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Oral History gehört, wie [[Tondokumente| Tondokumente]], [[Das Lied| Lieder]] und Hörspiele, zu dem Bereich der auditiven [[Grundlagen Medien im Geschichtsunterricht| Medien]] und ist eine geschichtswissenschaftliche Methode, mit der - durch die Befragung und dem freien Sprechen von Zeitzeugen - etwas über die Geschichte berichtet wird.<ref> vgl. Sauer 2004, 196 f. </ref> Dies wird in der Regel auf einem Tonträger festgehalten, um später Ereignisse, Meinungen, Erfahrungen, Wertehaltungen und Einstellungen als [[Quelleninterpretation#Was ist eine Quelle?|Quellenmaterial]] auszuwerten.
Oral History gehört, wie [[Tondokumente| Tondokumente]], [[Das Lied| Lieder]] und Hörspiele, zu dem Bereich der auditiven [[Grundlagen Medien im Geschichtsunterricht| Medien]] und ist eine geschichtswissenschaftliche Methode, mit der - durch die Befragung und dem freien Sprechen von Zeitzeugen - etwas über die Geschichte berichtet wird.<ref> vgl. Sauer 2004, 196 f. </ref> Dies wird in der Regel auf einem Tonträger festgehalten, um später Ereignisse, Meinungen, Erfahrungen, Wertehaltungen und Einstellungen als [[Quelleninterpretation| Quellenmaterial]] auszuwerten.
Der Begriff "Oral History" ist in der deutschen Sprache eher ein Verlegenheitsbegriff, der sich allerdings überwiegend durchgesetzt hat. Sinngemäß kann dieser mit "erinnerter Geschichte" oder "mündlich erfragte Geschichte" übersetzt werden.
Der Begriff "Oral History" ist in der deutschen Sprache eher ein Verlegenheitsbegriff, der sich allerdings überwiegend durchgesetzt hat. Sinngemäß kann dieser mit "erinnerter Geschichte" oder "mündlich erfragte Geschichte" übersetzt werden.


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Relativ jung ist allerdings die Praxis der systematischen Befragung von älteren Menschen im Rahmen einer historischen Forschung. Erst im 20. Jahrhundert wandte Professor Allan Nevins von der Columbia Universität diese Methode an. Ihn frustrierte die Vorstellung, dass Verstorbene ihren ganzen Schatz an Erinnerungen und Erfahrungen mit ins Grab nahmen und ihn der Nachwelt entzogen. Aus diesem Grund gründete er im Jahre 1948 das "Oral-History-Institut" und zeichnete seitdem regelmäßig Interviews von älteren Menschen auf. Einen enormen Schub erhielt sie jedoch erst um 1970. Einerseits durch die Erfindung des tragbaren Kassettenrekorders, dadurch wurden Audioaufnahmen wesentlich erleichtert, und andererseits durch die damalige Studentenbewegung. Infolgedessen breitete sich wachsendes Interesse an einer politisch engagierten Geschichtsschreibung aus, die auch diskriminierte Minderheiten zu Wort kommen lassen wollte. Mithilfe des Tonbandgerätes gelang Nevins der Durchbruch. Seit den 1960ern ist die Methode der "Oral History" auch im deutschen Sprachraum verbreitet.  
Relativ jung ist allerdings die Praxis der systematischen Befragung von älteren Menschen im Rahmen einer historischen Forschung. Erst im 20. Jahrhundert wandte Professor Allan Nevins von der Columbia Universität diese Methode an. Ihn frustrierte die Vorstellung, dass Verstorbene ihren ganzen Schatz an Erinnerungen und Erfahrungen mit ins Grab nahmen und ihn der Nachwelt entzogen. Aus diesem Grund gründete er im Jahre 1948 das "Oral-History-Institut" und zeichnete seitdem regelmäßig Interviews von älteren Menschen auf. Einen enormen Schub erhielt sie jedoch erst um 1970. Einerseits durch die Erfindung des tragbaren Kassettenrekorders, dadurch wurden Audioaufnahmen wesentlich erleichtert, und andererseits durch die damalige Studentenbewegung. Infolgedessen breitete sich wachsendes Interesse an einer politisch engagierten Geschichtsschreibung aus, die auch diskriminierte Minderheiten zu Wort kommen lassen wollte. Mithilfe des Tonbandgerätes gelang Nevins der Durchbruch. Seit den 1960ern ist die Methode der "Oral History" auch im deutschen Sprachraum verbreitet.  


Der Anstoß hierfür war vor allem das Bedürfnis, die Zeit des Nationalsozialismus und dessen Folgen auf die Zeit nach dem Krieg und die junge Bundesrepublik zu ergründen. Ein erstes bedeutendes [[Projektarbeit|Projekt]] wurde hier von Lutz Niethammer und Detlev Peukert geleitet. Unter dem Namen LUSIR (Lebensgeschichte und Sozialkultur im Ruhrgebiet 1930 bis 1960) interviewten sie circa 200 ArbeiterInnen der Montageindustrie. Innerhalb dieses Projektes wollten beide feststellen, wie die politische Orientierung der Bevölkerung in den 1950 Jahren an den Sozialdemokraten zustande kam, da diese vorher stark an der kommunistischen Partei oder dem Zentrum orientiert war. LUSIR stellt somit den Grundstein der Oral History in der BRD dar. Und auch Lutz Niethammer hat innerhalb dieses Projektes methodische Erfahrungen und Überlegungen gesammelt, die noch heute grundlegend sind. Innerhalb der Deutschen Demokratischen Republik wurde die Oral History seitens der politischen Führung  jedoch misstrauisch betrachtet. Das Misstrauen gegenüber den Stimmen des eigenen Volkes war groß genug um systematische und auswertbare Interviews mit der eigenen Bevölkerung nur im Untergrund, also illegal durchzuführen. Nach dem Zusammenbruch der DDR 1998 kam es dementsprechend zu einem regelrechten Boom der Oral History. <ref> vgl. Obertreis, 2012, S.9f.</ref>
Der Anstoß hierfür war vor allem das Bedürfnis, die Zeit des Nationalsozialismus und dessen Folgen auf die Zeit nach dem Krieg und die junge Bundesrepublik zu ergründen. Ein erstes bedeutendes Projekt wurde hier von Lutz Niethammer und Detlev Peukert geleitet. Unter dem Namen LUSIR (Lebensgeschichte und Sozialkultur im Ruhrgebiet 1930 bis 1960) interviewten sie circa 200 ArbeiterInnen der Montageindustrie. Innerhalb dieses Projektes wollten beide feststellen, wie die politische Orientierung der Bevölkerung in den 1950 Jahren an den Sozialdemokraten zustande kam, da diese vorher stark an der kommunistischen Partei oder dem Zentrum orientiert war. LUSIR stellt somit den Grundstein der Oral History in der BRD dar. Und auch Lutz Niethammer hat innerhalb dieses Projektes methodische Erfahrungen und Überlegungen gesammelt, die noch heute grundlegend sind. Innerhalb der Deutschen Demokratischen Republik wurde die Oral History seitens der politischen Führung  jedoch misstrauisch betrachtet. Das Misstrauen gegenüber den Stimmen des eigenen Volkes war groß genug um systematische und auswertbare Interviews mit der eigenen Bevölkerung nur im Untergrund, also illegal durchzuführen. Nach dem Zusammenbruch der DDR 1998 kam es dementsprechend zu einem regelrechten Boom der Oral History. <ref> vgl. Obertreis, 2012, S.9f.</ref>


Oral History entwickelte sich später zu einer historischen Erfahrungswissenschaft, die subjektive Erfahrungen und Rekonstruktionen alltäglicher Lebensverhältnisse in den Mittelpunkt stellt.<ref> vgl. Mayer/Pandel/Schneider 2004, 355 </ref>
Oral History entwickelte sich später zu einer historischen Erfahrungswissenschaft, die subjektive Erfahrungen und Rekonstruktionen alltäglicher Lebensverhältnisse in den Mittelpunkt stellt.<ref> vgl. Mayer/Pandel/Schneider 2004, 355 </ref>
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Das Ziel dieser geschichtswissenschaftlichen Methode ist die [[Grundlagen der historischen Kompetenzorientierung#Die Re-Konstruktionskompetenz| Rekonstruktion]] und Deutung alltäglicher Lebensverhältnisse.  
Das Ziel dieser geschichtswissenschaftlichen Methode ist die [[Grundlagen der historischen Kompetenzorientierung#Die Re-Konstruktionskompetenz| Rekonstruktion]] und Deutung alltäglicher Lebensverhältnisse.  
Interviewt werden Betroffene und Beteiligte historischer Ereignisse oder Prozesse. Dabei wird meist ein alltagsgeschichtlicher Ansatz verwendet, der an die Geschichte "von unten" anknüpft. Die Oral History wird besonders für die "Alltags- und Lokalgeschichte" verwendet und zeichnet verschiedene persönliche Lebensgeschichten auf. <ref> vgl. Pandel 2005, 452 f. </ref>
Interviewt werden Betroffene und Beteiligte historischer Ereignisse oder Prozesse. Dabei wird meist ein alltagsgeschichtlicher Ansatz verwendet, der an die Geschichte "von unten" anknüpft. Die Oral History wird besonders für die "Alltags- und Lokalgeschichte" verwendet und zeichnet verschiedene persönliche Lebensgeschichten auf. <ref> vgl. Pandel 2005, 452 f. </ref>
Die Oral History ermöglicht es, ein breites Spektrum von Meinungen, Standpunkten und Perspektiven zu betrachten, wie es keine andere Quelle ermöglicht. Sie bietet eine gerechtere und realistische Rekonstruktion der Vergangenheit und führt so zu einschneidenden Auswirkungen auf die soziale Botschaft von Geschichte. Da die Oral History sich mit den unterschiedlichen sozialen Schichten und Menschen  aus unterschiedlichen Lebensverhältnissen und mit unterschiedlichen Blickwinkeln befasst, wird Geschichte breiter gefächert, bereichert und demokratisch <ref> vgl. Thompson 1978, S. 5 - 7 </ref>
Die Oral History ermöglicht es, ein breites Spektrum von Meinungen, Standpunkten und Perspektiven zu betrachten, wie es keine andere Quelle ermöglicht. Sie bietet eine gerechtere und realistische Rekonstruktion der Vergangenheit und führt so zu einschneidenden Auswirkungen auf die soziale Botschaft von Geschichte. Da die Oral History sich mit den unterschiedlichen sozialen Schichten und Menschen  aus unterschiedlichen Lebensverhältnissen und mit unterschiedlichen Blickwinkeln befasst, wird Geschichte breiter gefächert, bereichert und demokratisch <ref> vgl. Thompson 1978, S. 5 - 7 </ref>


== Ebenen der Oral History ==
== Ebenen der Oral History ==
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Die Darstellung des Interviewten wird erst im Nachhinein durch vertiefende Frage oder Fragen allgemein zum Verständnis erweitert. Diese passive Haltung des Interviewers verweist jedoch nicht auf ein unstrukturiertes Vorgehen. Es lassen sich grundsätzlich zwei Phasen eines Interviews unterscheiden. In der ersten Phase wird dem Interviewten die Möglichkeit gegeben seine Erinnerungen und Erzählung selbst zu strukturieren, in der zweiten Phase kann der Interviewer ihn interessierende Passagen der Erzählung durch Nachfragen vertiefen oder nach noch nicht erwähnten Ereignissen fragen.<ref> vgl. Breckner, 1994 S. 135ff.</ref>
Die Darstellung des Interviewten wird erst im Nachhinein durch vertiefende Frage oder Fragen allgemein zum Verständnis erweitert. Diese passive Haltung des Interviewers verweist jedoch nicht auf ein unstrukturiertes Vorgehen. Es lassen sich grundsätzlich zwei Phasen eines Interviews unterscheiden. In der ersten Phase wird dem Interviewten die Möglichkeit gegeben seine Erinnerungen und Erzählung selbst zu strukturieren, in der zweiten Phase kann der Interviewer ihn interessierende Passagen der Erzählung durch Nachfragen vertiefen oder nach noch nicht erwähnten Ereignissen fragen.<ref> vgl. Breckner, 1994 S. 135ff.</ref>


 
==== Die erste Phase ====
*'''Die erste Phase'''


Vor dem Beginn des Interviews ist es wichtig, dem Interviewten noch einmal den inhaltlichen Rahmen des Forschungsprojektes darzulegen. Dies soll den Interviewten dazu bringen seine Erfahrungen selbstständig auf wichtige Ereignisse in Bezug zu dem zu erforschenden Thema zu filtern und diese während der ersten Phase selbstständig in den Vordergrund seiner Erzählung zu stellen. Das Interview wird mit einer Eingangsfrage eröffnet. Diese gibt einen zeitlichen und inhaltlichen Rahmen vor und hat gleichzeitig die Funktion, den Interviewten zum Erzählen aufzufordern. Eine prinzipielle Aufforderung die eigene Lebensgeschichte zu erzählen lässt dem Interviewten die meisten Freiheiten, da er selber entscheiden kann, welche Aspekte seines Lebens für das Projekt an dem er teilnimmt relevant sind und inwieweit er dafür ins Detail gehen will.
Vor dem Beginn des Interviews ist es wichtig, dem Interviewten noch einmal den inhaltlichen Rahmen des Forschungsprojektes darzulegen. Dies soll den Interviewten dazu bringen seine Erfahrungen selbstständig auf wichtige Ereignisse in Bezug zu dem zu erforschenden Thema zu filtern und diese während der ersten Phase selbstständig in den Vordergrund seiner Erzählung zu stellen. Das Interview wird mit einer Eingangsfrage eröffnet. Diese gibt einen zeitlichen und inhaltlichen Rahmen vor und hat gleichzeitig die Funktion, den Interviewten zum Erzählen aufzufordern. Eine prinzipielle Aufforderung die eigene Lebensgeschichte zu erzählen lässt dem Interviewten die meisten Freiheiten, da er selber entscheiden kann, welche Aspekte seines Lebens für das Projekt an dem er teilnimmt relevant sind und inwieweit er dafür ins Detail gehen will.
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Während dieser ersten Phase werden lediglich kurze Notizen zu den Eckdaten der Erzählung gemacht. Hierbei ist besonders auf die für den Interviewten wichtigen Ereignisse zu achten, sowie auf eventuelle Unklarheiten in der Erzählung.
Während dieser ersten Phase werden lediglich kurze Notizen zu den Eckdaten der Erzählung gemacht. Hierbei ist besonders auf die für den Interviewten wichtigen Ereignisse zu achten, sowie auf eventuelle Unklarheiten in der Erzählung.


*'''Die zweite Phase'''
====Die zweite Phase ====


Die zweite Phase des Interviews baut auf diesen Notizen auf. Das sogenannte [[Narration Grundlagen| narrative]] Nachfragen hat eine Vertiefung und ein besseres Verständnis des bereits erzählten zum Ziel. Dabei ist auf die von dem Interviewten in der ersten Phase vorgegebene Chronologie der Ereignisse zu achten, auch wenn diese historisch fehlerhaft ist. Auf diese Weise wird die Wahrnehmung der beschriebenen Ereignisse und ihrer Zusammenhänge deutlicher. Auch hier ist es zu vermeiden, den Interviewten unter Rechtfertigungsdruck zu setzen oder ihn nach bloßen Fakten zu fragen. Sowohl die Wiedersprüche als auch die Fakten lassen sich meist durch eine Vertiefung in das Erzählte lösen, ohne dass der Interviewte sich unangenehm berührt fühlt.
Die zweite Phase des Interviews baut auf diesen Notizen auf. Das sogenannte [[Narration Grundlagen| narrative]] Nachfragen hat eine Vertiefung und ein besseres Verständnis des bereits erzählten zum Ziel. Dabei ist auf die von dem Interviewten in der ersten Phase vorgegebene Chronologie der Ereignisse zu achten, auch wenn diese historisch fehlerhaft ist. Auf diese Weise wird die Wahrnehmung der beschriebenen Ereignisse und ihrer Zusammenhänge deutlicher. Auch hier ist es zu vermeiden, den Interviewten unter Rechtfertigungsdruck zu setzen oder ihn nach bloßen Fakten zu fragen. Sowohl die Wiedersprüche als auch die Fakten lassen sich meist durch eine Vertiefung in das Erzählte lösen, ohne dass der Interviewte sich unangenehm berührt fühlt.


*'''Die dritte Phase'''
==== Die dritte Phase ====
Die dritte Phase beschäftigt sich nun mit den sogenannten Wissensfragen, also den Fragen nach Details, der zeitlichen und örtlichen Einordnung von Ereignissen und eventueller Wiedersprüche. Auch Themen, die der Interviewte nicht von selber angesprochen hat, die aber für den Interviewer von Bedeutung sind, kann hier eingegangen werden. In diese Phase gilt es ganz besonders, den Interviewten nicht zu brüskieren und das entstandene Vertrauensverhältnis nicht zu gefährden. Der Interviewte darf sich nicht bloßgestellt oder ausgefragt fühlen.
Die dritte Phase beschäftigt sich nun mit den sogenannten Wissensfragen, also den Fragen nach Details, der zeitlichen und örtlichen Einordnung von Ereignissen und eventueller Wiedersprüche. Auch Themen, die der Interviewte nicht von selber angesprochen hat, die aber für den Interviewer von Bedeutung sind, kann hier eingegangen werden. In diese Phase gilt es ganz besonders, den Interviewten nicht zu brüskieren und das entstandene Vertrauensverhältnis nicht zu gefährden. Der Interviewte darf sich nicht bloßgestellt oder ausgefragt fühlen.


Das Ende eines solchen Interviews bilden Fragen nach dem Befinden des Interviewten nach und während dem Erzählen. Aufkommende Gefühle während des Interviews können so gemeinsam thematisiert werden. Das Anbieten, dass beide Interviewpartner nun die Rollen tauschen können, soll als Abschluss das Vertrauen des Interviewten nochmals bestärken.
Das Ende eines solchen Interviews bilden Fragen nach dem Befinden des Interviewten nach und während dem Erzählen. Aufkommende Gefühle während des Interviews können so gemeinsam thematisiert werden. Das Anbieten, dass beide Interviewpartner nun die Rollen tauschen können, soll als Abschluss das Vertrauen des Interviewten nochmals bestärken.


*'''Die Auswertung'''
==== Die Auswertung====


Die Auswertung eines solche Interviews erfolgt auf der Grundlage eines Transkripts, d.h. das aufgenommene Interview wird lautlich so exakt wie möglich niedergeschrieben, wobei Verschleifungen genauso berücksichtigt werden wie die Intonation des Gesagten, Unterbrechungen sowie die nonverbalen Ereignisse des Interviews.  
Die Auswertung eines solche Interviews erfolgt auf der Grundlage eines Transkripts, d.h. das aufgenommene Interview wird lautlich so exakt wie möglich niedergeschrieben, wobei Verschleifungen genauso berücksichtigt werden wie die Intonation des Gesagten, Unterbrechungen sowie die nonverbalen Ereignisse des Interviews.  
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In dieser letzten Phase werden Punkte angesprochen, die noch nicht behandelt wurden und noch offene Fragen können geklärt werden. Danach bedanken sich die Schülerinnen und Schüler und verabschieden sich. Dabei ist es wichtig, dass das Interview nicht abrupt endet, sondern sozusagen ausklingt, wie zum Beispiel durch einen Rückblick auf das Gespräch oder durch eine Plauderei über Aktuelles. <ref> vgl. Henke-Bockschatz: Frage- und Dokumentationstechnik. In: Geschichte lernen, Heft 76 (2000), S. 32 </ref>
In dieser letzten Phase werden Punkte angesprochen, die noch nicht behandelt wurden und noch offene Fragen können geklärt werden. Danach bedanken sich die Schülerinnen und Schüler und verabschieden sich. Dabei ist es wichtig, dass das Interview nicht abrupt endet, sondern sozusagen ausklingt, wie zum Beispiel durch einen Rückblick auf das Gespräch oder durch eine Plauderei über Aktuelles. <ref> vgl. Henke-Bockschatz: Frage- und Dokumentationstechnik. In: Geschichte lernen, Heft 76 (2000), S. 32 </ref>


*'''Aufbereitung'''
====Aufbereitung====


Nach dem Interview werden wesentliche Aussagen anhand der Aufzeichnung zusammengefasst.<ref> vgl. Sauer 2004, 202 f. </ref> Möglich wäre es, einen tabellarischen Überblick zu erstellen. Dabei werden in einer Spalte grundlegende Ereignisse aus der Geschichte festgehalten und in der anderen Spalte die persönlichen Ereignisse aus der Lebensgeschichte des Zeitzeugen.  
Nach dem Interview werden wesentliche Aussagen anhand der Aufzeichnung zusammengefasst.<ref> vgl. Sauer 2004, 202 f. </ref> Möglich wäre es, einen tabellarischen Überblick zu erstellen. Dabei werden in einer Spalte grundlegende Ereignisse aus der Geschichte festgehalten und in der anderen Spalte die persönlichen Ereignisse aus der Lebensgeschichte des Zeitzeugen.  
Danach wird das Interview Wort für Wort transkribiert. Für die Schülerinnen und Schüler bedeutet dies einen sehr großen, aber lohnenswerten Aufwand. Somit können sie (oder der Lehrer) noch Wochen später auf das Interview zurückgreifen. Nach der Transkription wird die Aufzeichnung strukturiert und die Aussagen/ Daten werden auf ihre Validität und Reliabilität überprüft. "Stimmt das Datum eines Ereignisses, konnte der Zeitzeuge damals überhaupt schon davon wissen, hätte er nicht schon längst davon wissen müssen?"<ref> Sauer 2004, 202 </ref> Daraufhin darf das Interview kommentiert und in den Kontext des Themas gestellt werden. Hierbei dürfen die Schülerinnen und Schüler ihre eigene Deutung und Wertung miteinbringen.  
Danach wird das Interview Wort für Wort transkribiert. Für die Schülerinnen und Schüler bedeutet dies einen sehr großen, aber lohnenswerten Aufwand. Somit können sie (oder der Lehrer) noch Wochen später auf das Interview zurückgreifen. Nach der Transkription wird die Aufzeichnung strukturiert und die Aussagen/ Daten werden auf ihre Validität und Reliabilität überprüft. "Stimmt das Datum eines Ereignisses, konnte der Zeitzeuge damals überhaupt schon davon wissen, hätte er nicht schon längst davon wissen müssen?"<ref> Sauer 2004, 202 </ref> Daraufhin darf das Interview kommentiert und in den Kontext des Themas gestellt werden. Hierbei dürfen die Schülerinnen und Schüler ihre eigene Deutung und Wertung miteinbringen.  


*'''Präsentation'''
==== Präsentation ====
Nach der durchgeführten Quellenkritik und der Arbeit mit der Aufzeichnung, werden die Gruppenergebnisse der Klasse vorgestellt. Hierbei können die einzelnen Gruppen ihre Ergebnisse vergleichen und den anderen Gruppen Fragen stellen.  
Nach der durchgeführten Quellenkritik und der Arbeit mit der Aufzeichnung, werden die Gruppenergebnisse der Klasse vorgestellt. Hierbei können die einzelnen Gruppen ihre Ergebnisse vergleichen und den anderen Gruppen Fragen stellen.  


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==== Retro- und Prospektive ====
==== Retro- und Prospektive ====
In der Retro- und Prospektive wird das abgeschlossene Projekt nochmals reflektiert und evaluiert, um so folgende Projekte verbessern zu können und zu wissen, wie man an Dinge herangeht. Dabei werden gewonnene Erkenntnisse schriftlich festgehalten, damit man später darauf zurückgreifen kann. Dabei geht es prinzipiell um drei Kompetenzen: Die [[Grundlagen der historischen Kompetenzorientierung#Die Historische Sachkompetenz| Sachkompetenz]] (Welche Reaktionen gab es? Was hat mich erstaunt/ überrascht? Was habe ich mitgenommen/ gelernt?), die arbeitsmethodische Kompetenz (Wie hat mir die Projektarbeit gefallen und warum? Wo gab es Schwierigkeiten und welche Möglichkeiten zur Überwindung gibt es?) und die Auftrittskompetenz (Wie hat man den eigenen Auftritt erlebt? Was ist gelungen und was nicht? Welche Schwierigkeiten gab es und welche Möglichkeiten zur Überwindung gibt es?). <ref> vgl. Berner/Zimmermann 2005, S. 171 </ref>
In der Retro- und Prospektive wird das abgeschlossene Projekt nochmals reflektiert und evaluiert, um so folgende Projekte verbessern zu können und zu wissen, wie man an Dinge herangeht. Dabei werden gewonnene Erkenntnisse schriftlich festgehalten, damit man später darauf zurückgreifen kann. Dabei geht es prinzipiell um drei Kompetenzen: Die [[Grundlagen der historischen Kompetenzorientierung#Die Historische Sachkompetenz| Sachkompetenz]] (Welche Reaktionen gab es? Was hat mich erstaunt/ überrascht? Was habe ich mitgenommen/ gelernt?), die arbeitsmethodische Kompetenz (Wie hat mir die Projektarbeit gefallen und warum? Wo gab es Schwierigkeiten und welche Möglichkeiten zur Überwindung gibt es?) und die Auftrittskompetenz (Wie hat man den eigenen Auftritt erlebt? Was ist gelungen und was nicht? Welche Schwierigkeiten gab es und welche Möglichkeiten zur Überwindung gibt es?). <ref> vgl. Berner/Zimmermann 2005, S. 171 </ref>
== Zeitzeugen im Fernsehen ==
== Zeitzeugen im Fernsehen ==


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Ein weiterer Nachteil der Oral History ist, dass eine intensive Vor- und Nachbereitung und ein hohes Maß an Selbstständigkeit und Eigeninitiative bei den Schülerinnen und Schüler notwendig ist. Das hohe Maß an Eigenaktivität und Selbstständigkeit kann bei manchen Gruppen zu Problemen führen oder eine Schranke darstellen, da sie diese Form von freiem Arbeiten nicht gewohnt sind. Bei einer Zeitzeugenbefragung benötigen die Schüler Unterstützung und Betreuung durch erfahrene Geschichtslehrer, jedoch haben selbst Geschichtslehrer oft keine Erfahrung damit, da die Vorbereitung, Durchführung und Analyse solcher Gespräche in der Lehrerausbildung vernachlässigt wird. <ref> vgl. Henke-Bockschatz: Oral History im Geschichtsunterricht. In: Geschichte lernen, Heft 76 (2000), S. 18 – 24 </ref>  Darüber hinaus nehmen die Schüler Aussagen der Zeitzeugen als bezeugte Wahrheiten hin und halten sie für glaubwürdiger als z.B. Historikeraussagen oder Schulbuchdarstellungen. Soll Oral History keine folgenlose Abwechslung oder Unterhaltung bleiben, so benötigt sie eine intensive Vor-und Nachbereitung. Lernende sollten sich soweit wie möglich mit der früheren Lebenssituation des Interviewten vertraut machen und das allgemeine historische Umfeld muss ebenso erarbeitet werden. Erst dadurch ist eine richtige Auswertung möglich. Dies erfordert jedoch einen hohen Zeitaufwand und geht meist über den schulischen Rahmen hinaus. Außerdem fehlt den Schülerinnen und Schüler oft die nötige Sachkenntnis, um eine Zeitzeugenbefragung angemessen durchführen zu können. <ref> vgl. Henke-Bockschatz: Oral History im Geschichtsunterricht. In: Geschichte lernen, Heft 76 (2000), S. 18 – 24 </ref>  Aus diesem Grund wird die Zeitzeugenbefragung oft im Rahmen von Projektarbeiten oder in Geschichtswerkstätten durchgeführt.
Ein weiterer Nachteil der Oral History ist, dass eine intensive Vor- und Nachbereitung und ein hohes Maß an Selbstständigkeit und Eigeninitiative bei den Schülerinnen und Schüler notwendig ist. Das hohe Maß an Eigenaktivität und Selbstständigkeit kann bei manchen Gruppen zu Problemen führen oder eine Schranke darstellen, da sie diese Form von freiem Arbeiten nicht gewohnt sind. Bei einer Zeitzeugenbefragung benötigen die Schüler Unterstützung und Betreuung durch erfahrene Geschichtslehrer, jedoch haben selbst Geschichtslehrer oft keine Erfahrung damit, da die Vorbereitung, Durchführung und Analyse solcher Gespräche in der Lehrerausbildung vernachlässigt wird. <ref> vgl. Henke-Bockschatz: Oral History im Geschichtsunterricht. In: Geschichte lernen, Heft 76 (2000), S. 18 – 24 </ref>  Darüber hinaus nehmen die Schüler Aussagen der Zeitzeugen als bezeugte Wahrheiten hin und halten sie für glaubwürdiger als z.B. Historikeraussagen oder Schulbuchdarstellungen. Soll Oral History keine folgenlose Abwechslung oder Unterhaltung bleiben, so benötigt sie eine intensive Vor-und Nachbereitung. Lernende sollten sich soweit wie möglich mit der früheren Lebenssituation des Interviewten vertraut machen und das allgemeine historische Umfeld muss ebenso erarbeitet werden. Erst dadurch ist eine richtige Auswertung möglich. Dies erfordert jedoch einen hohen Zeitaufwand und geht meist über den schulischen Rahmen hinaus. Außerdem fehlt den Schülerinnen und Schüler oft die nötige Sachkenntnis, um eine Zeitzeugenbefragung angemessen durchführen zu können. <ref> vgl. Henke-Bockschatz: Oral History im Geschichtsunterricht. In: Geschichte lernen, Heft 76 (2000), S. 18 – 24 </ref>  Aus diesem Grund wird die Zeitzeugenbefragung oft im Rahmen von Projektarbeiten oder in Geschichtswerkstätten durchgeführt.


Die Methode der Oral History im alltäglichen Schulunterricht sehr schwer umsetzbar und kann nur "im handlungs- und projektorientierten Geschichtsunterricht" durchgeführt werden.<ref> vgl. Sauer 2004, 201 </ref> Außerdem entbindet die Interviewmethode nicht von [[Quellenarbeit im Geschichtsunterricht (Sek.I)| Quellenarbeit]]. Die Aussagen müssen eingeordnet und geprüft werden z.B. durch Befragung weiterer Zeitzeugen oder Abgleich schriftlicher Quellen, sodass sich ein schlüssiges Gesamtbild ergeben kann.<ref> vgl. "Methodisch – didaktische Hinweise zur Oral History" unter http://www.hdbg.de/boehmen/downloads/oralhistory-lehrer.pdf, S.4 f. </ref>
Die Methode der Oral History im alltäglichen Schulunterricht sehr schwer umsetzbar und kann nur "im handlungs- und projektorientierten Geschichtsunterricht" durchgeführt werden.<ref> vgl. Sauer 2004, 201 </ref> Außerdem entbindet die Interviewmethode nicht von Quellenarbeit. Die Aussagen müssen eingeordnet und geprüft werden z.B. durch Befragung weiterer Zeitzeugen oder Abgleich schriftlicher Quellen, sodass sich ein schlüssiges Gesamtbild ergeben kann.<ref> vgl. "Methodisch – didaktische Hinweise zur Oral History" unter http://www.hdbg.de/boehmen/downloads/oralhistory-lehrer.pdf, S.4 f. </ref>


==Beispiel einer Zeitzeugenbefragung==
==Beispiel einer Zeitzeugenbefragung==
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'''Karlsbad, 27.06.2012 (Maria Haas)'''
'''Karlsbad, 27.06.2012 (Maria Haas)'''


Ich heiße Maria Haas und wurde 1936 in Karlsruhe geboren. Ich wohnte mit meiner Familie in Langensteinbach. Das ist ein Dorf 20 Kilometer vor Karlsruhe. Langensteinbach hatte zur damaligen Zeit ca. 3500 Einwohner. Mittlerweile leben hier ca. 7000 Menschen. Die Familie bestand aus meinen Großeltern, meinen Eltern, meinem Bruder, meiner Schwester und mir. Wir hatten einen großen Hof mit fünf Hektar Feldern und Vieh. Außerdem gehörte uns ein Kohlehandel. Ich wurde 1941 eingeschult.  
Ich heiße Maria Haas und wurde 1936 in Karlsruhe geboren. Ich wohnte mit meiner Familie in Langensteinbach. Das ist ein Dorf 20 Kilometer vor Karlsruhe. Langensteinbach hatte zur damaligen Zeit ca. 3500 Einwohner. Mittlerweile leben hier ca. 7000 Menschen. Die Familie bestand aus meinen Großeltern, meinen Eltern, meinem Bruder, meiner Schwester und mir. Wir hatten einen großen Hof mit fünf Hektar Feldern und Vieh. Außerdem gehörte uns ein Kohlehandel. Ich wurde 1941 eingeschult. Das erste was wir lernten war der deutsche Gruß. Alle kampffähigen Männer wurden zum Militär eingezogen. Auch unsere jungen Lehrer mussten dem Befehl folgen. Als Ersatz wurden uns Lehrerinnen und Lehrer aus dem Elsass zugeteilt, die uns sehr gut unterrichteten. Während des Krieges verloren viele meiner Mitschüler ihren Vater, Bruder oder Onkel. Dazu kam die Nahrungsnot. Alles was möglich war wurde an die Front transportiert. Lebensmittelkarten wurden ausgestellt. Für Kleider und Schuhe gab es Bezugsscheine. Jedes zweite Jahr ein paar Schuhe. Mit der voranlaufenden Zeit des Krieges häuften sich die Fliegerangriffe. Ich erlebte mit wie die schwerbeladenen Kampfflugzeuge tief über unser Dorf in Richtung Pforzheim flogen. Mein älterer Bruder nahm mich auf eine nahe Bergkuppe mit. Von da sahen wir, wie über der Stadt Pforzheim leuchtende Christbäume standen. Es waren Leuchtkörper, die den Flugzeugen Orientierung geben sollten. Der Himmel war rot von dem unheimlichen Feuer. Die Angriffe auf Karlsruhe konnte ich teils mit verfolgen und hören. Die Sirenen heulten und die Abwehrgeschütze donnerten bei Tag und bei Nacht. Bei schweren Angriffen waren Bombenexplosionen zu hören. Viele Menschen starben oder wurden obdachlos. In meiner Familie waren über sechs Wochen vier Personen untergebracht. Im letzen Jahr des Krieges wurden wir oft von Tieffliegern überrascht. Auf dem Schulweg musste ich mit meinen Mitschülern an den Häusermauern entlang laufen. Während des Unterrichts meldeten die Sirenen oft Fliegeralarm. Dann mussten sich alle Klassen in den Keller drängen. Die Angst war immer sehr groß. Dann ging der Unterricht weiter. Gegen Ende des Krieges waren viele deutsche Soldaten auf dem Rückzug. Da unser Wohnhaus an der Durchfahrtsstraße von Karlsruhe und Pforzheim lag habe ich vieles mitbekommen. Am 8. April 1945, an einem Sonntag, hörte man schon früh morgens das dauernde Rattern von Maschinengewehren und das dröhnende Donnern der Geschütze. Die deutschen Soldaten die noch da waren bekamen den Befehl Langensteinbach zu verteidigen. Sie taten es mit letzter Kraft und dem Rest ihrer Munition. 27 deutsche Soldaten fielen in und um Langensteinbach. Die Hälfte von ihnen war unter 20. Jahren. Von der Straße hörte ich Stimmen: „Die Franzosen marschieren ein“. Im nu hatten sich die Leute in ihre Keller begeben. Schon ging die Haustür auf und ein französischer Offizier stand mit vorgehaltenem Maschinengewehr vor uns. „ Sind hier deutsche Soldaten?“ „Nein.“ Meine Mutter begrüßte ihn mit „Bonjour Monsieur“. Ich stand neben ihr. Wir hatten sehr große Angst. Er zeigte ihr sein Handgelenk in dem ein Splitter steckte. Sie verband es ihm mit einem Schnapsumschlag. Die Soldaten durchsuchten das ganze Haus nach deutschen Soldaten und Gegenständen wie Hakenkreuzfahnen. Sie fanden aber nichts. Der Offizier konnte gut deutsch und sagte: „ Sie und Ihre Kinder schlafen im Keller. 30 Mann schlafen oben. Sie kochen für 30 Mann“. Kartoffeln waren im Haus und die Soldaten gingen in die Nachbarschaft und holten sieben Hühner, schlachteten sie und brachten sie in die Küche. „ Sie brauchen keine Angst haben, draußen steht Wache“ Der Offizier schrieb mit Kreide einige Worte an die Haustür. Wenn später französische Soldaten kamen und das Haus durchsuchen wollten, was auch Monate nach dem Krieg noch der Fall war, verwiesen wir sie darauf und sie kehrten jedes mal um. Die Soldaten holten aus der Nachbarschaft auch viel Bettzeug. Zwei Nächte verbrachten sie hier bevor sie weiterfuhren. Die Soldaten waren recht freundlich, besonders zu uns Kindern. Sie schenkten uns Kaugummi, was ich vorher nicht kannte und kleine Wurstdosen. Das war etwas Besonderes.
 
Das erste was wir lernten war der deutsche Gruß. Alle kampffähigen Männer wurden zum Militär eingezogen. Auch unsere jungen Lehrer mussten dem Befehl folgen. Als Ersatz wurden uns Lehrerinnen und Lehrer aus dem Elsass zugeteilt, die uns sehr gut unterrichteten. Während des Krieges verloren viele meiner Mitschüler ihren Vater, Bruder oder Onkel. Dazu kam die Nahrungsnot. Alles was möglich war wurde an die Front transportiert. Lebensmittelkarten wurden ausgestellt. Für Kleider und Schuhe gab es Bezugsscheine. Jedes zweite Jahr ein paar Schuhe. Mit der voranlaufenden Zeit des Krieges häuften sich die Fliegerangriffe. Ich erlebte mit wie die schwerbeladenen Kampfflugzeuge tief über unser Dorf in Richtung Pforzheim flogen. Mein älterer Bruder nahm mich auf eine nahe Bergkuppe mit. Von da sahen wir, wie über der Stadt Pforzheim leuchtende Christbäume standen. Es waren Leuchtkörper, die den Flugzeugen Orientierung geben sollten. Der Himmel war rot von dem unheimlichen Feuer. Die Angriffe auf Karlsruhe konnte ich teils mit verfolgen und hören. Die Sirenen heulten und die Abwehrgeschütze donnerten bei Tag und bei Nacht. Bei schweren Angriffen waren Bombenexplosionen zu hören. Viele Menschen starben oder wurden obdachlos. In meiner Familie waren über sechs Wochen vier Personen untergebracht. Im letzen Jahr des Krieges wurden wir oft von Tieffliegern überrascht.  
 
Auf dem Schulweg musste ich mit meinen Mitschülern an den Häusermauern entlang laufen. Während des Unterrichts meldeten die Sirenen oft Fliegeralarm. Dann mussten sich alle Klassen in den Keller drängen. Die Angst war immer sehr groß. Dann ging der Unterricht weiter. Gegen Ende des Krieges waren viele deutsche Soldaten auf dem Rückzug. Da unser Wohnhaus an der Durchfahrtsstraße von Karlsruhe und Pforzheim lag habe ich vieles mitbekommen. Am 8. April 1945, an einem Sonntag, hörte man schon früh morgens das dauernde Rattern von Maschinengewehren und das dröhnende Donnern der Geschütze. Die deutschen Soldaten die noch da waren bekamen den Befehl Langensteinbach zu verteidigen. Sie taten es mit letzter Kraft und dem Rest ihrer Munition. 27 deutsche Soldaten fielen in und um Langensteinbach. Die Hälfte von ihnen war unter 20. Jahren. Von der Straße hörte ich Stimmen: „Die Franzosen marschieren ein“. Im nu hatten sich die Leute in ihre Keller begeben. Schon ging die Haustür auf und ein französischer Offizier stand mit vorgehaltenem Maschinengewehr vor uns. „ Sind hier deutsche Soldaten?“ „Nein.“ Meine Mutter begrüßte ihn mit „Bonjour Monsieur“. Ich stand neben ihr. Wir hatten sehr große Angst. Er zeigte ihr sein Handgelenk in dem ein Splitter steckte. Sie verband es ihm mit einem Schnapsumschlag. Die Soldaten durchsuchten das ganze Haus nach deutschen Soldaten und Gegenständen wie Hakenkreuzfahnen. Sie fanden aber nichts. Der Offizier konnte gut deutsch und sagte: „ Sie und Ihre Kinder schlafen im Keller. 30 Mann schlafen oben. Sie kochen für 30 Mann“. Kartoffeln waren im Haus und die Soldaten gingen in die Nachbarschaft und holten sieben Hühner, schlachteten sie und brachten sie in die Küche. „ Sie brauchen keine Angst haben, draußen steht Wache“ Der Offizier schrieb mit Kreide einige Worte an die Haustür.  
 
Wenn später französische Soldaten kamen und das Haus durchsuchen wollten, was auch Monate nach dem Krieg noch der Fall war, verwiesen wir sie darauf und sie kehrten jedes mal um. Die Soldaten holten aus der Nachbarschaft auch viel Bettzeug. Zwei Nächte verbrachten sie hier bevor sie weiterfuhren. Die Soldaten waren recht freundlich, besonders zu uns Kindern. Sie schenkten uns Kaugummi, was ich vorher nicht kannte und kleine Wurstdosen. Das war etwas Besonderes.


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