Geschichtsunterrichts vielfältige personale, soziale, fachliche und methodische Kompetenzen vermittelt. Die Heranwachsenden sollen lernen ihr Selbst in Kontext mit zeitlichen Abläufen zu setzen. „Darüber hinaus entwickeln die Schülerinnen und Schüler Einstellungen und Haltungen wie zum Beispiel die Bereitschaft und Fähigkeit mit Partnern und in Gruppen konstruktiv und zielgerichtet zusammenzuarbeiten und dabei auftretende Schwierigkeiten in demokratischer und ethisch verantwortungsvoller Weise zu überwinden.“ [9] Dabei spielt die Demokratieerziehung eine besonders wichtige Rolle. Der Geschichtsunterricht der Sekundarstufe leistet seinen Beitrag Demokratieverständnis zu vermitteln und die Schülerinnen und Schüler zu mündigen Bürgern zu erziehen.

Lernvoraussetzungen und motivationale Beweggründe

Die Entwicklung von Kindern und Jugendlichen beeinflusst maßgeblich Lernvoraussetzungen und motivationale Beweggründe eines erfolgreichen Geschichtsunterrichtes in der Sekundarstufe. Fachdidaktiker wie Jean Piaget und Christian Noack stellen die Entwicklung von Heranwachsenden stufenmodellartig dar. Entscheidend für das Lernen in der Sekundarstufe und somit für den Geschichtsunterricht ist Piagets „formal-operationale Phase“, sowie Noacks Stufen zwei und drei: „konkret-narrativ“ und „konventionell affirmativ.“ [10] Während sich Piaget auf die Entwicklung von Denkoperationen konzentriert und so folgert, dass Schülerinnen und Schüler in der formal-operationalen Phase zu abstrakten Denkprozessen fähig sind, fokussiert Noack direkt die Entwicklung von Geschichtsbewusstsein. In diesem Sinne interessieren sich Heranwachsende in der „konkret-narrativen“ Stufe in großem Maße für Erzählungen und Taten großer Personen in der Geschichte. [11] In der konventionell affirmativen Stufe hingegen steht die Entwicklung von Gruppenidentität, sowie personalisierende und emotionalisierende Blickrichtung auf historische Gegebenheiten. Franz Emanuel Weinert jedoch schränkt die Konsequenzen, die sich aus den Stufenmodellen ergeben kategorisch ein. „ Weltweit ist zum gegenwärtigen Zeitpunkt niemand in der Lage, die Zusammenhänge zwischen individuellen Lernvoraussetzungen, typischen Lernprozessen und stabilen Leistungsunterschieden durch Erb-, Umwelt-, Entwicklungs- und Situationseinflüsse befriedigend zu erklären.“ [12]

Abschließend lässt sich zu Lernvoraussetzungen folgern, Pädagogen sollten sich mit Entwicklungsstufenmodellen auseinandersetzen, jedoch für ihren eigenen Geschichtsunterricht in der Sekundarstufe auf diese allgemeingehaltenen Aussagen nicht verlassen. Vordergründig sollte nicht vergessen werden, dass die Individualität des einzelnen Schülers am bedeutsamsten für erfolgreiches Lehren und Lernen ist.

Eine Studie von Helmut Beilner stellt fest, dass bei Schülerinnen und Schüler am Ende der Primarstufe ein großes Interesse an geschichtlichen Vorgängen besteht. Diese Motivation nimmt im Laufe der Sekundarstufe jedoch ab. Die Gründe dafür sind nicht bekannt.[13] Lehrpersonen sollten den Rückgang an Interesse dennoch zur Kenntnis nehmen und darauf eingehen. Bekannt ist jedoch, dass Schülerinnen und Schüler sich in großem Maß für Andersartiges und Abenteuerliches in der Geschichte interessieren. Des Weiteren finden Heranwachsende, anders als vermutet, Konkretes wie Sachen und Personen besonders spannend.


Unterrichtsprinzip: Multiperspektivität und Kontroversität

Geschichte wird immer aus einer bestimmten Perspektive wahrgenommen und überliefert. Für Historiker ist es wichtig die unterschiedlichen Perspektiven bei ihrer Interpretation zu berücksichtigen. Es kann nie die vergangene Wirklichkeit geben, sondern stets nur verschiedene Arten von Zeugnissen, die aus unterschiedlichen Perspektiven überliefert worden sind. Die Rekonstruktion der vergangenen Geschehnisse kann demnach nie die absolut gültige Wahrheit anstreben bzw. darstellen. „Dass historische Ereignisse schon von den Zeitgenossen unterschiedlich gesehen und beurteilt worden sind und es – von unbezweifelbaren Fakten abgesehen – nicht die Geschichte „an sich“ gibt, ist eine elementare Einsicht, die der Geschichtsunterricht Schülerinnen und Schülern vermitteln muss.“ [14]

„Drei Gesichtspunkte der Multiperspektivität scheinen besonders wichtig zu sein: Erstens ist eine Erweiterung und noch stärkere Verankerung des Prinzips in der Praxis des Geschichtsunterrichts wünschenswert; zweitens scheint eine gesellschaftsgeschichtliche Verankerung dringend erforderlich; drittens sind die Möglichkeiten der Umsetzung des Prinzips zu finden und zu propagieren, die die Tatsache berücksichtigen, dass wir in den meisten historischen Epochen „stumme“ Gruppen vor uns haben, deren Perspektive nicht in Form von Primärzeugnissen im Unterricht präsentiert werden kann.“ [15]

Schülerinnen und Schüler sollten sich im Geschichtsunterricht im Umgang mit Perspektivität und Kontroversität üben, um die Fähigkeit zur Perspektivübernahme zu entwickeln. Auf diese Weise erlernen sie „generell verschiedene Ansichten der Welt und einzelner Situationen zur Geltung kommen zu lassen, andere zu erproben und [ihre] eigenen zu überprüfen.“ [16] Die multiperspektivische Darstellung von Geschichte im Unterricht bedeutet folglich, den Lernenden die historischen Sachverhalte so zu präsentieren die sie sich auch den Historikern präsentieren, nämlich in Form von Zeugnissen aus unterschiedlichen Perspektiven, die mal mehr mal weniger in ihrer Darlegung übereinstimmen.

„Indem die Schülerinnen und Schüler im multiperspektivischen Geschichtsunterricht dauernd perspektivische Zeugnisse aus vergangenen Zeiten und Gesellschaften bearbeiten, untersuchen und verstehen lernen, lernen sie jenes ‚einfühlendes Denken‘ und jene ‚Empathie‘, die notwendig sind, um die in den Zeugnissen der Vergangenheit enthaltenen Sinnbezüge, Wertvorstellungen und Denkweisen zu erschließen“ [17]

Strukturierung von Themen

1.Chronologisches Verfahren

Die chronologische Anordnung von Einzelthemen bildet für die Lernenden ein Überblicks- bzw. Orientierungswissen. Es ist wichtig die Kenntnis typischer Epochenmerkmale zu haben, um Schlüsselereignisse richtig einordnen zu können. Somit sollte die Arbeit mit der Zeitleiste einen wichtigen Bestandteil des Unterrichts bilden. Ein Problem, dass allerdings mit diesem Verfahren entstehen könnte ist zum einen, dass Schülerinnen und Schüler keine übergreifenden Bezüge herstellen können. Umbrüche und Kontinuitäten werden deutlich gemacht, jedoch könnten Erscheinungen von langer Dauer zu kurz kommen. Dieser Ansatz sollte neben anderen stehen und durch Rückgriffe und Vergleiche an manchen Stellen ergänzt werden.

2. Längsschnitt

„Rahmenrichtlinien sehen in jüngerer Zeit vermehrt Längsschnitte vor und auch in Schulbüchern haben sie inzwischen Aufnahme gefunden.“ [18] Bei diesem Verfahren wird ein ausgewählter Aspekt über einen längeren historischen Zeitraum verfolgt und untersucht [19] Hierbei eignen sich vor allen anthropologische Themen bzw. Themen, in denen sich Wandlungen vollzogen haben oder einen zentralen gesellschaftlichen Stellenwert besitzen. Jedoch impliziert eine Konzentration auf einen bestimmten Aspekt auch immer eine Isolation. Zeitumstände können meist nur angedeutet werden und spezifische Bedingungen sowie Begründungen werden häufig vernachlässigt. Der Längsschnitt ist eine mögliche Betrachtungsweise, sollte aber nie das alleinige Verfahren im Geschichtsunterricht darstellen.

3. Querschnitt

„Dieses Verfahren ist in unserem Geschichtsunterricht am häufigste vertreten und bildet das Gerüst von Lehrplänen und Schulbüchern.“ [20] Einzelne, bedeutende Epochen werden in Momentaufnahmen untersucht. Das könnte z.B. die Französische Revolution sein oder das römische Kaiserreich. Der Vorteil ist, dass bestimmte Zeitabschnitte parallel und unter verschiedenen Gesichtspunkten untersucht werden und dadurch aufeinander bezogen werden können. „So lässt sich ein umfassendes und facettenreiches Bild eines Zeitraums, eine Art Epochenprofil, entwickeln.“ [21] Allerdings könnte eine problemorientierte Vorgehensweise zu kurz kommen oder die Prozesshaftigkeit der Geschichte auf der Strecke bleiben.

4. Vergleichendes Verfahren

Das Vergleichen historischer Erscheinungsformen kann sich auf einen zeitlichen Aspekt, einen strukturellen oder einen kulturellen Gesichtspunkt beziehen. Ein Beispiel: „Zeitliche Differenz: Demokratie im antiken Athen und heute, Stadt in der Antike, im Mittelalter, im 19.Jahrhundert.“ [22] Ein Nachteil allerdings besteht darin, dass dieses Verfahren nur auf verhältnismäßig wenige Fälle zutrifft.


Lehr- und Lernmethoden

Quellenarbeit

Die Quellenarbeit sollte im Mittelpunkt des Geschichtsunterrichts stehen, um so ein Bild der Vergangenheit zu formen. Die Schülerinnen und Schüler können auf diesem Weg den Zugang zur Geschichte nachvollziehen. „Die didaktischen Intentionen: Schülerinnen und Schüler lernen fachspezifische Voraussetzungen und Methoden der Erkenntnisgewinnung kennen (Unterscheidung von Quelle und Darstellung, Perspektivität von Quellen).“ [23] Zudem sollen die Lernenden zu einer eigenen Urteilsbildung kommen, was durch Selbsttätigkeit und eignes denken forciert werden soll. Man sollte die Quellenarbeit allerdings nicht verabsolutieren, da für diese Methode immer ein Vorwissen nötig ist und der Unterricht schließlich nicht nur aus Informationsaufnahme bestehen kann. Es könnte zudem auch vorkommen, dass die Lernenden mit der ihnen vorgelegten Quelle überfordert sind „sowohl von der Sprachgestalt wie von den geistigen Operationen her.“ [24] Allerdings sollte man die Quelle auch nicht zu sehr vereinfacht darstellen, um die Lernenden nicht zu unterfordern. Die Quelle sollte trotz vereinfachter Darstellung stets einen Herausforderungscharakter besitzen. „Voraussetzungen für eine ertragreiche und befriedigende Quellearbeit ist zunächst eine geeignete Auswahl:

  • Quellen müssen Neues zum Thema bieten, sonst lässt sich an ihnen nichts lernen.
  • Quellen müssen authentisch sein (…).
  • Quellen sollten Vorstellungsbildung ermöglichen.
  • Quellen sollten Alteritätserfahrung und – bei entsprechenden Themen- Fremdverstehen ermöglichen.“ [25]

Außerschulische Lernorte

„Außerschulische Lernorte (…) zeichnen sich dadurch aus, dass sie ein umfassenderes Erkenntnispotential bieten, das durch genauere ortsspezifische Untersuchung erschlossen und genutzt werden kann.“ [26] Dabei unterscheidet man zwischen Institutionen wie z.B. Museen oder Archive und einzelne Überreste bzw. historische Stätten. Der Vorteil von außerschulischen Lernorten ist, dass Schülerinnen und Schüler mit historischen Originalen konfrontiert werden, wobei man aber auch die konstruierte Situation im Museum bedenken muss. Es wird gewissermaßen nie die vergangene Wirklichkeit dargestellt, was man den Lernenden zuvor auch bewusst machen sollte.

Ein Museumsbesuch ist zweifellos kein Selbstzweck und sollte deshalb auch nie isoliert neben dem Unterricht stehen. Gute Vorbereitung, was einen Vorbesuch mit beinhalten sollte, um sich klar zu werden was später mit den Schülern angeschaut wird, ist von großer Wichtigkeit. Das Übermaß von Eindrücken in einem Museum könnte die Klasse überfordern, weshalb die Lehrkraft eine geeignete Vorauswahl von den zu betrachtenden Objekten treffen sollte, um diese intensiver behandeln zu können. Sauer nennt in seinem Buch vier methodische Zugänge, die sich bei einem Besuch mit der Klasse in ein Museum unterscheiden lassen: Führung, Unterrichtsgespräch, Erkundung und Werkstatt [27]


Historische Kompetenzen und Kompetenzmodelle

Begründung

Im Umgang mit Geschichte wurden in jüngster Zeit einige Defizite bei den Schülerinnen und Schülern festgestellt, was sich anhand des fehlenden Einzel- und Strukturwissens festmachen lässt. „Ein Ausweg aus dieser schwierigen Situation des Faches, die sich im Zuge des gesellschaftlichen Wandels seit Ende der 1960er Jahre noch verschlechtert hat, kann mithilfe sogenannter Bildungsstandards und damit verbunden eines fachlichen Kompetenzmodells gewiesen werden“ [28]. Nach PISA wurden in fast allen Bundesländern mehr oder weniger kompetenzorientierte Lehrpläne eingeführt. In den neueren Kompetenzdebatten steht der Kern des Faches wieder im Mittelpunkt. [29] Die neuen Modelle gehen weg von den Lerninhalten und hin zu den erwarteten Schülerleistungen, „also vom Wissenserwerb zu Reflexion und Handlung.“[30]

Gemeinsamkeiten und Unterschiede verschiedener Kompetenzmodelle

„Die Theoriebildung zum kompetenzorientierten Lernen verlief in der Geschichtsdidaktik weniger konzentriert als kompetitiv. In der Folge sieht sich die Zunft heute der Tatsache gegenüber, dass mehrere Vorschläge für Kompetenzmodelle nebeneinander bestehen und miteinander in Wettstreit treten.“ [31] Die meisten Ansätze richten sich auf der theoretischen Basis nach Jörn Rüsen, während beim Kompezentbegriff häufig auf Weinert zurückgegriffen wird. Die Modelle unterscheiden sich zum einen in der Reichweite, also entweder speziell auf den Geschichtsunterricht oder auf das Lernen allgemein also auch auf historisches Lernen außerhalb der Schule. „Zweitens divergieren die Konzepte erheblich hinsichtlich ihres groben Bauplans: Es gibt solche, die mit ganz wenigen (maximal fünf) Kompetenzen auskommen (…) und solche, die unter einer kleinen Zahl von Dachbegriffen (…) eine Vielheit von weiteren Kern-, Teil- und Unterkompetenzen ausdifferenzieren.“ [32]

Kompetenzmodell des „National Center for History in the Schools (NCHS 1996)

Kompetenzmodelle sind schon relative lange präsent im angloamerikanischen Diskurs. Die Kompetenzen stehen gleichberechtigt neben dem Bereich Wissen, was zur Definition von zwei gleichberechtigten Standards führt: Erstens, was sollen die Lernenden können bzw. wie sollen sie historisch denken und zweitens, was müssen sie wissen bzw. verstehen [33] „Die Inhalte und Themen werden nach ‚Topics‘ bzw. nach ‚Era‘ unterschieden, und jeder ‚Topic‘ bzw. jede ‚Era‘ wird in einzelne Standards genauer gefasst.“ [34]

Kompetenzmodell von Hans-Jürgen Pandel (Pandel 2005)

Dieses Modell ist nicht nur das älteste deutsche, sondern auch eines, dem die meiste Beachtung geschenkt wird. „Pandel selbst leitet die Kompetenzbereiche aus der Theorie Historischen Denkens her und bezieht sich gleichzeitig auf die ‚Logik des historischen Erinnerns‘ Pandel 2005: 44“ [35] Er verwendet die Zeitachse als organisierendes Element, wobei die Geschichtskulturelle Kompetenz in der Zeitachse verankert ist und die anderen drei darunter angeordnet werden.

„Um Geschichtsbewusstsein zu fördern, bedürfe es demnach einer Gattungskompetenz, um ‚mit den verschiedenen Textgattungen umgehen zu können, die sich mit dem Themenbereich Geschichte befassen‘, der Interpretationskompetenz als Fähigkeit, aus diesen Gattungen historisches Wissen und historischen Sinn zu entnehmen, der narrativen Kompetenz als Fähigkeit, ‚aus zeitdifferenten Ereignissen durch Sinnbildung eine Geschichte herzustellen‘, und der geschichtskulturellen Kompetenz, welche ‚geschichtskulturelle Sinndeutungen‘ bearbeitbar macht (Pandel 2005: 27 ff)“ [36] Dieses Modell zeichnet sich besonders durch seine Einfachheit und Klarheit aus, die es leicht operationalisierbar erscheinen lassen.

Das Kompetenzmodell von Peter Gautschi

„Der Schweizer Geschichtsdidaktiker Peter Gautschi leitet sein Kompetenzmodell ausdrücklich von einem Lernmodell ab, das sich eng an Jörn Rüsen anlehnt.“ [37] Er differenziert speziell die ‚narrative Kompetenz‘ aus, was ihn zu vier Leitfragen kommen lässt, die zu den vier Operationen führen, die zur Bewältigung der Anforderungen historischen Lernens nötig sind:

  • „Wahrnehmungskompetenz für Veränderungen in der Zeit“
  • „Erschließungskompetenz für historische Quellen und Darstellungen“
  • „Interpretationskompetenz für Geschichte“
  • „Orientierungskompetenz für Zeiterfahrung“

Auf dem Weg zu einem kompetenzorientierten Geschichtsunterricht

„Obwohl sich die oben referierten Modelle wie dargelegt in einer Reihe von grundlegenden Aspekten unterscheiden, haben sie doch ein gemeinsames Ziel: Historisches Lernen soll auf die Entwicklung bzw. Förderung von Kompetenzen orientiert werden.“ [38] Ein kompetenzorientierter Unterricht zielt erstens, auf die Aktivierung der Schülerinnen und Schüler ab. Zweitens sollen sich die Lernenden selbstständig mit den Materialien und Aufgaben auseinandersetzen, um Selbstwirksamkeit zu erfahren. Des Weiteren sollen sie mit Problemstellungen konfrontiert werden, welche einen gesellschaftlich relevanten Inhalt in exemplarischer Weise darstellen. Darüber hinaus sollte der Unterricht individualisiert und differenziert gestaltet sein, was unter anderem auch eine große Auswahl von Materialien beinhaltet.

Geschichtsbewusstsein

Ein Begriff der genauer definiert werden sollte, wenn es um historisches Lernen in der Sekundarstufe geht, ist das Geschichtsbewusstsein. Das Geschichtsbewusstsein hat seine Präsenz im Geschichtsunterricht und sollte bei der Vorbereitung sowie der Durchführung einer Unterrichtsstunde beachtet werden.

Laut Mayer (2006) wird das Geschichtsbewusstsein wie folgt definiert: „Geschichtsbewusstsein ist ein psychischer Verarbeitungsmodus historischen Wissens, der zwar über dieses Wissen gebildet wird, ihm gegenüber aber eine relative Autonomie besitzt.“ [39] Das heißt, das Geschichtsbewusstsein nicht erlerntes ist, sondern eine individuelle Geisteshaltung des Einzelnen. Diese kann zwar beeinflusst werden, wird aber von jeder Person durch Erfahrungen selbst gebildet. Genau dieser Aspekt macht das Geschichtsbewusstsein bedeutsam für den Geschichtsunterricht. Jeder der Schülerinnen und Schüler (SuS) hat und bildet sein eigenes Geschichtsbewusstsein. Dies hat einen Einfluss auf das Lernen der SuS. Das Erlangen eines Geschichtsbewusstseins ist eine spezielle Eigenschaft der Menschen und wird durch unseren Alltag geprägt [40] Dinge, die wir täglich sehen und erleben haben einen historischen Hintergrund und beeinflussen unser Geschichtsbewusstsein. Dazu gehören Bauwerke und Denkmäler, Erzählungen älterer Menschen, Zeitungsartikel und Ausstellungen sowie Romane und Spielfilme [41].Das Geschichtsbewusstsein ist Gegenstand der Geschichtsdidaktik. Es ist „als geschichtsdidaktisches Basisparadigma überall anerkannt.“ [42]

Geschichtsbewusstsein beinhaltet nicht nur die eigene Wahrnehmung von Geschichte, sondern auch „die Vorstellung und Deutung von der Vergangenheit sowie die daraus resultierenden Einstellungen.“ [43]. Das Geschichtsbewusstsein wird von der Geschichte erzeugt und kann durch diese auch verändert und korrigiert werden. [44]. Jeismann[45] definiert Geschichtsbewusstsein „als Zusammenhang von Vergangenheitsdeutung, Gegenwartsverständnis und Zukunftsperspektive.“

Voraussetzungen für Geschichtsbewusstsein

Geschichtsbewusstsein formt sich unter unterschiedlichen Voraussetzungen. Alter und Umfeld sind zwei mögliche Faktoren. Desweiteren haben Einwirkungen von außen und äußere Umstände Einfluss auf die Bildung eines Geschichtsbewusstseins einer Person. Interesse und Vorkenntnisse bilden eine vorher geschaffene Grundlage für Geschichtsbewusstsein und beeinflussen dieses. [46]

Vermittlung von Geschichtsbewusstsein

Der Kontakt mit Geschichte geschieht an unterschiedlichen Orten und durch unterschiedliche Gelegenheiten. Geschichte wird nicht nur in der Schule vermittelt. Medien thematisieren Geschichte und präsentieren sie subjektiv. Dies beeinflusst den Menschen und das Geschichtsbewusstsein des Einzelnen. Auch durch bei einem Besuch von Museen und im alltäglichen Leben stehen die Menschen in Kontakt mit Geschichte und das Geschichtsbewusstsein bildet und entwickelt sich. Mittlerweile wird das Museum durch gezielte Museumspädagogik zum Lernort und auch dort wird Geschichtsbewusstsein vermittelt. Ein weiterer Punkt sind Romane und Spielfilme in denen Geschichte dargestellt wird. Dies geschieht oftmals durch den zusätzlichen Einfluss von Spannung und Charakteren. Dadurch gestaltet sich diese Darstellung von Geschichte oftmals fern von tatsächlichen Gegebenheiten, wird aber dennoch mit großem Interessen und Erfolg von den Menschen verfolgt.[47]

Reichweiten von Geschichtsbewusstsein

Die Reichweite von Geschichtsbewusstsein kann unterschiedliche sein und auf unterschiedlichen Ebenen stattfinden. Ein Faktor dabei ist das Alter und die dadurch resultieren Lebenserfahrung. Auch das Umfeld prägt das historische Bewusstsein. Dazu gehören Familie, Vereine und Religionsgemeinschaften. Zusätzlich können die Herkunft oder Zugehörigkeit einen Einfluss haben z.B. Dorf, Stadtteil, Stadt, Region, Landschaft oder Bundesland. Ein besonderer räumlicher Faktor ist die Zugehörigkeit zu einer Nation oder einem Staat. Dadurch entstehende Gruppengefühle prägen das Geschichtsbewusstsein.[48] Zusammensetzung von Geschichtsbewusstsein Das Geschichtsbewusstsein setzt sich aus unterschiedlichen Bestandteilen zusammen: „Kenntnisse von Daten und Ereignissen, Raumvorstellungen, Bildern und Erzählungen, Vor- und Werturteilen.“[49] Ein wichtiger Faktor dabei sind Bilder, die die Menschen stark beeinflussen und die sie sich einprägen.

Inhalt des Geschichtsbewusstseins

Die Inhalte des Geschichtsbewusstseins variieren mit der Zeit und mit den Veränderungen der Vorgaben der Schulen. Auch die Veränderungen der Themen haben einen Einfluss auf die Gestaltung des Geschichtsbewusstseins des Einzelnen. Durch die Thematisierung gewisser Ereignisse werden auch Wertungen dazu vermittelt. Dadurch können negative Assoziationen zum Nationalsozialismus oder positive zu Freiheit, Gleichheit und Demokratie entstehen.[50]

Dimensionen des Geschichtsbewusstseins

Allgemein anerkannt wird das Geschichtsbewusstsein laut Pandel (1987) in sieben Dimensionen unterschieden:

  • Zeitbewusstsein (früher – heute)
  • Historizitätsbewusstsein (statisch-veränderlich)
  • Wirklichkeitsbewusstsein (real – imaginär)
  • Identitätsbewusstsein (wir – ihr/sie)
  • politisch-ökonomisches Bewusstsein (oben – unten)
  • soziales Bewusstsein (arm - reich)
  • moralisches Bewusstsein (richtig – falsch)

Gautschi fügt als achtes Merkmal das Raumbewusstsein hinzu. Thurn und Bergmann fordern eine neunte Dimension und zwar das Geschlechtsbewusstsein.[51] Rohlfes (2005) beschreibt, dass die Dimensionen des Geschichtsbewusstseins noch erweiterbar sind um ökologisches, globales und ästhetisches Bewusstsein. Geschichtsbewusstsein im Geschichtsunterricht Geschichtsbewusstsein hat als Thema im Geschichtsunterricht eher eine untergeordnete Rolle.

„Geschichtsbewusstsein sollte nur gelegentlich und ausnahmsweise explizierter Gegenstand des Schulunterrichts sein.“ [52] Geschichtsbewusstsein ist ein Habitus, eine Denk- und Verhaltensgepflogenheit, auf die man pädagogisch zwar hinwirken, deren erfolgreiche Einpflanzung aber kein Lehrer garantieren kann. Hingegen sollte das Geschichtsbewusstsein aus Sicht der Lehrkraft immer präsent sein und als entscheidender Faktor im Lehr- Lernverhalten gesehen werden. Bis vor kurzem verstand man unter Geschichtsbewusstsein, einen normativen Begriff der vorgibt, was die SuS zu Geschichte und geschichtlichen Ereignissen denken sollten. Geschichtsbewusstsein galt als kollektiv und nicht als individuelles, subjektives Empfinden. Die Veränderung zum analytischen Begriff geschah im 20. Jahrhundert. [53] Geschichtsbewusstsein ist ein Schlüsselbegriff für das Verständnis von Vergangenheit und Gegenwart. Die Gesichtsdidaktik ist nicht nur auf die Vermittlung von Lernzielen und –gegenständen beschränkt, sondern ist auch aufgefordert, das gesamte gesellschaftliche und politische, aber auch anthropologische und kulturelle Umfeld geschichtlichen Lernens einzubeziehen.[54] „Nach allgemeiner Auffassung erschöpft sich die Geschichtsdidaktik nicht in ihrer Ausrichtung auf den schulischen Geschichtsunterricht, sondern umfaßt das gesamte Feld der Vermittlung und Rezeption von Geschichte in der Gesellschaft, mit dem heutigen gängigen Begriff: die Geschichtskultur.“[55] Waltraud Schreiber entwarf das „kategoriale Strukturmodell des Geschichtsbewusstseins“. Dessen Kernidee ist das reflektierte und selbstreflexive Geschichtsbewusstsein. Sie wird auf die Fokussierung auf Vergangenheit, Geschichte sowie Gegenwart/Zukunft gegliedert.[56] Rüßen definiert Geschichtsbewusstsein als „narrative“ Kompetenz.[57]

Bedeutung des Geschichtsbewusstseins

Bodo von Borries hat das Geschichtsbewusstsein noch um zwei weitere Gesichtspunkte erweitert: die Codierung und die Weisen der Verarbeitung. Borries erinnert, dass das Geschichtsbewusstsein nicht nur im rationell-intellektuellen Verarbeiten aufgeht, sondern auch eine kognitive, emotionale, moralische und ästhetische Verarbeitung.[58] Das Geschichtsbewusstsein der SuS ist abhängig von Alter und Leistungsstand der SuS. Mit dem Geschichtsbewusstsein lässt sich nicht immer einfach im Geschichtsunterricht umgehen. Durch die anspruchsvollen und komplexen Dimensionen des Geschichtsbewusstseins ergeben sich Probleme. Geschichtsbewusstsein kann nicht direkt zum Unterrichtsthema gemacht werden. „Geschichtsbewusstsein ist sowohl Voraussetzung wie Ziel von Unterricht. Er nimmt Geschichtsbewusstsein als Ziel, muss aber auch das stets vorhandene Geschichtsbewusstsein der Schülerinnen und Schüler als Voraussetzung für die eigene Intentionalität ernst nehmen.“[59]

Verknüpfung von Geschichtsbewusstsein und Geschichtskultur

Es ist unumgänglich, eine Verbindung zwischen Geschichtsbewusstsein und Geschichtskultur zu ziehen, da sich diese sich in der praktisch wirksamen Artikulation von Geschichtsbewusstsein im gesellschaftlichen Leben äußert.

Historisches Lernen

Historisches Lernen ist eine Disziplin der Geschichtsdidaktik und beschäftigt sich mit jeglichem Lernen, das mit geschichtlichen Inhalten zu tun hat. Dabei findet historisches Lernen nicht nur in der Schule statt, sondern überall dort, wo dem Menschen Geschichte begegnet.

„Historisches Lernen geschieht immer dann und überall dort, wo Kinder, Jugendliche und Erwachsene in all den Zusammenhängen ihres Lebens der „Geschichtskultur“ begegnen– den aufbereiteten Zeugnissen der Vergangenheit und den Aussagen über vergangenes menschliches Handeln und Leiden, die in unterschiedlichen Erscheinungsformen präsentiert sind.“ [60] „Historisches Lernen ist nicht auf den Geschichtsunterricht beschränkt. Vielmehr findet historisches Lernen in der gesamten Lebensgeschichte eines jeden Individuums vor allem in außerschulischen Bereichen statt.“ [61] Gerade dieses außerschulische historische Lernen beeinflusst stark das historische Lernen in der Schule. Historisches Lernen wird durch das Überangebot der Medien an Geschichte beeinflusst und weniger wissenschaftlich fundiert. Daher soll sich Historisches Lernen im Schulunterricht auf Historisches Denken berufen. [62]

Dennoch sollten außerschulische geschichtliche Themen im Schulunterricht besprochen werden, da diese Einfluss auf das historische Denken haben. Das historisch kritische Denken der Schülerinnen und Schüler soll bewusst gemacht und gestärkt werden. Der Geschichtsunterricht unterliegt staatlichen Vorgaben und ist zudem an den Bildungsplan gebunden. Dies lenkt den Geschichtsunterricht und das Historische Lernen. Um das Historische Lernen im Geschichtsunterricht zu sichern findet dies in unterschiedliche Formen statt.

Einen wichtigen Beitrag dazu leistet die Eingliederung nach Rüsen, der das Historische Lernen um die narrative Kompetenz erweitert hat. Zunächst gelten das Analysieren, Urteilen und Werten als Teil des historischen Lernens. Lange [63] erklärt die Narration im Kontext des historischen Lernens folgendermaßen: „Historisches Erzählen drückt sich in der Tätigkeit aus, die Erfahrungen der Vergangenheit in der Gegenwart zu deuten, dass Zukunft als Handlungsperspektive erschlossen wird.“ Das heißt, die Narration gilt als umfassendes Mittel, Geschichte zu erfassen und Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft zu verbinden. Desweitern teilt Rüsen das historische Lernen in vier Kategorien. Er unterscheidet den traditionellen, exemplarischen, kritischen und genetischen Lerntypus.

Der traditionelle Lerntypus stellte eine Verbindung zwischen „Vergangenheitsdeutung“, „Gegenwartsverständnis“, und „Zukunftserwartung“ her. „Der exemplarische Typus erzählt Geschichten, die an einzelne Sachverhalte in der Vergangenheit erinnern.“ [64] Das kritische historische Lernen ist eine Mischung aus den traditionellem und exemplarischen Lerntypen. Es analysiert Vergangenes und versucht diese zu interpretieren. Als letzten historischen Lerntypus ist der genetische zu nennen. Dieser nimmt als einziger die Geschichte als Prozess von Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft wahr. [65]

Die Drei Dimensionen des historischen Lernens



Historisches Lernen kann erst dann als Tätigkeit des Geschichtsbewusstseins genannt werden, wenn es folgende Punkte erfüllt:

  • Es erfolgt ein Zuwachs an Erfahrungen der menschlichen Vergangenheit
  • Kompetenzen zur historischen Deutung dieser Erfahrung entstehen
  • die historische Deutung muss in den Orientierungsrahmen der eigenen Lebenspraxis eingefügt und wirksam gemacht werden

Diese Unterscheidung wurde von K.-E. Jeismann vorgeschlagen und entspricht der Gliederung der Operationen des Geschichtsbewusstseins. Die heute unter den Begrifflichkeiten, Erfahrung, Deutung und Orientierung bekannten Dimensionen wurden von ihm unter den Namen Analyse, Sachurteil und Wertung eingeführt. [66]

Aus der Unterscheidung der einzelnen Ebenen/Dimensionen werden die Tätigkeitsbereiche des Geschichtsbewusstseins visualisiert. Sie helfen dabei den Grundgedanken am Historischen Lernen zu verdeutlichen. Diese Erkenntnis, dass nicht nur eine einzige Fähigkeit nötig ist, sondern es auf "mehrere und auf ein harmonisches, ausgeglichenes Verhältnis zwischen ihnen ankommt", [67]verhindert strukturelle Defizite.

Die nächsten drei Komponenten, welche zugleich beschrieben werden, beantworten die Frage, was eigentlich ein historisches Wissen nützt, wenn es nur erlernt wurde, es jedoch keine Orientierungskraft hat. Zudem wird beschrieben, was die Fähigkeit zur historischen Reflexion und Kritik bezwecken will, wenn sie ohne Erfahrung vorhanden ist.[68]
Die oben genannten Komponenten, Erfahrung, Deutung und Orientierung sollen nun erarbeitet werden:

"Historisches Lernen ist der Zuwachs an Erfahrung und Erfahrungskompetenz aus der menschlichen Vergangenheit" [69]

In dieser Ebene wird die Operation des Geschichtsbewusstseins als Lernprozess erst dann angesprochen, wenn das Wissen über die Vergangenheit vermehrt wird. Dies geschieht wenn das Subjekt sich auf neue Erfahrungen einlässt. Daraus folgt, dass das Subjekt die Intention besitzen muss, sich einen Sachverhalt anzueignen, der einen historischen Charakter besitzt. Dieser historische Charakter muss deutlich hervorheben, dass es sich bei dem Gedachten um eine andere Zeitform als die Jetzige handelt. In der Umwelt vorkommende Kontraste stoßen gewisse Reize aus, die zu den wichtigsten Anstößen des historischen Lernens gehört." [70]

Jedoch benötigt das historische Lernen weitere Anstöße wie zum Beispiel, die Infragestellung der "traditionell eingeübten und wirksamen kulturellen Orientierungen"[71]. Anhand dieser sind es die Gegenwartserfahrungen, die den Blick auf die Vergangenheit verändern. Hier muss eine realistische Vorstellung entwickelt werden, wie die Widersprüche in der Zeit angesehen werden können. "Es wird somit deutlich, dass die Alterität der Vergangenheit, das Zukunftspotential der eigenen Gegenwart eröffnet"[72]. Dies kann nur ausgeübt werden, wenn die Gegenwart deutend gehandhabt wird. [73]


"Historisches Lernen ist Zuwachs an Deutung und Deutungskompetenz"[74]

Diese Dimension baut auf den Zuwachs an Erfahrung auf. Die in der vorherigen Dimension entstandene Steigerung von Wissen, schlägt sich nun in eine "produktive Veränderung der Deutungsmuster, in die sie hinein verarbeitet werden, nieder“[75].
Die Deutungsmuster vereinen verschiedene Wissensbestände und Erfahrungsinhalte in einen umgreifenden Zusammenhang. Diesen nennt man Geschichtsbild. Gleichzeitig geben sie Ihnen einen historischen Sinn, in dem sie Bedeutungen festlegen und dadurch eine Unterscheidung nach Punkten der Wichtigkeit festlegen. Die Deutungsmuster sind unbewusste Wahrnehmungsmuster, welche ein Ordnungsschemata beinhalten. Dieses ermöglicht aus den vorhanden Erfahrungen, das erste Wissen zu erstellen. Des Weiteren entscheiden sie, was aus den Erfahrungen und dem Gewussten „historisch“ ist; „worin sein eigentümlicher Zeitstatus besteht, mit dem es Inhalt von Geschichte wird“[76].[77]

Was bedeutet es nun einen Zuwachs an Deutungskompetenz im historischen Lernprozess zu haben? In der Erfahrungsverarbeitung und Wissensorganisation sind Deutungsmuster bedeutend. Diese Muster werden bei der Vermehrung an Deutungskompetenz in Bewegung gesetzt und dadurch flexibel. Sie erweitern und differenzieren sich. Das hat zur Folge, dass sie reflexiv bewusst und argumentativ verwendbar werden. Sie verändern sich qualitativ. Anders gesagt, wurden sie "exemplarischer, exemplarischer kritisch und kritisch genetisch“[78]. [79]

Der in dieser Dimension vorhandene Lernvorgang besteht darin, dass das Subjekt die Wahrnehmung darüber, dass seine Geschichte oder sogar die Geschichte seines Lehrers als einzig wahre und mögliche bestünde, nun perfektiviert wird. So, dass der Schülerinnen und Schüler schlussendlich nun selbst die Perspektive argumentativ verändern kann. [80]


"Historisches Lernen ist Zuwachs an Orientierung und Orientierungskompetenz" [81]

Diese Kompetenz wird als eine praktische Funktion ausgeübt. Sie ordnet die gedeutete historische Erfahrung und "den Gebrauch historischen Wissens, das in umgreifenden Deutungsmustern geordnet ist"[82].
Außerdem sollte jeder Mensch die Fähigkeit, Zeit objektiv zu beurteilen, erlangen. Unter der Inneren Zeitorientierung versteht man die Formung eines Instinkts.Dieser Instinkt bezieht sich auf die Vergangenheit und Gegenwart und verdeutlicht den aktuellen Stand des eigenen Seins in der Umwelt. Die äußere Zeitorientierung meint eine "Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft umgreifende Sinnbestimmung zeitlicher Veränderungen, in den Umständen, Bedingungen und Verhältnissen des menschlichen Lebens." [83] Die hier als nötig bezeichnete Fähigkeit, wurde schon bereits in der Deutungskompetenz begonnen. Denn in dieser Kompetenz enthalten die Deutungsmuster schon "kategoriale (sinn-) Bestimmungen von Zeitverläufen, die Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft umgreifen"[84].
Unter dem Begriff der historischen Orientierungskompetenz versteht man die Fähigkeit, "die mit Wissen und Erfahrung gefüllten Deutungsmuster auf die eigenen Lebenssituationen zu beziehen und anzuwenden, um den eigenen Standpunkt im Lebenszusammenhang der Gegenwart zu finden und bewusst zu reflektieren. Der objektiv vorhandene Standpunkt enthält dadurch eine subjektive, intentionale aufgeladene temporale Richtung“[85].[86]

Durch den Prozess des historischen Lernens verändert sich der Orientierungsrahmen der Lebenspraxis. Der Orientierungsrahmen wird historisiert und mit "Sinn für Wirklichkeit angereichert".[87] Das Subjekt bekommt somit die "Fähigkeit, die Historizität der eigenen Welt und des eigenen Selbst wahrzunehmen und Handlungs- und Bildungschancen zu erkennen"[88]. [89]
Zusammenfassend kann man sagen, dass die drei Operationen des Geschichtsbewusstseins und die drei Dimensionen des historischen Lernens zusammenhängend sind. Dieser zeigt eine Komplexität in der Begrifflichkeit des historischen Lernens. Außerdem wird deutlich, dass das historische Lernen eine „Doppelpoligkeit“[90] besitzt. Diese bewegt sich zwischen der Erfahrungsaneignung und der Selbstgewinnung „in den mentalen Bewegungen des Geschichtsbewusstseins“.[91] [92]
Als Folge wird das historische Lernen jedoch als ein Vorgang hervorgehen, in dem die Schülerinnen und Schüler die Fähigkeit erwerben, zwischen der Erfahrungs- und dem Subjektbezug eine Balance zu schaffen.
Durch die Fähigkeit zu Argumentieren, schaffen sie die Deutungsmuster und Orientierungsrahmen um erfahrungsoffen und flexibel zu handeln.[93]
"Die Operationen des Geschichtsbewusstseins sollten also primär unter dem Gesichtspunkt als historisches Lernen angesehen, organisiert und beeinflusst werden. Es geht um den Erwerb einer Argumentationskompetenz, in der alle drei Dimensionen berücksichtigt werden. Die beiden Bezugsgrößen, Geschichte als objektive Vorgabe in den Lebensverhältnissen der Gegenwart und Geschichte als subjektives Konstrukt interessengeleiteter praktischer Orientierung, sollen eine Balance und Haltbarkeit darstellen. "

Historisches Lernen im Geschichtsunterricht

Das Historische Lernen wird nun auf den Geschichtsunterricht bezogen. In diesem Teil wird der Autor Jochen Huhn erwähnt, welcher den Vorgang des historischen Lernens im Geschichtsunterricht deutlich aufzeigt. Er bezieht sich dabei auf die Primarstufe bis hin zur Sekundarstufe I und II.
Huhns These ist, dass erst durch das Erfahren der einzelnen Elemente, bezogen auf den Prozess der historischen Erkenntnisgewinnung, das Verständnis für Geschichte gefördert und ein Nutzen entstehen kann. Er begründet daraus die These, dass das historische Lernen in Analogie zur Arbeit des Historikers erfolgen soll. [94]

Anhand eines Beispiels soll gezeigt werden, wie die These begründet werden kann.
Das Beispiel, welches Huhn hier extra für die Veranschaulichung des historischen Lernens wählt, nennt er "Waschtag im Bracher Waschhaus". Es hat die Eigenschaft, Gegenstand in unterschiedlichen Altersstufen des historischen Lernens zu sein. Diese Thematik kann in der Primarstufe wie auch in der Sekundarstufe oder sogar mit gewissen Erweiterungen in der Sekundarstufe II unterrichtet werden. Da dieses Thema seinen Schwerpunkt in der Geschichte des alltäglichen Erlebens besitzt, ist es möglich dies für verschiedene Klassenstufen zu gestalten. [95] Aufgrund der folgenden Arbeitsschritte wird erkenntlich, dass dieses Thema für die Primarstufe in dieser Ausarbeitung nicht anwendbar ist. Durch die Eigenrecherche müssen die Schülerinnen und Schüler eigenes Engagement zeigen. Dies wäre erst ab der Sekundarstufe möglich.
"Unmittelbar neben der Stadt Lego steht an einem Flüsschen das Schloss Barke, das Graf Simon IV. zur Lippe am Ende des 16. Jahrhunderts erbauen ließ. Hundert Jahre später, 1703, wurde an dem Flüsschen ein Wachhaus gebaut, das noch heute zu sehen ist. Im Schloss Barke wurde 1989 das Weser Renaissance-Museum eingerichtet, zu dem auch das Wachhaus gehört. In dem Wachhaus sind zwei Stuben und der eigentliche große Waschraum mit einem großen Becken, durch das das Flusswasser geleitet werden kann, mit einem kleinen Steinbecken, einem Kamin sowie Holz- und Steinbänken.“ [96]

Nun stellt sich die Frage wie dieser Text „Anlass für historisches Lernern werden"[97]kann.

Aus diesem Beispiel gehen vier verschiedene Arbeitsschritte hervor, die von den Schülerinnen und Schülern durchgeführt werden sollen.
Zu Beginn werden sie mit einem Bild eines Hauses, das als Waschhaus gekennzeichnet ist, konfrontiert. Es sind jedoch nur bauliche Überreste aus der Vergangenheit zu sehen. Weitere Informationen werden den Schülerinnen und Schüler vorenthalten, damit diesedas Gebäude gründlich analysieren, um schlussendlich Vermutungen über die Zeit, als das Waschhaus noch verwendet wurde zu machen. Die Aufgabe des Lehrers ist nun diese Vermutungen festzuhalten und dabei vor allem auf widersprüchlichen Vermutungen und klärende Fragen zu achten.
Die Schülerinnen und Schüler sollen sich im nächsten Schritt, den im ersten Teil entstandenen Fragen und Vermutungen widmen und überlegen, wie diese zu beantworten sind. Es können auch Überlegungen praktisch nachgestellt werden. So könnte man beispielhaft versuchen einen altertümlichen Waschvorgang nachzuahmen.
Im nächsten Schritt werden die Schülerinnen und Schüler aktiv aufgefordert, eigenständig Informationen anhand vorhandener Bibliotheken zu beschaffen. In diesem Bereich ist es wichtig, dass die Schülerinnen und Schüler die Selbstständigkeit erlernen.
Jedoch können auch hier den Kindern die Informationen bereitgestellt werden.[98] Die Informationsbeschaffung wird zum einen an dem „bereits entwickelten Grad an Fähigkeit zur selbstständigen Arbeit“ und an der Frage, wie viel Zeit den Schülerinnen und Schülern zur Verfügung steht, festgelegt. Wie weit der historische Zusammenhang von ihnen erarbeitet und verstanden werden kann, ist davon abhängig, welches Interesse sie zeigen und in welcher Altersstufe sie sind.
Der vierte und auch letzte Schritt besteht darin, dass die Schülerinnen und Schüler ihre Ergebnisse mit den am Anfang gestellten Fragen verwerten.[99]
Huhn untergliedert sein Projekt in vier Aspekte:

  • „Analogie zwischen dem Unterrichtsverlauf und dem Verfahren bei wissenschaftlichem Erkenntnisgewinn
  • spezifisch historische Inhalte dieses Erkenntnisgewinnes
  • unterrichtsmethodische Maximen
  • didaktische Bearbeitung des historischen Stoffes, in der Fachterminologie: didaktische Reduktion der Elementarisierung „[100]


In dieser Untergliederung geht er in den ersten „beiden Aspekten von den Inhalten des historischen Lernens aus“[101]. Der dritte Aspekt wird dem Lernenden unterstellt. Der Letzte Punkt beschreibt die Umsetzung der Ergebnisse.[102]
Unter dem ersten Aspekt „Analogie zwischen dem Unterrichtsverlauf und dem Verfahren bei wissenschaftlichen Erkenntnisgewinn“ werden die folgenden Punkte erörtert:

  • Fragen und Bezugsrahmen
  • Methodenfindung und Arbeiten am Material
  • Genaue Beschreibung der Ergebnisse


In dem Punkt Fragen und Bezugsrahmen wird deutlich, dass jede Wissenschaft mit Fragen beginnt. Das Ziel dieses Verfahrens liegt darin, die gegenwärtige und vergangene Wirklichkeit zu erfassen und zu erklären. In dem oben genannten Beispiel wird das anhand des Bildes, mit welchem die Schülerinnen und Schüler konfrontiert werden, erarbeitet. Dadurch können Fremdartigkeiten für die Schülerinnen und Schüler auftreten. Diese können Fragen und Vermutungen provozieren.[103] Auch die Tatsache, dass Schülerinnen und Schüler von den eigenen Erfahrungen und Informationen ausgehen, führt zu Fragen und Vermutungen. [104]
Heutzutage entscheiden meist die Lehrer was im Unterricht behandelt werden soll, jedoch haben, bei größeren Projekten, auch die Schülerinnen und Schüler das Recht ihre Interessen einzubringen. Gleichzeitig existieren verschiedene Faktoren, die deren Interesse beeinflussen. Dazu zählen Fragen, die am Anfang eines Projekts gestellt werden oder das Interesse der Schülerinnen und Schüler etwas selber ausprobieren zu wollen. In dem oben genannten Beispiel wäre es zudem möglich den Lehrnenden zu zeigen, wie die Menschen in der Vergangenheit gewaschen haben. Diese gesamten Faktoren bilden den Bezugsrahmen, der die Fragen der Schülerinnen und Schüler beeinflussen kann. [105]

Zusammenfassend wird deutlich, dass dieser aus lebensweltlichen Erfahrungen, Vorabinformationen, individuellen Vorlieben oder gegenwärtigen Problemen entsteht und zu Fragen und Vermutungen der Schülerinnen und Schüler führen kann.[106]
Vergleicht man diesen Punkt von Huhn mit der ersten Dimension von Rüsen („Historisches lernen ist Zuwachs an Erfahrung und Erfahrungskompetenz der menschlichen Vergangenheit“) werden Gemeinsamkeiten deutlich.
Die Schülerinnen und Schüler müssen sich bevor sie zu den Fragen kommen, zuerst auf die Vergangenheit einlassen. Sie erkennen hier, dass es sich um etwas anderes als ihren aktuellen Lebensraum handelt. Ihr Interesse soll geweckt werden um den Fragen eigenständig nach zu gehen. Auch der Punkt in der Dimension, welcher nach weiteren Anstößen genannt wird, soll hier durch die Lehrer deutlich gemacht werden.

In dem Punkt Methodenfindung und Arbeit am Material ist es wichtig, dass Schülerinnen und Schüler sich überlegen wie die Fragen beantwortet und Vermutungen überprüfet werden können. Erst dann dürfen sie mit der Arbeit beginnen. Dabei müssen die grundlegenden Elemente der historischen Methoden kennengelernt werden. Zusätzlich soll die Einsicht gewonnen werden, dass es für jede Fragestellung wichtig ist, eine angemessene Methodezu finden, um diese zu beantworten. Die Schülerinnen und Schüler sollen verstehen, dass nur aus schriftlichen Quellen etwas aus der Vergangenheit hervorgeht. Dabei ist die Arbeit mit Quellen, also das Interpretieren und das Stellen sinnvoller Fragen, der Schwerpunkt der Einsichtsgewinnung.
Als nächster Schritt werden die zu Beginn beschriebenen Bezugsrahmen, die zu Fragen und Vermutungen geführt haben, weiter bearbeitet, um die richtige Methode zu finden. Das führt schlussendlich dazu, dass die Schülerinnen und Schüler korrekt mit dem Material arbeiten können. [107]
Im Punkt „Methodenfindung und Arbeiten am Material“ wird die Dimension „Zuwachs an Deutungskompetenz“ deutlich. Durch verschiedene Arbeiten an Material verarbeiten Schülerinnen und Schüler Erfahrungen, die sie im Leben gemacht oder neu erworben haben. Sie lernen die Fachliteratur in einem neuen Licht zu sehen. Wie bereits in der Dimension charakterisiert, sieht man hier, dass sie durch das neu erworbene Wissen reflexiv arbeiten und es argumentativ nutzen können. Sie sind in dieser Phase nicht mehr von dem Inhalt des Lehrers abhängig und können sich das Wissen selber aneignen.
Der letzte Punkt, ist die Ergebnisphase. Schülerinnen und Schüler sollen hier lernen, dass es wichtig ist sich dem „Kriterium der Richtigkeit“[108] zu stellen. Außerdem werden sie erfahren, dass die „historischen Erkundungen“ [109]Phantasien bei ihnen wecken können und diese oft als Hilfe zur Ergebnisfindung beitragen. Dabei muss jedoch darauf geachtet werden, dass diese Phantasien die Ergebnisse nicht bestimmen dürfen.
Eine andere Methode der Ergebnisgewinnung ist die Verwendung von originalen Quellen. Diese sind zumeist sehr schwer zu interpretieren und können somit selten direkt von Schülerinnen und Schülern ausgewertet werden. „Belegbare Aussagen und begründete aber nicht zu belegende Vermutungen sind zu unterscheiden.“[110] Sielernen, dass auch wenn sie zu einer Erkenntnis gekommen sind, diese nur vorläufig ist. Weitere Nachforschungen bringen sie zu neuen Erkenntnissen oder Fragen. Dabei ist es jedoch wichtig, dass Schülerinnen und Schüler die verschiedenen Unterschiede zwischen Interpretation und Beurteilung lernen. Im oben genannten Beispiel sollen sie erkennen, dass bezüglich Sauberkeit im 18. Jahrhundert ein anderer Maßstab herrschte als heute. [111]
Die dritte Dimension wird in dieser Ergebnisphase deutlich. In beiden Teilen, sind Schülerinnen und Schüler zu gewissen Ergebnissen gekommen, die sie in ihrem Wissen erst einmal durch Deutungsmuster ordnen mussten. Die Fähigkeit die neu erworbenen Erfahrungen auf das eigene Leben oder auf die aktuell gefragte Situation zu übertragen, müssen sie hier, wie auch in der oben genannten dritten Dimension, lernen.
Nachdem nun die einzelnen Schritte klar hervorgehoben worden sind, muss dazu gesagt werden, dass es weder erforderlich noch möglich ist, dass Schülerinnen und Schüler in jeder Unterrichtseinheit diese einzelnen Schritte von Frage bis zum Ergebnis selber vollziehen kann.
Dieses Verfahren ist nicht historisch spezifisch, sondern kann auch in anderen Geisteswissenschaften ausgeübt werden. [112]
Es muss eine Analogie zwischen den Geschichtswissenschaften und dem historischen Lernen in dem Verfahren und der Erkenntniswissenschaft gelten.

Der gesamte Vorgang wird erst dann spezifisch historisch, wenn auf verschiedene Faktoren geachtet wird. Diese lauten: Zeit, Perspektive, Erklären und Verstehen.

Bei dem Faktor Zeit ist es nötig, dass die Lernenden zwischen der physikalischen und der historischen Zeit unterscheiden. Es müssen die Lebensbedingungen und das Erleben beachtet werden.[113]
Das Erklären und Verstehen ist für Schülerinnen und Schüler wichtig zu unterscheiden. Sie sollten die Fähigkeit besitzen etwas zu erklären und zu verstehen. Wenn sie nach dem warum fragen, besitzen sie die Fähigkeit etwas zu erklären. Dabei gehen sie von ihrem Erfahrungshorizont aus und wollen den Zweck erkunden, rekonstruieren und nachvollziehen. Siehaben auf der anderen Seite eine Tatsache verstanden, wenn sie das erzählt Erlebte nachvollziehen können.[114]
Der dritte Faktor ist die Perspektive. Im historischen Lernen ist es von Bedeutung, die Perspektive zu beachten, da diese die Sicht auf die Vergangenheit beeinflusst. Es soll eine Denkbewegung stattfinden, die sich auf den Denkenden selber richtet, also reflexiv ist. [115]
Aus den vorherigen Argumenten, wird deutlich, dass das Historische Lernen nicht nur durch das Lernen von Jahreszahlen, Namen und Ereignissen entsteht. Es ist wichtig Lernende als eine Person mit einzubeziehen, damit der Geschichtsunterricht bestehen kann. [116]
Daher können einige bestimmte Maxime für den Unterricht definiert werden, wie das historische Lernen berücksichtig werden kann.
Es ist wie oben erwähnt wichtig, dass Schülerinnen und Schüler ihre eigene Perspektive und ihr eigenes Erleben in den Unterricht einbeziehen. Dies erreichen sie durch „Nachvollzug alter Arbeitsvorgänge, bis hin zur Einübung des reflexives Denken, das sich auf Gefühle, Vorstellungen und den Erfahrungshintergrund der Lernenden selber richtet. Weiterhin ist es eine gewisse Voraussetzung, um das reflexive Denken einzuüben, dass jeder Lehrnendedas Gefühl hat, akzeptiert zu werden und sich nicht bei Äußerungen bloßgestellt fühlt. Weitere Voraussetzungen, die das reflexive Denken fördern, sind keinen Zeitdruck und auch eine absolute Freiwilligkeit zu verspüren. Auch die Selbstständigkeit jedes Einzelnen muss gefördert werden. Dies beginnt mit den Formulierungen von Fragen, bis hin zur Durchführung kleinerer oder größerer Projekte. In gleicher Weise ist auch das Schülerinnen und Schülerinteresse von Wichtigkeit. Einzelne I Interessen können sich während dem Lernprozess verändern oder durch den Lernprozess verändert werden. Da sich im Lernprozess der „Erfahrungshorizont“ ändert, könnte es zur Folge haben, dass es zu einer „Weiterentwicklung des Interesses“ [117]kommen kann. Weiterhin sollte die Motivation jedes einzelnen Schülers gefördert werden. [118]Wichtig ist dabei das Alter der Schülerinnen und Schüler zu beachten. Dabei sollte sehr viel Wert darauf gelegt werden, wie man Geschichte den jüngeren Teilnehmern beibringt. Bei ihnen empfiehlt es sich „Wege zur Veranschaulichung“ zu nutzen. Denn erst das Analysieren fördert das historische Lernen. Es ist jedoch verständlich, dass nicht in jeder Unterrichtseinheit die oben genannten Punkte berücksichtigt werden können. In jeder Stunde sollte jedoch zumindest etwas davon vorhanden sein. [119]
Nachdem nun die drei Aspekte genannt und durchdacht sind, kommen wir kurz auf die „didaktische Reduktion oder Elementarisierung“[120].
Das gesamte historische Wissen wurde in einen historischen Zusammenhang gebracht. Dieser Zusammenhang ist sehr groß und kann sich wiederholen, daher sollte er angemessen reduziert werden. Diese Reduzierung setzt zwei Voraussetzungen voraus. Zum Einen, die „fachliche Kompetenz“, das heißt die Kenntnis über den Sachverhalt und zum Anderen die „didaktische Kompetenz“. Diese beschreibt sowohl die Kenntnis über die Kriterien einer didaktischen Reduktion, als auch den Besitz einer gewissen Erfahrung mit dem Thema.[121]
Würde die fachliche Kompetenz fehlen, bestünde die Gefahr „Geschichte zu verfälschen und historisches Lernen zu verfehlen“[122]. Würde andererseits die „didaktische Kompetenz“ fehlen, würden die Schülerinnen und Schüler überfordert und der Geschichtsunterricht würde unter den persönlichen Vorlieben unter gehen, was zur Folge hätte den Gesamtzusammenhang des historischen Lernens zu verfehlen. [123]

Der Zusammenhang zwischen Geschichtsbewusstsein und dem historischen Lernen

Geschichtsbewusstsein thematisiert die drei Dimensionen: Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft. Dabei wird die Vergangenheit "erinnernd so vergegenwärtigt"[124], das die aktuellen Lebensverhältnisse verstanden und die zukünftige Lebenspraxis entworfen werden kann. Geschichtsbewusstsein ist dadurch als Erinnerungsarbeit zu deuten. Es wird auf die Vergangenheit geblickt, um die Zukunft erwartend zu verändern. Dabei wird die Gegenwart als zeitlicher Vorgang gesehen. Als Resultat kann die Erinnerungsarbeit als Sinnbildung über die Zeiterfahrung gesehen werden. Diese Sinnbildung setzt sich aus der Erinnerung, dem Zusammenhang der drei Zeitdimensionen und der Orientierungsfunktion zusammen.[125]

In der Erinnerungsarbeit des Geschichtsbewusstseins ist der Selbstbehauptungs- und Selbstdurchsetzungswillen eines jeden Individuums wichtig. Er wird durch die Aneignung der Vergangeheit bestimmt, um dadurch seine Gegenwart und Zukunft zu meistern. Mit dem Blick auf die Gegenwart und die Erwartung der Zukunft fördern auch andere Tatsachen, wie der Interessenkonflikt jedes Einzelnen, die Deutung der Vergangenheit und Begründungspflicht. [126]

Das historische Lernen, als Aufbau und Umbau von historischen Wissensbeständen im Gedächtnis, steht in der deutschen Geschichtsdidaktik hinter der Klärung von Funktionen des Geschichtsbewusstseins. Sein Ziel ist es, zu einem reflektierenden Geschichtsbewusstsein zu gelangen. .[127]

Historisches Lernen stellt die Frage wie eigenständig gelernt wird, gelernt werden kann und gelernt werden soll. In dieser Hinsicht wird das Geschichtsbewusstsein als ein Lernprozess gesehen, indem „die Fähigkeit zur narrativen Sinnbildung über Zeiterfahrung selber erst gelernt werden soll“[128]. Dieses Bewusstsein erscheint „als Lernen des Lernens“[129], oder anders formuliert, als ein „selbstreflexiver Prozess“[130].

Der Begriff selbstreflexiv, beschreibt die „innere Dynamik des historischen Lernens“[131]. Darin wird der Lernprozess des Geschichtsbewusstseins als eine Entwickelung eines Subjekts gesehen, „in der es die Kompetenz zur narrativen Sinnbildung über die Zeiterfahrung erwirbt“[132]. Also das historische Lernen erlernt.
Bei den Begrifflichkeiten, historisches Lernen und Geschichtsbewusstsein, handelt es sich nicht um zwei voneinander abgetrennte Lernprozesse. Vielmehr liegt der Sinn darin, dass sich das Lernpotential des Geschichtsbewusstseins lernend entfalteten kann. In diesem Prozess erwirbt der Schülerinnen und Schüler die nötige Fähigkeit die „Sinnbildungsleistungen seines Geschichtsbewusstseins zu verwenden und historisch zu lernen“[133]. Durch dieses Lernen des Lernens findet eine „produktive Erfahrungsverarbeitung“ [134]statt. Diese fördert den Erwerb einer Kompetenz. Das hilft den Schülerinnen und Schülern die Erfahrungen mit sich selbst zu erfahren und dabei die Zuwächse an Lernfähigkeit zu verwenden. [135]
Zusammenfassend wird das historische Lernen als ein Prozess des Geschichtsbewusstseins gesehen, der dem Geschichtsbewusstsein dabei hilft, die Großzahl der Lernprozesse in einen geordneten Zusammenhang zu bringen und die Vorgänge transparent zu machen. [136]

Geschichtskultur

Definition und Entwicklung

Der Begriff der Geschichtskultur unterliegt seit seiner Erscheinung einem Wandel und wird von Wissenschaftlern sehr unterschiedlich definiert. Lange Zeit nahmen Historiker an, dass die Geschichtskultur das Geschichtsbewusstsein als didaktische Kategorie überflüssig machen würde. Seinen Ursprung hatte die Geschichtskultur in den fachtheoretischen Diskussionen der 80er Jahre. Damals bezeichnete die Geschichtskultur die Art und Weise wie öffentliche Medien mit historischen Sachverhalten umgingen. Dabei wurde die Geschichtskultur noch nicht mit dem schulischen Geschichtsunterricht in Beziehung gebracht. Geschichtskultur sollte deshalb vor allem auf die gegenwärtige Geschichtlichkeit einer Gesellschaft, unabhängig von schulischen und wissenschaftlichen Institutionen, verweisen [137]

Heutzutage werden Geschichtskultur und Geschichtsbewusstsein nicht getrennt oder in Konkurrenz miteinander, sondern als zwei Seiten eines gemeinsamen Sachverhalts betrachtet.[138] Der Historiker und Kulturwissenschaftler Jörn Rüsen hat sich intensiv mit der Geschichtskultur auseinandergesetzt und umschreibt diese als die „ praktisch wirksame Artikulation von Geschichtsbewusstsein im Leben einer Gesellschaft.“[139] Geschichtskultur zeigt sich demnach im Umgang einer Gesellschaft mit der Vergangenheit und Geschichte an sich. In der Geschichtskultur manifestiert sich das Geschichtsbewusstsein der einzelnen Teilhabenden einer Gesellschaft. Demnach werden „Universität, Museum, Schule Verwaltung, Massenmedien und andere kulturelle Einrichtungen zum Ensemble von Orten der kollektiven Erinnerung.“[140]

Die Bereicherung einer geschichtskulturellen Betrachtung liegt vor allem in der Bewusstmachung, dass alle individuelle und gesellschaftliche Realität von Geschichte geprägt ist. Durch die Kategorie der Geschichtskultur wird vor allem die Geschichtlichkeit gesellschaftlicher Vorgänge aufgezeigt. Geschichtskultur zeigt sich demnach sowohl im individuellen als auch im gesellschaftlichen Erleben.[141]

Dimensionen der Geschichtskultur (Rüsen)

In seinen Thesen zeigt Rüsen drei Dimensionen, die die Geschichtskultur strukturieren auf. Er nennt diese die ästhetische, die politische und die kognitive Dimensionen.[142]

Jede der Dimensionen steht dabei zunächst autonom für sich selbst. Dabei existieren die Dimensionen jedoch nicht unabhängig voneinander. Sie sind deshalb nicht voneinander zu trennen, zwischen allen besteht ein Zusammenhang. Historische Erinnerung kommt nur mit allen drei Regulativen zum Tragen. [143]

Ästhetische Dimension

Die ästhetische Dimension bedeutet das Künstlerische im Historischen aufzuzeigen. Jedoch kann dies laut Rüsen nur wahrgenommen werden, wenn es sich um die „ genuin historische Erinnerungen geht.“ [144] Die ästhetische Dimension der Geschichtskultur kann deshalb unter anderem in Museen, an Denkmälern und Kunst und Literaturwerken wahrgenommen und ausgelegt werden.[145]

Politische Dimension

In der politischen Dimension zeigt sich vor allem das Maxim, „ dass jede Form von Herrschaft einer Zustimmung durch die Betroffenen bedarf, in der ihre historische Erinnerung eine wichtige Rolle spielt.“[146] Deshalb weist politische Herrschaft auch immer geschichtlich bedeutsame Symbole wie nationale Feiertage und Gedenktage, politische Debatten und der der staatliche Geschichtsunterricht vor.[147] Umgekehrt kann in diesen Symbolen jedoch auch der Widerstand der Beherrschten dargestellt werden.

Kognitive Dimension

Die kognitive Dimension wird vor allem durch die historischen Wissenschaften aufgegriffen. Die Geschichtswissenschaften und auch öffentliche Diskussionen allgemein realisieren die kognitive Dimension durch eine analytische und methodische Reflexion und einer Deutung von Geschichte.[148]

Kritik an Rüsens Ansatz

Einzelne Bestimmungen von Rüsens Ansatz der Geschichtskultur werden besonders von einigen Geschichtsdidaktikern kritisiert. In ihren Augen sind die Bestimmungen zu abstrakt und damit zu „wenig konkret und operationalisierbar.“[149] Dementsprechend sehen sie Schwierigkeiten Rüsens Auslegungen aktiv in den Unterricht zu integrieren.


Manifestationen der Geschichtskultur (Pandel)

Hans-Jürgen Pandel beschreibt vier Mechanismen der Geschichtskultur, die diese im Besonderen auszeichnen. Auf diese wird im Folgenden näher eingegangen

Gattungswanderungen

Die Gattungswanderung dient als Basis der Geschichtskultur. Historische Sachverhalte werden immer wieder anders in verschiedene Gattungen dargestellt. Der Wechsel von einer Gattung in eine andere führt zu einem Bedeutungszuwachs des geschichtswissenschaftlich untersuchten Sachverhaltes. „Man kann deshalb sagen, Geschichtskultur beruht auf der medialen Refiguration des historischen Wissens.“[150] Besonders gut sichtbar wird das Phänomen an dem durch die Geschichtswissenschaft untersuchte Sachverhalts des Holocausts. Nachdem dieser intensiv erforscht wurde, wurde er von immer wieder unterschiedlichen Gattungen, wie dem Dokumentarfilm, dem Spielfilm oder dem Comic dargestellt.[151]

Die Gattungen, in denen sich Geschichtskultur zeigt sind dabei keineswegs neutral. Im Gegenteil, sie bringen ihre typischen Wesensmerkmale mit und verändern und interpretieren dabei den Sachverhalt. Deshalb werden Gattungsüberschreitungen oft als Tabubrüche angesehen.[152]

Event und „sozialer Anlass“

Geschichtskultur wird neben Gattungswanderungen auch von gelebten Alltagssituationen ausgemacht. „Ein geschichtskulturelles Event ist ein „sozialer Anlass“, der einen thematischen Bezug zu Geschichte hat.“[153] Dazu zählen Vernissagen, Urraufführungen oder Feiern. Der daran Teilnehmende erinnert sich im Nachhinein nicht nur an den Anlass, oder den Sachverhalt der Veranstaltung, sondern auch an das Ereignis selbst. Es gibt auch geschichtskulturelle Veranstaltungen, die sich explizit an Kinder und Jugendliche richten. Geschichtswettbewerbe oder Veranstaltungen zur Denkmalpflege mit Jugendlichen zum Beispiel versuchen diese anzuregen sich kulturell zu engagieren.[154]

Lebensstile

Zu einem kulturell geprägten Lebensstil zählen unter anderem die Mitgliedschaft in einem Verein, der sich mit geschichtlichen Sachverhalten auseinandersetzt, der Besuch sozialer Anlässe, wie Vernissagen oder Kinobesuche. Weiterhin zeigt er sich auch in der Wahl kultureller Güter wie Antiquitäten.[155]

Tatsachen – Evaluationen – Expressionen

Die Unterteilung der Tatsachen, Evaluationen und Expressionen erinnern stark an Rüsens ästhetische, politische und kognitive Dimensionen. Tatsachen werden auch hier als verifizierbare Sachverhalte, angesehen und durch die die Wissenschaft erforscht. Diese sind deshalb auch Gegenstand schulischen Unterrichts. Evaluationen hingegen debattieren kulturelle und gesellschaftliche Normen und Werte.[156] Häufig stehen unterschiedliche Wertevorstellungen dabei in Konflikt miteinander. So wurde zum Beispiel 1997 viel über die damals erschienene Komödie „ Das Leben ist schön“ unter Regie von Roberto Benigni diskutiert.

Dieser Film thematisiert den Holocaust und Kritiker empfanden es geschmacklos den Holocaust in einer Komödie darzustellen.[157] Neben Tatsachen und Evaluationen gründen kulturelle Veranstaltungen auch auf Expressionen. In kulturell Erschaffenes wie Romane, Filme, Theaterstücke oder Bilder fließt auch immer die Subjektivität des Künstlers ein. Die Kategorie der Expression fokussiert diese Subjektivität.[158]

Geschichtskultur und Geschichtsunterricht

Da die Geschichtskultur ein wichtiger Bestandteil der Lebenswelt ist, werden auch Heranwachsende in ihrem Alltag mit ihr konfrontiert. Deshalb interessiert sich Geschichtskultur , die auf den Geschichtsunterricht bezogen ist für die Frage, wie historische Sachverhalte in der heutigen Lebenswelt, die die Schülerinnen und Schüler umgibt dargestellt werden und wie diese sie wahrnehmen und bewerten können.

Geschichtskulturelle Kompetenz

Die geschichtskulturelle Kompetenz zeichnet sich darin aus, dass Schülerinnen und Schüler fähig sind, sich in der geschichtlich geprägten Gesellschaft zu bewegen. Die Heranwachsenden sollen Geschichtskultur wahrnehmen und bewerten können. Des Weiteren sollen sie sich an geschichtskulturellen Situationen, wie Vernissagen, Inszenierungen, Diskussionen und Kommerzialisierungen beteiligen können und öffentliche Stimmen dazu wahrnehmen, verstehen und bewerten.[159] Im Gesamten lernen sie so ihre eigene Lebenswelt besser zu verstehen.

Heranwachsende in der Sekundarstufe nehmen stark am kulturellen Leben einer Gesellschaft teil. Die Jugendlichen bewegen sich alltäglich in den Massenmedien und konsumieren das Internet und Fernsehen in großem Maße. Vor allem sind sie auch aufgrund ihres Alters und ihrer Entwicklung eher fähig öffentliche Debatten in Rezeptionen oder Talkshows zu verstehen und diese, wenn auch manchmal mit Hilfestellungen, kritisch zu reflektieren.

Geschichtskultur und Geschichtsdidaktik

Besonders wichtig bezogen auf den institutionellen Geschichtsunterricht ist die Verschiedenheit von Zeitvorstellungen von Erwachsenen und Kindern und Jugendlichen. Gegenwartsvorstellungen dieser differenzieren stark. Der Zeithorizont eines Kindes umfasst ungefähr zwei Jahre, der eines Erwachsenen etwa 15 Jahre. [160] Was für Erwachsene also noch brisant und aktuell erscheint, ist für Kinder und Jugendliche schon veraltet. Diese Unterschiedlichkeit hat einen großen Einfluss auf die Betrachtung der Geschichtskultur in der Schule. Lehrerpersonen müssen deshalb genau darauf achten, wirklich aktuelle Thematiken aufzugreifen um „am Puls der Zeit“ zu sein. Das bedeutet im Umkehrschluss auch, dass wenn die Öffentlichkeit über aufsehenerregende kulturelle Geschehnisse diskutiert, diese Debatten auch im Geschichtsunterricht aufgegriffen werden müssen.

Oft haben Lehrpersonen eine falsche und zu vereinfachte Vorstellung der aktiven Integration von Geschichtskultur in den Unterricht. Viele Pädagogen nehmen an, ein Museumsbesuch oder die Vorführung eines historischen Films bedeute schon sich mit Geschichtskultur aktiv auseinanderzusetzen. [161] Dies ist jedoch nicht richtig. Aufgrund eines Wahrnehmens historischer Sachverhalten mithilfe unterschiedlicher Gattungen in schulischem Kontext setzen sich Schüler noch lange nicht mit Geschichtskultur auseinander. Denn nicht die Ereigniszeit, sondern die „Darstellungszeit“ ist wichtig. [162]

Damit wirklich ein geschichtskulturell bewusster Unterricht stattfinden kann, müssen sich die Schülerinnen und Schüler nicht nur mit der kulturellen Aktivität, wie Beispielsweise einem Museumsbesuch oder einer Vorführung eines historischen Films auseinandersetzen, sondern vor allem auch mit der öffentlichen Debatte darüber. [163] In diesem Sinne beschäftigen sie sich in einem geschichtskulturell bewussten Unterricht mit den Stimmen aus der Gesellschaft und damit zum Beispiel mit Rezeptionen, öffentlichen Diskussionen, Talkshowrunden oder Leserbriefen über aufsehenerregende kulturelle Aktivitäten.

Wenn Schülerinnen und Schüler die Möglichkeit haben sich mit diesen auseinandersetzen und ihre eigene Werturteile zu fällen, nehmen sie kritisch reflektierend an einer geschichtsgeprägten Gesellschaft teil.


Literatur

Helmut Beilner: Geschichte in der Sekundarstufe I. Ziele, Inhalte, Methoden und Unterrichtsmodelle. 18Bde. Donauwörth 1976

Hilke Günther- Arndt: Geschichtes-Methodik. Handbuch für die Sekundarstufe I und II. Berlin 2012.

Jochen Huhn: Geschichtsdidaktik. Eine Einführung. Köln u.a. 1994.

Mayer, Ulrich (2006): Wörterbuch Geschichtsdidaktik. Schwalbach: Wochenschau-Verl.

Pandel, H-J.: Geschichtskultur. In: Barricelli, M.; Lücke, M. (Hrsg.): Handbuch Praxis des Geschichtsunterrichts, Schwalbach: Wochenschauverlag. 2012, S. 147-156.

Rohlfes, J.: Geschichte und ihre Didaktik, Göttingen:, 3. Überarbeitete Auflage, Vandenhoeck& Rubrecht GmbH. 2005.

Rüsen, J.: Geschichtskultur. In: Boockmann, H.; Rohlfes, J.; Schulze, W.: Geschichtsunterricht heute, Seelze Velber: Erhard Friedrich Verlag GmbH. 1999, S. 9-17.

Jörn Rüsen: Historisches Lernen. Grundlagen und Paradigmen. Schwalbach 2008.

Sauer, Michael (2005): Geschichte unterrichten. Eine Einführung in die Didaktik und Methodik. 4. Aufl. Seelze-Velber: Kallmeyer.

Waltraud Schreiber: Erste Begegnung mit Geschichte. Grundlagen Historischen Lernens. 2 Bde. aktualisierte Auflage, Neuried 2004.

Wunderer, H.: Geschichtsunterricht in der Sekundarstufe II, Schwalbach: Wochenschauverlag. 2000.

Weblinks

Bildungsplan 2004 Realschule (http://www.bildung-staerkt-menschen.de/service/downloads/Bildungsplaene/Realschule/Realschule_Bildungsplan_Gesamt.pdf)

Einzelnachweise

  1. Rohlfes 2005: 97
  2. ebd.
  3. ebd.
  4. ebd
  5. Rohlfes 2005: 98
  6. Sauer 2004: 54-55
  7. Sauer 2004: 55
  8. Bildungsplan
  9. Bildungsplan 2004, S. 104
  10. Sauer 2004:
  11. Sauer 2004:
  12. Sauer 2004:
  13. Sauer 2004:
  14. Sauer 2004: 69
  15. Bergmann 2000: 164
  16. Sauer 2004: 72)
  17. Bergmann 2000: 175
  18. Sauer 2004: 47
  19. vgl. ebd.
  20. Sauer 2004: 48
  21. Sauer 2004: 48
  22. Sauer 2004: 50
  23. Sauer 2004: 85
  24. Sauer 2004: 86
  25. Sauer 2004: 86
  26. Sauer 2004: 115
  27. 2004: 117-118)
  28. Barricelli/Gautschi: 207
  29. vgl. ebd.
  30. (ebd.)
  31. Barricelli/Gautschi: 211
  32. Barricelli/Gautschi: 213
  33. vgl. Barricelli/Gautschi: 215
  34. ebd.
  35. Barricelli/Gautschi: 217
  36. Barricelli/Gautschi: 218
  37. Barricelli/Gautschi: 222
  38. Barricelli/Gautschi: 230
  39. Mayer, Ulrich(2006):Wörterbuch der Geschichtsdidaktik
  40. Sauer; 2001, 9
  41. Sauer; 2001, 9
  42. Rohlfes; 2005, 385
  43. Rohlfes; 2005, 19
  44. Rohlfes; 2005, 9
  45. Rohlfes; 2005, 9
  46. Sauer; 2004, 12)
  47. Mayer; 2005, 13
  48. Mayer; 2005, 14
  49. Mayer; 2005, 14
  50. Mayer; 2005, 15
  51. Rohlfes; 2005, 389
  52. Rohlfes; 2005, 391
  53. Mayer; 2006, 70
  54. Rohlfes; 2005, 19
  55. Rohlfes; 2005, 385/386
  56. Rohlfes; 2005, 389
  57. Rohlfes; 2005, 390
  58. Rohlfes; 2005, 390
  59. Mayer; 2006, 70
  60. Bergmann; 2000, 5
  61. Bergmann; 2000, 109
  62. Bergmann; 2000, 26-28
  63. Lange; 2007, 105)
  64. Lange; 2007, 106
  65. Lange; 2007, 106
  66. Vgl. Rüsen; 2008, S.64
  67. Rüsen; 2008, S.65
  68. vgl. Rüsen; 2008, S.65
  69. Rüsen; 2008, S.65
  70. vgl. Rüsen; 2008, S65
  71. Rüsen; 2008, S.66
  72. ebd.
  73. vgl. Rüsen; 2008, S. 66
  74. Rüsen; 2008, S.66
  75. ebd.
  76. Rüsen; 2008, S.66
  77. vgl. Rüsen; 2008, S.66
  78. Rüsen; 2008, S.66
  79. vgl.Rüsen; 2008, S.66
  80. vgl. Rüsen; 2008, S.66
  81. Rüsen; 2008, S.67
  82. ebd.
  83. ebd.
  84. ebd.
  85. ebd.
  86. vgl. Rüsen; 2008, S.67
  87. Rüsen; 2008; S.68
  88. ebd.
  89. vgl. Rüsen; 2008; S.68
  90. Rüsen; 2008, S.68
  91. Rüsen; 2008, S.68
  92. vgl. Rüsen; 2008, S.68
  93. vgl. Rüsen; 2008, S.69
  94. vgl. Huhn; 1994, S.28
  95. vgl. Huhn; 1994, S.29
  96. Huhn; 1994, S.29
  97. ebd.
  98. vgl. Huhn; 1994, S.30
  99. vgl. Huhn; 1994, S.32
  100. vgl. Huhn; 1994, S.33
  101. Huhn; 1994, S.33
  102. vgl. Huhn; 1994, S.33
  103. ebd.
  104. vgl. Huhn; 1994, S.34
  105. vgl. Huhn; 1994, S.35
  106. vgl. Huhn; 1994, S.36
  107. vgl. Huhn; 1994, S.37
  108. Huhn; 1994, S. 40
  109. ebd.
  110. ebd.
  111. vgl. Huhn; 1994, S. 40
  112. vgl. Huhn; 1994, S. 41
  113. vgl. Huhn; 1994, S. 41
  114. vgl. Huhn; 1994, S. 44
  115. vgl. Huhn; 1994, S. 49
  116. vgl. Huhn; 1994, S.68
  117. Huhn; 1994, S.69
  118. Vgl. Huhn; 1994, S.69
  119. vgl. Huhn; 1994, S.70
  120. Huhn; 1194, S.70
  121. vgl. Huhn, 1994, S.71
  122. Huhn, 1994, S.71
  123. vgl. Huhn, 1994, S.71
  124. Rüsen; 2008, S.61
  125. vgl. Rüsen; 2008, S.61
  126. vgl. Rüsen; 2008, S.62
  127. vgl. Günther- Arndt; 2003, S.25
  128. Rüsen; 2008, S.79
  129. ebd.
  130. ebd.
  131. ebd.
  132. ebd.
  133. ebd.
  134. ebd.
  135. Vgl. Rüsen; 2008, S.79
  136. Vgl. Rüsen; 2008, S.80
  137. vgl. Pandel, 2012, S. 147f.
  138. vgl. Rohlfes, 2005, S. 391
  139. Rüsen, 1999, S. 9
  140. Rüsen, 1999, S. 9
  141. vgl. Rohlfes, 2005, S. 391f
  142. vgl. Rüsen, 1999, S. 10
  143. vgl. Rüsen, 1999, S. 13
  144. Rüsen,1999, S. 10
  145. vgl. Rohlfes, 2005, S. 391
  146. Rüsen, 1999, S. 11
  147. vgl. Rohlfes, 2005 S. 391
  148. vgl. Rohlfes, 2005 S. 391
  149. Wunderer, 2000, S.154
  150. Pandel, 2012, S. 151
  151. vgl. Pandel, 2012, S. 151f.
  152. vgl. Pandel, 2012, S. 151f.
  153. Pandel, 2012, S.153
  154. vgl. Pandel, 2012, S. 153f.
  155. vgl. Pandel, 2012, S.154
  156. vgl. Pandel, 2012, S. 155
  157. vgl. Pandel, 2012, S. 154f.
  158. vgl. Pandel, 2012, S. 155f
  159. vgl. Pandel,2012, S. 156f
  160. vgl. Pandel, 2012, S. 156
  161. vgl. Pande, 2012, S. 157
  162. Pandel, 2012, S. 150
  163. vgl. Pandel, 2012, S. 159